Telefongespräch mit einer Arensdorferin
„Hallo Klärchen“, auf der anderen Seite eine vertraute Stimme, und dann nach einem Zögern ein Erkennen und hörbare Freude: „Ach, Petra, endlich rufst Du an, endlich“. „Deine Stimme klingt so rau, willst Du nicht lieber noch ein Glas Honigmilch trinken, eh` wir uns unterhalten?“. „Nein, ich will jetzt sofort von Arensdorf hören!“ „Entschuldige, ich fand vorher keine Ruhe anzurufen, wir waren bei Gabriels Kleinkindern in Erfurt“. „Nun erzähle.“
„Es war eine sehr schöne Reise ins Oststernberger Land, gut organisiert von Herrn Hans-Dieter Winkler, Herrn Habermann und Herrn Barsch, mit vielerlei Begegnungen, interessanten Vorträgen, mit so vielen sympathischen Mitreisenden, anregenden Gesprächen und einem angenehmen Standquartier im Hotel Lesnik in Lagow, direkt am Lagower See. Ich habe mich gefreut, unter den Teilnehmern auch Omis Patentochter Elke Pieper kennenzulernen. „Weißt Du, dass ihre Mutter Freda Wartenberg, eine Weile Inspektor auf dem Arensdorfer Gut war? Sie war sehr energisch und entschieden und flößte uns – der Jugend damals – mächtig Respekt ein.“
„Die Organisatoren hatten auch diesmal wieder dafür gesorgt, daß wir alle im Bus an einem Vormittag für zwei Stunden in die Orte gebracht wurden, denen wir uns so verbunden fühlen.“ „Warst Du allein in Arensdorf – so wie ich damals auf der Heimatreise 1978?“ „Ja, aber mir war es recht. Ich habe mich am südlichen Ende des Dorfes absetzen lassen. Am Anfang der gepflasterten Straße gab es links im Wald ein Schild, auf dem stand dem Sinne nach ‚cementario protestantico‘, so wähnte ich den Friedhof in dieser Richtung. Ich bin ganz lange durch Wald und Feld gelaufen, bis ich überraschend zum Vorwerk Theuer, heute Sobieraj, hinauskam. Derweil habe ich an meinen Vater denken müssen, der hier als junger Landwirt viele Wege zurückgelegt hat, eh‘ er mit dreißig Jahren fern in der Normandie fiel. Auch die Berichte meiner Mutter fielen mir ein, die im Krieg oft zum Vorwerk fuhr, um den französischen Kriegsgefangenen, die für uns in der Landwirtschaft arbeiteten, Essen aus unserer Landküche zu bringen. Vor ihrem Tod bat sie mich noch, mal beim Heimattreffen zu fragen, ob jemand wüsste, wie es diesen Franzosen bei Kriegsende ergangen ist…?
Das Herrenhaus in Arensdorf sieht von außen weiter traurig heruntergekommen aus, wie wir es schon so lange kennen. Von unseren Freunden erfuhr ich, dass es eine polnische Tiefkühlfirma gekauft hat, mitsamt dem ganzen Wirtschaftshof und landwirtschaftlichen Flächen zum Mekowsee hinunter. Immerhin sind dort Handwerker tätig, sie bringen zunächst einmal die Dächer wieder in Ordnung.
Da Katharina von Bülow für unsere Reise den weiten Weg von Paris gemacht hat, schlug Herr Habermann großzügig und sehr engagiert vor, zu dritt am Samstag noch einmal nach Arensdorf, Zielenzig, Kriescht, Sonnenburg und Leichholz zu fahren. Unsere Zielenziger Freundin Elzbieta Arciszewska, die mit ihren Eltern in der Nachkriegszeit 17 Jahre im Arendsdorfer Herrenhaus gelebt hat – viel länger als ich – ist am Samstag Vormittag zu verabredeter Zeit mit ihrer gut deutsch sprechenden Tochter gekommen, um uns zu ermöglichen, das große Haus von innen anzuschauen. Sie hatte das schon einmal, 1994, ermöglicht, als wir nach der Oststernberger Zusammenkunft in Tegel ein Treffen vieler Arensdorfer an einem bestimmten Tag in Arensdorf an der dortigen Kirche verabredet hatten. In den 21 Jahren, die seither vergangen sind, hat sich im Haus wenig verändert, draußen liegen allerdings keine Schuttberge mehr wie damals. Die Hoffnung, dass der neue Besitzer nun nach und nach das Haus und den Wirtschaftshof wieder instand setzt, um sie zu bewirtschaften, ist tröstlich.“
Klärchen W., die in der großen Landküche dort gelernt und dann in der neueren der jungen Böttingers, meiner Eltern, gearbeitet hat, fragt nach diesen Räumen und erzählt von dem Gefrierraum, in den im Winter große Eisbarren aus dem Mekowsee gelegt wurden, um Wild und Fische lange frisch zu halten. Sie erzählt von ihrem Vetter, Gustav Schmidt, der Fischermeister am Bechensee war und sich nach der Vertreibung in einem Potsdamer Amt um eine Arbeitsstelle bemühte, um seine vier Kinder ernähren zu können. Da habe ein Beamter quer durch die Halle gerufen: „Gustav Schmidt vom Bechensee – ich habe einen See für Sie!“ So wurde ihm der Grimnitzsee bei Joachimsthal zugeteilt, eine Aufgabe, die auch sein Sohn später übernahm.
Nach einem langen Gespräch sagt Klärchen W.: „Petra, ich mache jetzt Schluss, weil es mich inzwischen anstrengt. Ich habe seit Weihnachten meine Wohnung nicht mehr verlassen können. Ein Gespräch über Arensdorf, meine Heimat, tut mir so gut, das lässt mich meine gesundheitliche Misere mit meinen 91 Jahren ganz vergessen. All diese Erinnerungen sind ein Geschenk des Himmels für mich!“