Fahrt nach Ostrow 1967
Fahrt nach Ostrow 1967
Wie sieht es heute in unserer alten Heimat aus? Was sind es für Menschen, die jetzt dort leben? Diese Fragen haben wir alle uns schon oft gestellt. Es ist nicht leicht, einen wirklich guten Bericht von dort zu bekommen. Es gelang mir aber, einen sehr ausführlichen Briefbericht auf Umwegen über mein Heimatdorf Ostrow im Kreise Oststernberg zu bekommen. Die Schreiberin dieses Briefes und ihr Ehemann leben in der Mittelzone, sie waren 1967 in Ostrow und Biberteich und schilderten mir ihre Eindrücke von dort. Aus bestimmten Gründen muss ich den Text ihres Berichtes an einigen Stellen abändern oder rein persönliche Mitteilungen weglassen. Nun der Bericht:
… Um 5.00 Uhr fuhren wir mit unserem Auto von W. los, gegen 6.00 Uhr waren wir am Grenzübergang in Frankfurt (Oder). Die Abfertigung am Oder-Grenzübergang verlief auf beiden Seiten schnell und gut, sodass wir schon um 7.30 Uhr in Biberteich eintreffen konnten. Die Straßen nach dort waren in einem sehr guten Zustand, fast durchweg mit einer Teerdecke versehen, aber doch ohne großen Verkehr. Meine Schwiegereltern hatten in Biberteich einen größeren Bauernhof. Jetzt bewohnen ihn nette und sehr gastfreundliche polnische Leute, von denen wir sehr gut aufgenommen und zum Frühstück und Mittagessen eingeladen wurden. Es gab die ersten Frühkartoffeln; die extra für uns im Garten gehackt und gekocht wurden; dazu kam selbstgemachte Butter auf den Tisch. Ich musste mich als Dolmetscher betätigen. Du weißt sicher noch, dass ich 1945 nach Russland gebracht wurde, wo ich die russische Sprache soweit lernte, dass ich mich mit dem polnischen Mann ganz gut verständigen konnte. Nur hatten wir damals sehr schlechtes Wetter, es regnete fast ununterbrochen, so dass wir uns wenig vom Dorf ansehen konnten. Der Pole arbeitet in Zielenzig in einer Fabrik, doch ist der Verdienst sehr gering. So kostet z. B. ein Anzug etwa 2000 Zloti. Die dort in unserer Heimat lebenden Polen haben alle viel Vieh, damit halten sie sich am Leben; Brot und Wurst müssen sie in Zielenzig einkaufen.
Inzwischen war es 13.30 Uhr geworden, wir fuhren nun weiter über Reichen, Breesen, Zielenzig nach Ostrow. Die Zielenziger Nikolaikirche ist nur noch halb so hoch wie sie einst war; der halbe Turm fehlt. Das Krankenhaus ist auch wieder mit Patienten belegt. In dem Elektrowerk Kaiser in Ostrow wird wieder gearbeitet.
Von Zielenzig kommend, sind wir erst durch das ganze Dorf zum Ostrower Friedhof gefahren. Die Friedhofsmauer am Schönwalder Weg ist noch gut erhalten. Wir sind nur bis zum Grab meines Vaters gegangen (er starb 1945), denn der Friedhof ist völlig überwuchert, das Gras war sehr hoch und durch den Dauerregen vollkommen nass. Die Lebensbäume sind in den 22 Jahren riesig gewachsen, desgleichen die Fichten, Kiefern, Eschen und Linden. Von Weitem sahen wir auf dem Erbbegräbnisplatz der Familie vom Mühlengut Schroeter noch einige große Grabdenkmäler stehen, am Ausgang am Reichener Weg, wo Eure Angehörigen ruhen (gemeint ist das Erbbegräbnis der Familie Lindner/Gastwirt Krause, also die Begräbnisstätte der Familie des Verfassers). Vom Friedhof führte unser Weg zu dem Haus, in dem ich einst mit meinen Angehörigen wohnte. Wir waren noch nicht ganz bis zur Haustür, da ging diese schon auf und eine junge Frau kam aus dem Haus. Sie machte keinen freundlichen Eindruck, ich fragte sie aber doch, ob wir auch das Haus einmal betreten dürften. Darauf sagt sie kurz und bündig „nein“, auch das Fotografieren erlaubte sie uns nicht. In einem Redeschwall sagte sie u. a.: „Die Deutschen machen mit solchen Sachen nur Aufsehen und Propaganda.“ – Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie schmutzig diese Frau war, auch das Kind, das sie auf dem Arm trug, klebte vor Dreck. An den Fenstern ihrer Wohnung hatte sie alte Lappen hängen. Aber meine Lieben, stellt euch vor, unsere alte Hundehütte stand noch auf demselben Platz. Der Taubenschlag, den sich mein Bruder gebaut hatte, war auch noch vorhanden.
