Der Königswalder-Reitzensteiner Forst
Der nordöstliche Teil des Starnberger Kreises war früher auf den geographischen Karten in französischer Sprache als „le désert de Waldow“ zu deutsch: „die Waldowsche Wüste“ bezeichnet. Höchstwahrscheinlich stammte diese Bezeichnung aus der Zeit der Durchmärsche französischer Truppen nach Russland im Jahre 1812. Bis zu einem gewissen Grade und zu einer gewissen Zeit bestand jene Bezeichnung zu Recht, aber dies alles liegt sehr, sehr lange zurück. Nach dem Ende der Eiszeit blieben zertrümmerte und zerriebene Gesteine als Lehm, Kies und Sand zurück. In der Gegend des Königswalder-Reitzensteiner Forsts überwog bei weitem der Sand. Kein Gras, kein Strauch, überhaupt kein Pflanzenwuchs hielt diese Sandmenge fest und andauernde Stürme trieben sie zu kleineren und größeren Hügeln zusammen. So entstand in dieser Periode ein Dünengebiet. Aus der Richtung der Dünenzüge schlossen die Geologen auf die Richtung der Stürme, unter deren Einwirkung sie entstanden waren. In dem Königswalder-Reitzensteiner Forst konnte man ganz deutlich von Ost nach West streichende Wellen erkennen. Der so entstandene Dünensand enthielt naturgemäß nur sehr geringe Pflanzennährstoffe. Jedoch ist dann, wie überall, auch auf dieses öde Gebiet allmählich ein Pflanzenwuchs übertragen worden, wobei die Kiefer bei ihrem sehr genügsamen Ansprüchen den beherrschenden Baumbestand bildete. Vereinzelt im Revier gab es an mineralisch kräftigeren Bodenflächen auch Eichen und Buchen, so das sogenannte Eichfier und bei Reitzenstein die Gräbereichen. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts war die Kiefer die allein herrschende Holzart geworden, bedingt auch durch die Entwässerung des angrenzenden Warthebruches und die dadurch entstandene Senkung des Grundwasserstandes. Sie erfreute sich kräftigen Wuchses und hohen Alters.
Die Hauptverkehrswege waren damals in Richtung von Landsberg a. d. W. über die sogenannte alte „Schneidemühl-Brücke“ zwischen Papiermühle und Jahnsee. Die Papiermühle bestand schon lange nicht mehr. Der Name wies aber darauf hin, dass dort einmal ein Sägewerk gestanden haben muss. Der Weg selbst war auch zum großen Teil nicht mehr auffindbar. Von Westen nach Osten durchschnitt das Forstrevier auf weite Strecken die alte Schweriner Straße. Für die Wagen der verkehrenden Handelsleute ist es sicher ein saures Stück Arbeit gewesen, diese Wegestrecke zu überwinden, denn sie durchzog große Strecken allertiefsten Sandes. Durch den 1835 erfolgten Bau der Chaussee von Berlin über Küstrin und Schwerin a. d. W. nach Posen geriet die vorstehend beschriebene Wegestrecke gänzlich außer Benutzung. Im 17. und 18. Jahrhundert den Forst zu durchziehen, dürfte nicht immer gefahrlos gewesen sein, denn zu jener Zeit hauste in den großen Waldungen der ganzen Gegend noch der Wolf. Daran erinnerten im Königswalder und Reitzensteiner Forst zwei Stellen: der Wolfsverhau und der Wolfsfang, letzterer unweit des Weges nach Wilhelmsthal. Im Wolfsverhau wurden die Wölfe gefangen; sie wurden durch Tierkadaver angelockt. Die Lockspeise musste die Abdeckerei liefern, dafür hatte sie das Recht, gefallenes Vieh unentgeltlich zu bekommen. Nach einwandfreien Nachrichten haben sich die Wölfe jetzt wieder bis zur Oder verbreitet und es dürfte nicht ausgeschlossen sein, dass auch der Königswalder-Reitzensteiner Forst wieder Wölfe beherbergt. Als noch recht primitiv muss zu Anfang des 19. Jahrhunderts der Forstbetrieb bezeichnet werden. Regelmäßige Schläge wurden wohl kaum geschlagen, sondern die Nutzung des Waldes geschah durch das Aussuchen und den Einschlag bestimmter Holzstämme durch die Kauflustigen. Begründet war diese unvollkommene Forstausnutzung in dem Fehlen sowohl einer holzverbrauchenden Industrie als auch der nötigen Verkehrswege. Als Beispiel aus jener Zeit sei angeführt, dass damals ein Händler das Recht erhielt, sich in dem Königswalder Forst ganz nach Belieben 1000 Wahlblöcke