Treffen in Sonnenburg/Slonsk
Mit etwas Wehmut denke ich an das Ende des Oststernberger Heimatkreises und damit auch der Heimatbriefe, waren sie in den letzten 20 Jahren eine sehr interessante Lektüre für unsere Familie. Besonders informativ waren für uns die Beiträge der ehemaligen Einwohner von Sonnenburg, konnten wir dadurch sehr viel über die Geschichte und das Leben in der Heimatstadt unserer Mutter und Großmutter erfahren. Besonders gut haben uns die vielen Berichte von Herrn Nultsch gefallen, so der über den Pieresel. Viele der dort erwähnten Begriffe (du sollst nicht pesern oder lass das kaupeln) habe ich als Kind von meiner Mutter oft zu hören bekommen, meist mit drohendem Unterton, ohne den Ursprung der Worte zu kennen.
Meine Mutter, Elisabeth Nickel, geborene (Lieschen) Husen ist 1923 in Sonnenburg geboren, zur Schule gegangen, hat dann den Beruf der Seidenweberin erlernt und in der Seidenfabrik gearbeitet. Sie wohnte mit ihren Eltern in der Weberstraße 5. Das Haus sieht heute fast noch so aus wie vor 70 Jahren, die Fabrik gibt es nicht mehr. Sie war meiner Meinung nach ungefähr dort, wo sich heute die Hotelanlage Hubertus befindet. Später war meine Mutter in der Muna (Munitionsfabrik) dienstverpflichtet, Reste der Muna findet man im Wald rechts an der Straße nach Kriescht. Im Januar 1945 hat meine Mutter Sonnenburg zusammen mit vielen anderen, darunter auch meine Großtante Luise Kaßner (geb. Stein), mit ihrer Familie in Richtung Westen verlassen. Dass es für immer war, hat bestimmt keiner gedacht.
Wenn meine Mutter über ihre Kindheit und Jugend geprochen hat, begannen ihre Augen beim Wort Moritzfest zu leuchten. Es war der gesellschaftliche Höhepunkt in Sonnenburg, viel Prominenz in der Stadt, dazu die festlich gekleideten Mitglieder des Johanniterordens, die sich zum alljährlichen Ritterschlag auf dem Platz vor dem Schloss versammelten. Das Moritzfest wird im heutigen Slonsk als Volks- und Kinderfest wieder gefeiert, selbst der Ritterschlag wird nachgestellt, 2016 schon zum dreizehnten mal, organisiert vom Slonsker Verein „Uniti Viribus“, mit angeregt von Ernst Schilling, der als letzter Deutscher in Sonnenburg geboren wurde. Er und viele andere wie z.B. Richard Stein oder Herr Pfarrer i.R. Winkler haben sich verdient gemacht um die guten Beziehungen zwischen „alten“ und neuen Sonnenburgern, und so ist es nicht verwunderlich, dass sie jedes Jahr immer wieder zum Moritzfest eingeladen werden. Wir freuen uns immer, sie dort zu treffen, auch weil sie nie müde werden unsere Fragen zur Vergangenheit zu beantworten. So hat sich Richard Stein Zeit für einen Stadtrundgang mit uns genommen, hat viel über das Leben in Sonnenburg berichtet, aber auch über das Zuchthaus und dem dort 1945 stattgefundenen Massenmord, er hat uns zum Ehrenfriedhof der Opfer geführt. Auch an die inhaltsreichen Gespräche mit Herrn Nultsch oder Herrn Seelig, der mit 98 Jahren ein bewunderswertes Gedächtnis hat, erinnern wir uns gern.
Mittlerweile sind in Polen Generationen herangewachsen, die die deutsche Vergangenheit ihrer Heimat nicht negieren oder verleugnen, sondern sich für ihre Geschichte interessieren. Somit müssen die „alten“ Sonnenburger auf dem Moritzfest, heute Maurycjada genannt, nicht nur unsere, sondern auch die Fragen der polnischen Freunde beantworten.
Deshalb sitzt man noch manches Mal abends vor oder nach dem Fest bei einem Gläschen zusammen, weil die Zeit für intensive Gespräche beim Festtrubel nicht immer ausreicht.
Unsere Familie hofft, auch wenn es den Heimatkreis und Heimatbrief nicht mehr gibt, dass die guten, freundschaftlichen Verbindungen zwischen alten und neuen Sonnenburgern immer bestehen bleiben und noch viele Moritzfeste gemeinsam gefeiert werden. Wir bedanken uns bei den „Machern“ von Heimatkreis und -brief und freuen uns auf ein Treffen im Juni 2017 in Slonsk.