Reisen in die Heimat 1964 – Kreisstadt Zielenzig
Reisen in die Heimat 1964 – Kreisstadt Zielenzig
Im Juli und September 1964 waren einige Landsleute von uns aus der SBZ in Zielenzig. Sie fuhren mit dem Auto und dies machte die Fahrt an sich angenehmer. In rund zwei Stunden waren sie auf der Autobahn über Frankfurt (Oder) am Grenzübergang. Die Zollabfertigung war hüben und drüben zuvorkommend und reibungslos.
Die Fahrten gingen weiter über Kunersdorf-Drossen, bzw. über Drossen-Sonnenburg-Limmritz-Louisa bis nach Albrechtsbruch und weiter nach Zielenzig. Die Straßen waren überall in einem guten Zustand und ordentlich ausgeschildert. Die Straße über Burgwall-Mauskow-Trebow ist prima in Ordnung und hat eine neue Schwarzdecke erhalten.
Auch der Wald sieht gut gepflegt aus.
Langenfeld hat ziemlich wenig gelitten. Der Zwiebelturm ist in alter Pracht vorhanden, nicht dagegen das frühere Chausseehaus und der Schulzesche Gasthof. Der Gasthof von Weiß sieht fast noch so aus wie früher, nur scheint er keine Gastwirtschaft mehr zu sein.
Im herrlichen Sonnenschein lag beide Male, von den Lan-genfelder Bergen aus gesehen, Zielenzig. Aber es war nicht mehr der alte Kirchturm und unser wirklich architektonisch schönes Rathaus zu sehen. Man fühlte unwillkürlich, dass es nicht mehr die alte, in der Erinnerung gebliebene Heimatstadt ist. Langsam wurde in die Breite Straße eingebogen, durch die Lange Straße über den Marktplatz, die Ostrower Straße entlang, die Schermeiseler Chaussee hoch, bis zur ersten Querstraße links einbiegend zu Frau Waldow gefahren.
Frau Waldow empfing alle sehr herzlich. Und als alle am Tisch saßen und die Mitbringsel ausgepackt wurden, kamen der Frau Waldow doch ein paar Tränen der Rührung.
Nach dem Mittagessen wurde mit der Tochter Rita von Frau Waldow die Stadt besichtigt. Jedoch ist es nicht mehr unser Zielenzig. Wohl schaut hier und da das alte Stadtbild von den noch stehengebliebenen Häusern hindurch, aber oftmals muss man sein Gedächtnis stark in Anspruch nehmen, um das alte einstmals Gewesene in Erinnerung zu bringen.
Die Siedlung ist vollständig erhalten geblieben, die Häuser sehen von außen gut und gepflegt aus. Der Kirchhof an der Invalidenstraße – Eingang bei der Villa Weber – ist verwildert und von Brennesseln und anderem Unkraut überwuchert. Der Eingang ist zugemauert. Sämtliche Denkmäler sind entfernt worden. Die Friedhofskapelle ist dem Verfall preisgegeben.
Beide Schulen sind erhalten geblieben. Da jede Familie durchschnittlich 6–8 Kinder hat, muss der Unterricht vor- und nachmittags abgehalten werden.
Die Promenade ist nicht besonders gepflegt. Das Bismarck-denkmal wurde ja unbegreiflicherweise schon nach 1933 entfernt und der Boden eingeebnet. Die alten Hauptwege sind noch vorhanden, aber man geht trotzdem über die Rasenflächen hinweg. Das Restaurant „Bürgergarten“, ganz früher einmal Schützenhaus und bewirtschaftet von zwei Schwestern des berühmten Kapellmeisters Piefke, sieht jetzt besser aus als früher, denn es ist neu abgeputzt und hat oben neue Doppelfenster erhalten; es ist von einer Gastwirtschaft zum katholischen Pfarrhaus avanciert.
Als Rathaus wird die Neuenfeldsche Villa verwendet.
Wenn man jetzt in der Hinterstraße bei der Loge links einbiegt, sieht man nur noch das Haus von Schneidermeister Höpfner und im Hintergrund gleich die Breesener Berge. An der Postum entlang zum Weinberg sind die Holzbrücken über die Postum auch nicht mehr da und man sieht linker Hand so richtig das volle Ausmaß der zerstörten Stadt.
