Heinrich Zille in Sonne(n)burg
Aus: Das Zille-Buch. 1. Aufl. Unter Mitarbeit von Heinrich Zille. 141.-150. Tsd. Franke; Berlin o. J.
Heinrich Zille, diesem großen und stattlichen Menschen, blieb es nicht erspart, volle zwei Jahre als Grenadier zu dienen. Er kam zu den „Leibern“, dem Leibregiment in Frankfurt a. d. Oder. Man wusste im „Kommiss“ noch nichts von dem natürlichem Vorrecht des künstlerischen Menschen, die Dienstzeit abzukürzen. Wusste nicht, dass schöpferische, schaffende Menschen einen unermesslichen Wert für die Kultur und Wirtschaft des Volkes bedeuten. So wurde denn Zille in der Zeit der allgemeinen Wehrpflicht zwei Jahre fast ganz seiner Ausbildung und seinen Aufgaben entzogen.
Er ließ sich aber nicht ganz seiner Aufgabe entziehen. Er war viel zu sehr besessen von seinem Talent, von seinem Können und übte unter allen Umständen seine Fähigkeiten. Manche Kameraden machten sich wohl über ihn lustig. Auch manche Vorgesetzten fanden es lächerlich, dass solch »strammer Kerl« sich mit Zeichnungen plagte, von Kunst was verstehen, in der Kunst leben wollte. Aber bald machten sie sich das zunutze. Manche Geländeskizze, die nach den größeren Übungen die Herren Leutnants dem Obersten vorlegten, stammte vom Grenadier Zille. Das verschaffte ihm Ansehen und Achtung – und seine Kameraden, vor allem aber manche unverständigen und ungebildeten Unteroffiziere, betrachteten ihn verständnislos und hüteten sich, ihm zuviel zuzumuten.
Als er mit einem Zug Soldaten zur Wache in das Zuchthaus Sonneburg kommandiert wurde, gewann er erschütternde und unglaubliche Eindrücke, die später in manchen Zeichnungen wieder auftauchten. …
Und aus den Sonneburger Wachewochen weiß er allerlei mitzuteilen:
„In Sonneburg mußte ich als Soldat die Zuchthäusler bewachen. Die jugendlichen ‚Sonneburger‘ klebten bunte und blanke Kotillonorden. Tagelang – wochenlang – monatelang…Ob die feinen Fräuleins, die auf den vergnügten Bällen die Orden an ihre Galane verteilten und dann lustig in ihren Armen walzten, wohl wußten, wer den schönen Flitterkram gemacht hatte? –Ja – die Blicke, mit denen die Zuchthäusler uns von der Bewachung ansahen: Ihr seid frei – wir sind in Bewachung.
Wir laufen rum als ‚Schokoladenjünglinge‘ – von wegen der braunen Kluft… Schließlich wurde ich so eine Art Vertrauensmann für unsern Leutnant (v. L.). Der war ein ganz versoffenes Huhn und schickte mich vor allem immer nach Bier. Aber weil ich ein Wappen für ihn malte, ließ er stets zwei Glas Bier holen, so daß auch ich nicht Durst leiden brauchte. –
In der Sonneburger Kirche hängen doch alle Wappen von den Familien, von denen ein Mitglied zum Johanniterorden gehörte. Da hatte denn mein Leutnant auch ein Wappen seiner Familie entdeckt. Und das mußte ich ihm abmalen.
Das war mir natürlich lieber als die Bewachung der armen Deibels im Zuchthaus. –Wenn ich nun in der Kirche arbeitete – an dem Wappen – bis zur Dämmerung, stand immer eine andere von den vielen Pastorstöchtern an der Kirchentür: ‚Papa läßt bitten zum Kaffee!‘
Der Pastor rauchte seine lange Pfeife, die Töchter strickten oder machten die damals beliebte Spritzmalerei. Ich saß dazwischen: nicht als Kommiß, sondern ich gehörte dazu. So lernte ich auch die Seite vom Leben kennen.“
„Sonneburg war damals nur ein großes Dorf. Fischer und Ackerbürger und kleine Handwerker. Und dann Witwen von Aufsehern. Die besorgten den Aufsehern und den Soldaten die Wäsche und die Handschuhe.
Witwen gab‘s genug. Ihre Männer, die Aufseher, wurden eben verrückt am Dienst. Zwölf Stunden in Filzlatschen rumschleichen – die andern Menschen beschleichen – immer achten, daß sie nicht miteinander sprachen – Nur immer Schnupftabak in die Nase stopfen. Das einzige, was sie machen durften, um sich wach zu halten – damit sie bewachen konnten… bis ins Hirn – den Tabak. Da mußten sie ja bald verrückt werden.“
„Der Leutnant hatte einen ganzen Haufen Ehrenzeichen geerbt. Von Onkeln, die 1813 bis 15 mitgemacht hatten. Meistens Ehrenzeichen für Nichtkombattanten.
Eines Tages sagte mir der Leutnant: „Hier, schmeiß‘ den Dreck auf den Müll!“ „Aber – das sind doch Ehrenzeichen!“ „Ja, gewiß, die sind von meinem Großonkel. Was soll ich damit?“
„Ich war damals Schreiber vom Feldwebel. Die ganzen Akten von den Zuchthäuslern lagen bei uns im Büro. Damals ließen sich keine Schiebungen mit den Akten machen. Wir Soldaten kamen nicht so dicht mit den Zuchthäuslern zusammen, um Kabrusche zu machen. – Fliehen konnten sie damals auch nicht so leicht. In bestimmter Entfernung standen Wachen beim Schilderhaus, die immer hin und her pendelten und sich ihre Meldung zuflüsterten. Da hieß es aufpassen. Die Unteroffiziere kamen auf dicken Filzsohlen zur Kontrolle. Wenn wir nicht gleich das Gewehr fällten und anriefen, wurden wir angegeben. «Und die Kerle selbst, die Zuchthäusler, übten auch ihre Spaße mit uns.“
Ich schob Wache. Da hatte einer irgendeine Arbeit draußen zu machen, irgend’ne Erdarbeit. Reden durften sie doch nicht mit uns. Wir durften auch nicht mit ihnen reden. Wenn sie uns ansprachen, sollten wir sie melden.
Da fängt der an und sagt: „Gestern früh hat‘s ooch gefroren!“ Ich denke – antwortest nicht – melden werde ich auch nicht. Der brabbelt immer vor sich hin: „Ick bin ooch aus Frankfurt – ick seh‘ doch, daß du ein Leiber bist. (Vom Leibregiment Frankfurt a. d. Oder.) Die sollen hier spannen (aufpassen). Tu‘ nur nicht so! Ihr hört ganz gut!“ Ich wußte nicht: würde der Kerl mich melden? Sollte ich ihn melden? Er sagte weiter: „Tu‘ nur nich so!… Ihr seid ja hier ooch bloß Gefangene! – Aber ihr müßt noch Knöppe putzen!“ Recht hatte er. Ich hab‘ ihn auch nicht gemeldet…“