Bauernleben in der Zwischenkriegszeit
Ostbrandenburg-Beispiel Pinnow: Als Landmaschinen weitgehend unbekannt waren
Bauernleben in der Zwischenkriegszeit
In Haus und Stall morgens bis abends – Auf Wiesen und Äckern rund um‘s Jahr
Im ostbrandenburgischen Dorf der Zwischenkriegszeit sind die Wohnhäuser, Ställe und Scheu-nen meist aus Ziegeln erbaut. Dies Material hat das historische Holz-Lehm-Fachwerk abgelöst, nachdem Ende des 19. Jahrhunderts die Brenn-technik entwickelt wurde und vielerorts, vor allem in den Gutsbereichen, Ziegeleien entstanden. Je nachdem, ob es sich um ein Anger-, Straßen- oder Haufendorf handelt, säumen die Höfe die Ver-kehrswege. Im Gegensatz zu hier und da noch vor-handenen älteren giebelständigen Fachwerkbauten liegen die Ziegelwohnhäuser mit den Traufseiten an den Straßen. Letztere verlaufen in unserem weststernberger Beispiel Pinnow am Dorfteich entlang.
Links oder rechts vom einzelnen Wohnhaus steht mit dem Giebel zur Straße der Stall für das Großvieh. Den hinteren Abschluss des Hofes bil-det die Scheune. Sie hat meist zwei große Tore, da-mit die Erntewagen vorn voll herein und hinten leer hinausfahren können. Es handelt sich somit um Hofanlagen des Fränkischen Typs. Ostbrandenburg weist sich damit als von Mitteldeutsch-land her besiedelte Landschaft aus.
Für die Erledigung der Arbeit auf einem norma-len Bauernhof von etwa 40 ha Größe werden vier bis sechs kräftige Personen benötigt. Das sind meist der Bauer und die Bäuerein, ferner ein Knecht und eine Magd, wenn erwachsene Kinder fehlen. Auch die Großeltern müssen noch, die schulpflichtigen Jungen und Mädchen schon mit ran.
Die Arbeit beginnt mit dem ersten Hahnen-schrei, im Sommer zwischen 4 und 5, im Winter erst gegen 6 Uhr. Zunächst hat jeder seine Auf-gabe bei der Viehversorgung. Der Stolz des Bau-ern sind die Pferde. Er füttert sie deshalb selbst, tränkt, striegelt und streut den Stall neu ein. Das Futter besteht aus gehäckseltem Haferstroh und beigemengten Haferkörnern.
Der Knecht oder Sohn füttert indessen die Kühe mit gehäckseltem Stroh, dem er zerkleinerte Rü-ben und Getreideschrot, im Sommer auch Lu-zerne, Klee und anderes Grün beimengt. Mit dem Strohschneider dreiteilt er eingelagerte Bunde und streut den Kuhstall neu ein. Zum Tränken muss er so manchen Eimer Wasser von der Hofpumpe in den Stall schleppen. Das Rindvieh bleibt dort. Es gibt keinen Austrieb auf Koppeln wie auf dem örtlichen Gut üblich.
Die Bäuerin melkt die Kühe mit der Hand, eine kraft- und zeitaufwendige Arbeit. Die Milch filtert sie anschließend durch ein Leinentuch in die Zen-trifuge. Durch Schleudern, ebenfalls eine Hand-arbeit, trennt sie die Sahne von der Milch. Einmal wöchentlich, wenn die Fletsche (große Tonschüssel) voll Sahne ist, arbeitet sie an der Butterma-schine. Sie hält die Sahne so lange in Bewegung, bis sich Fett und Buttermilch voneinander gelöst ha-ben. Durch Kneten mit einem Holzlöffel drückt sie das letzte Wasser aus der Butter. Mit einer klei-nen Holzform verwandelt sie diese in ansehnliche Stücke.
Die Magd oder Tochter kümmert sich um die Schweine. In der Futterküche dämpft und zerklei-nert sie mit einem Stampfer Kartoffeln. Diese füllt sie in Eimer und tut Getreideschrot, Magermilch oder Wasser hinzu. Nachdem der Eimerinhalt gut durchgerührt ist, kippt sie ihn in die vorher gesäu-berten Tontröge. Die Schweine hören auf zu grun-zen und zu quieken, ein mächtiges Schmatzen setzt ein.