Im Haus am Friedhof, es gehörte Hermann Röstel, bis 1945 wohnte dort Richard Kramer, wohnt jetzt Frau Reimann. Die Reimanns haben 1945 für Polen optiert. Der verstorbene Ehemann Reimann stammte aus der Gegend von Kalisch in der Provinz Posen. Wir gingen zu Frau Reimann, die gerade Besuch hatte; ihr Bruder aus Frankfurt (Oder) war dort. Dadurch hatten wir Glück, denn er spricht sehr gut Polnisch. Wir baten ihn, mit uns einen Gang durch Ostrow zu machen, was er gern zusagte. Nun werde ich schreiben, was ich sah, wenn auch nicht immer der Reihenfolge nach. Das Bauernhaus von Hermann Röstel steht nicht mehr (Es war mit Rohr gedeckt. Der Verfasser), aber seine Scheune am Bresener Weg steht noch. Die Mühle vom Gut Schroeter ist voll in Betrieb. Bei Paul Zickert sieht es noch gut aus. Das Haus von Wagnermeister und unserem letzten Bürgermeister Erich Krause steht nicht mehr. Beim Gastwirt Wilhelm Krause haben wir durch die Fenster gesehen; es fehlen am ganzen Gebäudekomplex die Fensterläden (Siehe Foto von 1964. Der Verfasser). Der Tanzsaal ist noch erhalten, die Gaststube ist zu einem Kaufladen umgestaltet. Das kleine Haus von Gustav Fitzke, später Richard Möbus, ist nicht mehr vorhanden. Bei Ernst Lindner steht kein Gebäude mehr. Es ist der Hof des Verfassers; wie von anderer Seite berichtet wurde, standen diese Gebäude 1964 noch. Auf dem Schmiedeberg, auf dem bis 1933 das alte Spritzenhaus stand, steht heute ein Kruzifix, das von zwei Blaufichten flankiert ist. Das Haus von Schmiedemeister Warwinski befindet sich noch in gutem Zustand. Vor dem Hof von Richard Klamm steht noch die alte Linde, in deren überirdischen Wurzeln wir als Kinder so gern spielten, aber das dazugehörige Bauernhaus steht nicht mehr. Das kleine Haus von Hermann Lindner ist auch weg, doch sein Bauernhaus befindet sich in gutem Zustand, desgleichen der Stall, in dem Waschküche und Backstube eingebaut sind. Vorn in der Veranda war Kinderwäsche aufgehängt, an allen Fenstern hingen Gardinen. Von einer Hausecke zur anderen hatte man einen Zaun gezogen. Nun gingen wir zum Haus von August Kaldun, das von außen nicht mehr gut aussieht; überall fällt der Putz von den Hauswänden ab. Unser Begleiter klopfte an die Haustür, worauf eine alte Frau öffnete und uns bat einzutreten. Durch das Fenster sah ich noch ein Stück vom Backofen stehen. Das Haus von Peter Benndello steht auch noch. Bei Otto Bennewitz steht nur noch ein Teil von Stall und Scheune ohne Türen und Fenster. (Das Gehöft wurde schon 1945 von den Russen abgebrannt, weil in einem Schrank dort Uniformstücke gefunden wurden.) Bei Julius Erbt sahen wir ein Pferd aus dem Stall schauen; vor seiner Scheune steht noch die alte Fichte. Das Wohnhaus von ihm sieht auch noch gut aus, wie auch die von den nachgenannten Besitzern. Wir gingen vorbei an Frieda Meister, geb. Walde, Wilhelm Lindner, Fritz Busch, Paul Kubsch (dort wohnte zuletzt Paul Schade), Karl Möbus, Johann Münchberg, Karl Fieke, Karl Mauske, Wilhelm Röstel, Fritz Raschick, dann standen noch das Feuerwehrdepot und das „Lange Haus“ (Besitzer waren Ferdinand Wolf und eine Familie Schulz. Der Verfasser), weiter Adolf Witke, Wilhelm Fabian, Karl Schindler, Bratz-Nehme, Karl Owege und an der Schule und der Kirche. Gern wollte ich mal in das Innere der Kirche schauen, doch die Türen waren verschlossen. Einige Fotos von der Kirche habe ich aber noch machen können.
Also Ihr Lieben, Ostrow ist gegenüber den anderen Heimatdörfern noch in gutem Zustand. Biberteich war dagegen ein wüster Ort. –
Nun ging unsere Fahrt über Tauerzig, Malsow und Sternberg zurück nach Frankfurt an der Oder. Die ganze Besuchsfahrt in unsere liebe alte Heimat war wie ein Traum nach so vielen Jahren der Verbannung.