Entwicklung von Wallwitz
Aus handschriftlichen Aufzeichnungen von Werner Henschke
(Datum unbekannt)
Im Nachlass von Werner Henschke, den er mir ca. 1990 Wallwitz und das Sternberger Land betreffend überließ, weil er zu erblinden drohte, fand ich einen handschriftlichen Artikel, den ich nun abschrieb. –
Woher kam der Name Dikte? Allen Wallwitzern war die Dikte bekannt als ein Ort, wo besonders viele Blaubeeren wuchsen. Die Wallwitzer Kinder holten sich in der Försterei einen Sammelschein für die Beeren und pflückten dort massenhaft Blaubeeren, die sie teilweise auch verkauften.
Henschke wurde zum Schluss tatsächlich total blind.
R. Pankow
Betrachten wir die Entwicklung der politischen Gemeinde Wallwitz. Nach einem verheißungsvollen Anfang im 13. Jahrhundert erfolgte ein fünfhundertjähriges Dahindämmern bis zum Jahre 1810 und dann in gut 100 Jahren ein stetiger Aufstieg zu einer selbstständigen Gemeinde.
Bei der ersten deutschen Landnahme im 13. Jahrhundert gab es nur freie Bauern in einem Dorfe. Sie kamen unter der Führung eines „Lokators“, der die Siedler im Magdeburger Raum in das Land rechts der Oder angeworben hatte. Dem Lokator wurde für seine Arbeit das Amt eines „Dorfschulzen“ übertragen, und er erhielt das steuerfreie „Lehngut“, das meistens um 300 Morgen groß war.
Dem Landesherrn, das war der Markgraf von Brandenburg, und dem Bischof von Lebus musste nach einigen Freijahren ein Zins gezahlt werden. Wann das Dorf Wallwitz gegründet oder wann eine polnische Kleinsiedlung ausgebaut wurde, wissen wir nicht. Es dürfte aber zwischen 1250 und 1300 gewesen sein.
Im 14. Jahrhundert begann eine schwere Zeit für die Kolonisten. Mehrere Einfälle von polnischen Raubgruppen dezimierten die Bevölkerung. Viele Bauern suchten die Sicherheit der schon mit Mauern umgebenen Städte auf und fanden dort als Handwerker Arbeit und Brot.
Von 1348–1352 forderte die Pest ungezählte Menschenopfer und auch der Übergang der Landesherrschaft nach dem Aussterben der Askanier an die Familie der Wittelsbacher löste eine wirtschaftliche Krise aus.
Die Heere bestanden in jener Zeit hauptsächlich aus Reitern, und so wurden die Ritterfamilien für den Landesherrn zu einer unentbehrlichen Elite-Gruppe, auf die er angewiesen war. So war es kein Wunder, dass die adligen Familien bevorzugt behandelt wurden und die oft menschenleeren Dörfer als Lehen erhielten. In vielen Fällen wurden Polen dort angesiedelt, die nach wenigen Generationen deutsch sprachen und als Deutsche angesehen wurden. Aber sie hatten nun einen Gutsherren über sich, und die Bauern waren zu Hörigen geworden.
Leider haben wir kaum Urkunden über das Jahrhunderte dauernde Abhängigkeitsverhältnis, und auch die Namen der Bauern fehlen mit ganz seltenen Ausnahmen. In dem Urkundenmaterial der Herren von Winning erfahren wir lediglich aus dem Jahre 1681, dass ein Joachim Friedrich von Winning von Eva von Kalckreuth 200 Taler entlieh und als Pfand das in Wallwitz erkaufte Gut und zwei Bauern verschrieb, nämlich Paßken und Hans Schneider. Das sind die ersten bäuerlichen Namen aus Wallwitz; denn die Kirchenbücher beginnen erst mit dem Jahre 1768. Die älteren Kirchenbücher hatte man im Siebenjährigen Krieg aus Sicherheitsgründen in die Festung Küstrin gebracht. Die russischen Truppen beschossen aber vor der Schlacht von Zorndorf (August 1758 ) die Festung mit Brandgranaten, und die in Küstrin sicher geglaubten Akten gingen in Flammen auf. Es verbrannten auch die Sternberger unersetzlichen Urkunden für die Geschichts- und Familienforschung.