zu schlagen gegen Zahlung von einem Taler je Stück. Sicher hat sich der Käufer die längsten und stärksten ausgesucht. Eine andere Art der unmittelbaren Holznutzung bestand darin, dass an bestimmten Tagen die Bewohner des Warthebruchs mit Wagen und Axt in den Wald kamen und dort selbst Hölzer — wahrscheinlich nur trockene — einschlagen durften. War dies geschehen, so mussten sie mit der vollen Fuhre auf einem bestimmten Wege das Revier verlassen und dabei eine Hütte passieren, in welcher sie der Förster erwartete. Dieser schätzte den Wert des geladenen Holzes ab, nahm Zahlung entgegen und die Käufer fuhren dann ihrer Wege. Der sogenannte „Budehberg“ bei Reitzenstein, am Eingang des Waldes, erinnerte noch daran, wo die Hütte gestanden hat. Wollte in den 30er- und 40er-Jahren des vorigen (19.) Jahrhunderts ein Landwirt in der Umgebung des Königswalder-Reitzensteiner Forsts bauen, so begab er sich zu der Oberförsterei in Waldowstrenk, welcher er die Größe des zu errichtenden Gebäudes angab. Diese bestimmte dann, wieviel Hölzer gebraucht wurden, fuhr mit dem Landwirt in den Wald, zeichnete die ausgesuchten Hölzer an und der Käufer hieb sie selbst nach Erlegung des Kaufgeldes. Außer der geschilderten Holznutzung haben auch in früheren Zeiten schon indirekte Nutzungen in erheblichem Umfange stattgefunden, und zwar durch Verarbeitung in leicht transportable und verkaufsfähige Produkte. Neben der Teerschwelerei, die ausgiebig betrieben worden ist, wahrscheinlich jedoch nur unter Verarbeitung von Stubben, wurde die Köhlerei in erheblichem Umfange ausgeübt. Die Holzkohle war damals ein sehr gesuchtes Brennmaterial für Schmiede, Klempner, Kupferschmiede und andere handwerkliche und industrielle Betriebe. Im Jahre 1927 wurde nochmals der Versuch unternommen, die sehr großen Mengen von schwachem Brennholz, welches infolge des Forleulenfraßes zum Einschlag kam, durch Köhlerei zu nutzen. Als 1200 Raummeter zu einwandfreier Kohle umgewandelt waren, fand sich niemand, der sie kaufen wollte, ja sogar das Angebot der unentgeltlichen Abgabe blieb erfolglos. So hatten sich die Zeiten geändert.. In der Erkenntnis, dass auch die Forsten, ebenso wie die Landwirtschaft, einer geregelten Wirtschaft bedurften, entschloß man sich um die Mitte der 1870er-Jahre, eine fest geregelte Waldwirtschaft einzuführen. Wie in der Landwirtschaft, so blieben auch hier die Fehlschläge nicht aus. Zwei schwere Fräße des Kiefernspinnerns trafen den Königswalder-Reitzensteiner Forst. Überaus große Verluste waren die traurige Folge. Ferner zerstörte im Jahre 1911 ein großer Waldbrand etwa 1000 Morgen und anschließend im staatichen Schweriner Revier sogar gegen 8000 Morgen. In den Jahren 1922 und 1923 fraß die Forleule den Wald in seiner ganzen Ausdehnung völlig kahl mit Ausnahme von jungen Beständen. Glücklicherweise begrünten zum weit überwiegenden Teil die Kiefern wieder, jedoch entstand eine außerordentliche Lichtung und eine schwere Wertminderung. Verwaltet wurde der rund 40 000 Morgen große Königswalder-Reitzensteiner Forst durch das von Waldowsche Forstamt Waldowstrenk. Der letzte Forstamtsverwalter war Forstmeister Lehmann. Ihm zur Seite stand mindestens ein halbes Dutzend Revierförster. Brot und Lohn fanden in dem Königswalder-Reitzensteiner Forst rund 600 Arbeiter. In der Vorzeit waren in diesem Forstrevier auch Elch und Auerochse vertreten, denn man hat bei Fließräumungen sowohl die Schaufel eines Elchhirsches als auch den mit seinen Hörnern wohlerhaltenen Schädel eines Auerochsen gefunden. Waren auch jene Urwildarten längst, längst aus- gestorben und vergessen, so bevölkerte doch ein leidlicher Stand von Rotwild das Revier und Kreisjägermeister Otto Schmoock hat mir wiederholt erzählt, dass er die schönsten Tage seines Jägerlebens während der Hirschbrunft in dem Königswalder-Reitzensteiner Forst verlebt hat. Der Rehbestand war infolge der kärglichen Äsung nur gering; ebenso diejenige an Schwarzwild.