Zwischendurch öffnen die Frauen die Ställe des Federviehs. Gänse, Enten und Hühner bevölkern den Hof. Als Futter erhalten sie Kartoffeln und Schrot oder auch Weizenkörner. Das Fleisch und die Eier der Hühner sind eine wichtige Ernäh-rungsgrundlage der Familie. Bevorzugt werden die Rassen Weiße Leghorn, Bunte Italiener, Braune Rhodeländer und Schwarze Minorka.
Nun ist es Zeit für das Frühstück. Dazu finden sich alle in der großen Essküche ein. Es besteht aus einer warmen Milchsuppe und einer Butter- oder Musschnitte. Beim Essen wird die Tagesarbeit besprochen. Für die, die aufs Feld müssen, macht die Bäuerin eine Wurstschnitte als zweites Früh-stück fertig. Ferner füllt sie eine Blechkanne mit Malzkaffee. Sich selbst teilt sie – ausgenommen in der Erntezeit – zur Hof-, Haus- und Wascharbeit ein, wenn nicht gerade ein Backtag vorgesehen ist. Für das Mittagessen muss sie in jedem Fall sorgen.
Der Bauer fährt nun zum Pflügen, Düngen, Säen usw., wenn nötig, von Knecht oder Sohn be-gleitet, mit dem Gespann und den benötigten Ge-räten aufs Feld. Dabei begegnet er diesem und je-nem Nachbar. Die Männer tauschen Gruß und In-formationen aus. Was sich in den Familien so tut, wird auf diese Weise verbreitet. Oft fragt man sich auch nur, wo‘s hingeht, danach strebt jeder seinem Flurstück zu.
Gegen Mittag findet sich alles auf dem Hof ein. Das Vieh wird wieder gefüttert und getränkt, ehe man sich am Küchentisch versammelt. Die Bäue-rin bringt meist Eintopf wie Erbsen, Bohnen oder Linsen auf den Tisch. Solche Gerichte sind für sie am wenigsten zeitaufwendig. Manchmal serviert sie auch „Milchkeilichen“ (Suppe mit süßen Mehlklümpchen) oder, wenn sie viel Zeit hat, Kartoffelplinsen. Salzkartoffeln gibt es nur sonntags zum Hühnerbraten. Kommen die Kinder später aus der Schule, wird das Essen für sie in der Herdröhre warm gehalten. Das schmeckt ihnen dann meist nicht, und sie nehmen sich lieber eine Butterschnitte.
Mit Vesperschnitten versehen geht es wieder raus aufs Feld. Das gilt nun auch für die Kinder. Sie haben die Schafe und Gänse zu hüten. Es ist gar nicht so einfach, die Tiere auf dem Feldweg an den bestellten Äckern der anderen Bauern vorbeizu-bringen. Auf dem Hütefeld sind die Schularbeiten zu machen und muss auf die Tiere aufgepasst wer-den. Wiederholt kommt es vor, dass diesen Nach-bars Klee oder Luzerne besonders gut schmeckt. Der dadurch Geschädigte protestiert bei den El-tern, dann „setzt es etwas“. Erst am Spätnachmit-tag geht es nach Hause.
Am Abend findet zunächst wieder Viehversorgung statt. Danach sitzt die ganze Familie am Ess-tisch. Außer sonntags gibt es fast immer „Pellteffeln“ (Pellkartoffeln) und dazu oft Quark und Leinöl oder eine Stippe von ausgelassenem Speck mit Mehl angerührt. In die werden die Kartoffel-Stücke mit dem Messer hineingestippt. Manchmal bietet die Bäuerin Bratkartoffeln, Rührei oder sauren Hering an. Eine Musschniette als Nach-speise und ein Becher Malzkaffee dürfen nicht fehlen.
Die Bäuerin oder die Magd sorgt für den Ab-wasch. Endlich darf man die Seele etwas baumeln lassen. Der Bauer liest die Zeitung und sieht vor der Nachtruhe noch einmal in den Ställen nach dem Vieh.