Aus früheren Zeiten fand sich nur ein Vermerk aus dem Jahre 1601, dass die Gutsherrschaft außer ihren Ritterhufen noch zehn Bauernhufen an sich gebracht hatte.
Eine Aufzeichnung aus dem Jahre 1662, also 14 Jahre nach der Beendigung des Dreißigjährigen Krieges gibt uns Auskunft, dass es in Wallwitz 32 Ritterhufen gab. Dann werden 16 Bauernhufen mit je 1–3 Hufen aufgeführt; davon lag ein Hof aber wüst. Außerdem soll es in diesem Jahre 20 Kossätenwirtschaften (Halbbauern) in unserm Dorfe gegeben haben. Aber 16 lagen „wüst“, d.h. sie hatten keinen Besitzer.
Aus dem Jahre 1785 stammt eine Statistik über Wallwitz, dass es dort neben drei Gütern sieben Bauern und 17 Kossätenwirtschaften gegeben haben soll. Außerdem wurde vermerkt, dass weder ein Krug noch eine Mühle vorhanden war.
Wie schnell sich aber die Verhältnisse in 30 Jahren ändern konnten, zeigt eine Aufstellung nach den Steinschen Reformen. Die befreiten Bauern unterlagen einer strengen Gliederung nach der Größe ihrer Höfe. Um 1820 gab es in Wallwitz ohne Rittergut 36 Wohnhäuser, in denen 165 Leute wohnten. Davon waren:
5 Ganzbauern
13 Ganzkossäten (Halbbauern)
8 Halbkossäten (Viertelbauern)
3 Büdner (Eigentümer)
3 Einlieger (die bei einem Bauern zur Miete wohnten) und
1 Schmied.
Die Wohnhäuser des Gutsherrn und der Gutsarbeiter fehlen – bei der obigen Aufgliederung – Die von der Gutsuntertänigkeit befreiten Bauern waren nicht bereit, verbriefte Rechte ohne entsprechenden Ausgleich abzugeben. Eines dieser Rechte war die Eichelmast.
Bevor Friedrich der Große – teilweise sogar mit Zwang – den Anbau von Kartoffeln anordnete, war es für die Bauern schwer, die gefräßigen Schweine zu schlachtreifen Tieren heranzufüttern. Die Bauern hatten deshalb seit Jahrhunderten das Recht, die Borstentiere in die staatlichen – oder damals noch „königlichen“ – Wälder zu treiben, damit sie dort Eicheln und Bucheckern fressen konnten. Die Schweine richteten aber besonders in jungen Beständen ungeheuren Schaden an, sodass die Forstbeamten die Abschaffung der Eichelmast beantragten. Die Bauern forderten aber eine Entschädigung, und die wurde ihnen nach 1830 auch gewährt. An der Spiegelberger Straße erhielt jeder Bauer einen Landstreifen von vier Morgen. Die neuen Besitzer konnten den Baumbestand abholzen, die Stubben roden und die neuen Felder bestellen.
Der Vertrag zwischen dem Forstfiskus und den Wallwitzer Landwirten war ein vierseitiges Aktenstück, eingeheftet in einen blauen Deckel. Auf einem weißen Etikett stand schwungvoll geschrieben:
DICTE
zu Zielenzig
und dann folgte das Datum, das ich nicht mehr wiedergeben kann. Das Wort „Dicte“ bedeutet „gegeben“ oder „verhandelt“.
Dadurch erhielten die neuen Landstücke einen Namen. Es waren „die Dicten“; in der Einzahl „die Dicte“. Diese Flurnamen blieben bis 1945 für jeden Wallwitzer feste Begriffe. – Einige Jahrzehnte später erwarb die Forstverwaltung an der Chaussee Koritten-Spiegelberg mehrere abgelegene Flurstücke und forstete sie auf. Dann errichtete man an der neuen Straße eine Försterei, die ebenfalls den Namen „Dicte“ erhielt. Man kann die Bezeichnung auf jeder Karte (vor 1945) nachlesen. Aus dem c war aber inzwischen ein k geworden.