Erhalten geblieben sind das E-Werk, die Badeanstalt, Gatz-manns Villa und der Weinberg mit dem Sportplatz und der Schießhalle der früheren Schützengilde. Den großen Saal des Weinbergs hat man getrennt. Man kann deutlich den ehemaligen alten gemütlichen Saal erkennen. Dieser Saal dient jetzt als Jugendklub-Saal. Er ist nett eingerichtet; die Sessel und Tische sind sehr vielfarbig. In der Mitte des Saales ist eine kleine Tanzfläche; alles übrige ist mit rotem Läufer ausgelegt. Der Fußboden ist Parkett. Hier darf kein Alkohol ausgeschenkt oder mitgebrachter getrunken werden. Der große Saal wird als Theatersaal und auch für sonstige große Veranstaltungen verwendet.
Das Kreishaus ist nicht mehr; nur die große ummauerte Linde auf dem früheren Kreishaushof steht noch.
Das Cafe Radach ist auch wieder in Betrieb. Dagegen bestehen Kupkes Gasthof und das Kino auch nicht mehr. Vor diesem Grundstück ist eine große Tankstelle.
Das Krankenhaus ist wiederhergerichtet und sogar um einen Stock erhöht. Dr. Eskes Haus ist neu aufgebaut. Die Alt-Lutherische Kirche, die Malzfabrik, die Molkerei und das Gehöft von Brunnenbauer Schulz sind auch nicht mehr da. Die Kirchhofsmauer ist gleichfalls entfernt worden. Die großen Feldsteine hat man zum Ausbau der Badeanstalt am Bürgersee verwendet.
Kaufhaus Peikert-Löffler ist jetzt als modernes Cafe eingerichtet. Im Lichthof ist eine Tanzfläche. Auch dieses Cafe macht einen sehr sauberen und netten sowie gepflegten Eindruck.
Die Umgebung des Marktplatzes und der Marktplatz selbst sind nicht wiederzuerkennen, wie das eingefügte Bild bezeugt.
Die Kirche steht völlig im Freien. Die Schulstraße ist zur Hälfte – nach dem Marktplatz hin – ohne Häuser. Das „Rote-Kreuz-Haus“ (früher Zoch) vor der Kirche steht einsam und verlassen da. Unmittelbar neben dem Hause – also zwischen Pfarrhaus und „Rotes-Kreuz-Haus“ – führt eine breite, steinerne Treppe zum Haupteingang der Kirche herunter.
Die spärlich vorhandenen Läden der schon wieder 7000 Seelen großen Stadt sind bis spät abends geöffnet, und zwar so lange, bis kein Kunde mehr kommt. Aber überall sind Kioske aufgestellt, z. B. bei Daase, Woll-Kaßner, Landbundhaus und auf der Promenade. Der Saal des Landbundhauses ist als Kino umgebaut. Auf dem ehemaligen Hausgrundstück ist eine Grünanlage, mit Blumen bepflanzt, geschaffen.
Die Vorstadt ist gar nicht beschädigt. Das Bahnhofsgebäude ist auch nicht mehr da. Als Bahnhofsgebäude hat man das danebenstehende frühere Beamtenwohnhaus eingerichtet.
Die Pi-Bauten an der Herzogswalder Straße beherbergen jetzt die Kreisverwaltung. Zielenzig ist wieder Kreisstadt geworden.
Man fängt auch an, Wohnungen zu bauen. So entstehen in der Stadt viele Neubauten.
Auch dem Stadtwald und dem Bürgersee wurde ein Besuch abgestattet.
Es ist natürlich alles ganz anders geworden. Kein deutsches Wort, nur polnische Laute hört man noch. Die Jugenderinnerungen wurden hellwach. Ja, liebe Heimat, wie warst du einstmals doch so schön!
Am Spätnachmittag wurde Zielenzig wieder verlassen. Einmal wurde noch durch die Stadt gefahren. Viele gute Wünsche und Grüße gab Frau Waldow und ihre Familie mit auf den Weg; auch an alle diejenigen, die sich ihrer Vaterstadt erinnern. Das Fotografieren wurde nicht gern gesehen.
In Zielenzig sind noch vier frühere deutsche Familien, von denen tatsächlich nur noch eine die alte deutsche Staatsangehörigkeit besitzt; diese Familie stammt aus Ostpreußen und ist in Zielenzig hängengeblieben. Wirtschaftlich geht es allen jetzigen Einwohnern von Zielenzig nicht besonders. Polen hat die schweren Kriegsfolgen noch lange nicht überwunden.
Diesen Bericht habe ich auf Grund mir überlassener Unterlagen aus dritter Hand zusammengestellt.