Die verschiedenen Ernten schaffen im Wechsel der Jahreszeiten besondere Arbeitsbedingungen. Im Juni steht der erste Wiesenschnitt an. Morgens, wenn der Tau noch im Gras ist, zieht der Bauer mit seinen Helfern zum Grünland. Dies liegt nach den landschaftlichen Gegebenheiten mehr oder min-der weit vom Hofe entfernt. Die Pinnower haben ihre Wiesen vor allem im Eilangtal. Dort ist der Grund sumpfig. Grasmähmaschinen können des-halb in der Regel nicht eingesetzt werden. Es be-steht Gefahr für die Pferde. Weichen sie von den befestigten Wiesenstreifen ab, sacken sie bis zum Bauch ein. Bleiben sie stecken, müssen sie mit Hilfe anderer Gespanne herausgezogen werden. Deshalb wird weitgehend mit der Sense gemäht. Die Schwaden sind auseinander zu streuen, damit das Gras möglichst schnell trocknet. Nach ein-oder zweitägigem Sonnenschein ist es mit der Holzharke zu wenden. Bei ausreichender Trockenheit setzt man das Heu zu größeren Haufen zu-sammen und verlädt es auf den mit Leitern verse-henen Ackerwagen. Für die Fahrt zum Hof wird es mit einem Heubaum und einer Leine gegen Her-abfallen gesichert. Zwei oder drei Pferde ziehen die Fuhre über die sandigen Wald- und Feldwege zum Stall. Dort kommt das Heu auf den Boden über den Viehständen, damit es durch Luken di-rekt in die Häckselkammer bugsiert werden kann.
Die Getreideernte im Sommer bedeutet schwere Arbeit. Roggen, Hafer, Gerste und Wei-zen werden ebenfalls mit der Sense gehauen. Der Bauer heuert dafür zusätzliche Kräfte an. Diese bilden drei bis fünf Paare oder „Gespanne“. Jedes Paar besteht aus dem Mäher und einer Binderin. Der beste Hauer arbeitet im ersten Gespann.
Wenn er tüchtig vorlegt, müssen auch die anderen Paare fleißig zupacken. Der Bauer freut sich, wenn die Arbeit flott vonstatten geht. Ein großer Schlag ist dann erstaunlich schnell niedergelegt.
Nun stellt die ganze Gruppe jeweils zweimal acht Garben zu Mandeln auf. Nach einigen trockenen Tagen fährt man das Getreide mit dem mit ei-ner Plane ausgelegten Leiterwagen in die Scheu-ne. Gedroschen wird erst in den Wintermonaten.
Ab den 30er-Jahren kann sich ein mittelgroßer Betrieb vielleicht die eine oder andere der jetzt an-gebotenen Erntemaschinen leisten. Ein Ableger übernimmt dann das Schwadmähen. Die Arbeitskräfte brauchen nur noch zu raffen und zu binden. Reicht das Geld zusätzlich für einen Binder, sind lediglich die Garben aufzustellen. Die Technik er-leichtert Schritt um Schritt die Arbeit.
Die Bäuerin beköstigt die Ernteleute gut und reichlich. Sie holt den besten Schinken und die leckerste Bratwurst aus der Kammer. Hier und da sagt aber auch ein Hofbesitzer zu seiner Frau: „Jib uoch de Leite nich de janze jute Worst!“ Frühstück und Vesper werden auf das Feld gebracht. Beim Mittagessen sitzen die Ernteleute in der guten Stube des Hauses an einer reichlich gedeckten Ta-fel. Geflügel und oft auch ein Kalb haben dafür das Leben lassen müssen.
Wenn der erste kühle Herbstwind über die Felder weht, beginnt die Kartoffelernte. Sie zieht sich drei bis vier Wochen hin. Da der Bauer wie die meisten seiner Kollegen noch keine Rodema-schine besitzt, arbeiten die Frauen mit der dreizin-kigen Hacke. Jede von ihnen bekommt in der Re-gel drei Reihen zugeteilt. Gebückt oder auf den Knien wird Staude für Staude ausgebuddelt. Jede Frau hat einen Korb für die großen Kartoffeln bei sich. Zwei Frauen teilen sich einen Korb für die kleinen Kartoffeln, die meist als Viehfutter vorge-sehen sind. Volle Körbe werden in Säcke entleert, die dann in Reihen auf dem Acker stehen. Der Bauer fährt sie mittags und abends mit dem Pferdewagen ab. Ein Teil kommt für den häuslichen Verbrauch in einen trockenen Keller. Die Masse überwintert im Garten hinter der Scheune in Erdmieten. Diese werden mit Stroh und Erde, be-vor der Frost kommt, zusätzlich mit Laub, Kiefernnadeln und Kartoffelkraut abgedeckt.
Auch bei Kälte und Schnee reißt die Arbeit auf dem Hof nicht ab. Überall im Dorf summen jetzt in den Scheunen die Dreschmaschinen. Dreschflegel sind bereits Geräte der Vergangenheit. Damit werden nur noch Luzerne und Serradella ausge-droschen. An der Dreschmaschine arbeiten min-destens drei Personen. Ein Mann reicht mit der zweizinkigen Gabel die Garben vom Tass (auch Tenne, Durchgänge in der Scheune) auf den Maschinentisch. Hier steht meist die Bäuerin. Sie reißt die Garben auf und legt sie sorgfältig verteilt in die Dreschtrommel. Das leergedroschene Stroh kommt über den Rütteltisch aus der Trommel.
Der Bauer oder der Knecht schnürt es zu großen Bunden zusammen. Die werden zunächst auf dem Hof getürmt und nach dem Dreschen in der Scheune eingelagert oder auf den Stallboden ge-bracht. An der Rückseite der Maschine fallen die Körner und die Spreu heraus. Sie werden mit einer Holzschaufel beiseite geräumt und einige Tage später in der handbetriebenen Putzmühle vonein-ander getrennt. Das Gerät enthält verschiedene Siebe. Durch die Drehbewegung entsteht ein Luftzug, der die Spreu, auch Kaff genannt, weg-bläst. Die Körner kommen lose oder in Säcken auf den Getreideboden. Den größten Teil davon ver-kauft der Bauer an die Handelsgenossenschaft, im Falle Pinnow an die in Sternberg.
Zu den Winterarbeiten gehört ferner die Pflege des Waldes. Die Männer entfernen die abgestor-benen Äste der Jungkiefern. Sie fällen trockene und krumm gewachsene größere Bäume, fahren sie auf den Hof und zerkleinern sie mit der Kreis-säge für die Herd- und Ofenfeuerung. Die Frauen sammeln das Reisig und binden es für den Backo-fen. Große Berge Brennholz werden benötigt, denn in der Küche ist Holz das einzige Feue-rungsmaterial. Verkauft der Bauer große Stämme, so sind die entstandenen Kahlschlage im Frühjahr wieder aufzuschonen. Diese Arbeit übernimmt meist der Großvater mit seinen Enkeln.
Der Großvater ist überhaupt eine unentbehrli-che Kraft auf dem Hof. Im Winter sitzt er viel in der warmen Dämpferkammer. Mit Weidenruten bes-sert er dort Kartoffelkörbe aus. Weiter flicht er neue Körbe. Im Schuppen oder im Keller steht seine Schnipperbank. Hier fertigt er Holzpantoffeln für die ganze Familie, Stiele für Gabeln und Schippen, Ersatzzähne für die Holzharken und vollständig neue Harken an.
Wenn am Sonnabend um 18 Uhr die Glocken das Wochenende einläuten, ist der Hof gefegt und der Vorgarten geharkt. Alles freut sich auf den Sonntag. Nach dem Frühstück gehen die dafür ein-geteilten Familienmitglieder zur Kirche. Meist übernehmen der Großvater und die Großmutter diese Aufgabe. Sie beten für alle. Verlässt der Großvater mit dem Schmiesichen (Vorgebindeschlips) den Hof, hebt das die sonntägliche Stim-mung.
Der Bauer kümmert sich um seine Pferde. Er sieht nach, ob an den Hufen die Eisen noch richtig sitzen. Er säubert die Geschirre und fettet sie ein. Zum Wochenbeginn soll ja alles wieder in Ord-nung sein. Am Nachmittag sitzt man bei schönem Wetter auf der Bank vor dem Hof. Kommen an-dere Dorfbewohner vorbei, hofft man, Neuigkei-ten zu erfahren.
Im Gasthof ist selten etwas los. Musikanten kom-men eigentlich nur zum Schützen-, Erntedank- und Kriegerfest dorthin, um zum Tanz aufzuspie-len. Will sich die Jugend vergnügen, muss sie sich ins größere Nachbardorf wagen. Der Bauer hat also selten Gelegenheit, sich ein Bier und einen Korn zu leisten. Bei großem Durst greift er zum Becher an der Hofpumpe.
So vergeht in der Zwischenkriegszeit das Leben in Pinnow und anderen märkischen Dörfern, Tag für Tag, Jahr für Jahr.
Wilfried Grünberg/Kurt Wothe
(Aus: Wanderungen durch Südostbrandenburg,
Jahrbuch 1997/98;Hrsg. Hanns-Ulrich Wein, S. 79-83)