Mord in Tempel – Leben Sie wohl, Honig!
In Zielenzig und den umliegenden Dörfern war es Sitte, dass, wenn ein Skatspieler alle vier Buben in der Hand hatte, er beim zehnten und letzten Stich, den er den Gegnern abnahm, besonders kräftig mit der Faust auf den Tisch schlug und dabei rief: „Leben Sie wohl, Honig!“ Aber auch bei mancher anderen Gelegenheit konnte man diese Redensart hören. Dieser Redensart lag eine sehr ernste Begebenheit zugrunde.
Am Sonntag, dem 23. August 1840, während der Kirchzeit hat der Hilfslehrer Johann Friedrich Wilhelm Honig in Tempel die Witwe des Lehngutsbesitzers Penther daselbst auf deren Hof mit eigener Hand heimlich erdrosselt. Die Ursache zu dieser schrecklichen Tat war, dass der Hilfslehrer mit der Witwe ein Liebesverhältnis angeknüpft hatte, das nicht ohne Folgen geblieben war. Er fürchtete daher für seine Stellung, zumal die Witwe nicht auf den Vorschlag eingehen wollte, das Kind in Schwiebus unbemerkt zur Welt zu bringen.
Was nun folgt, werden wir, da wir die Todesstrafe nicht mehr kennen, mit Grauen lesen. Es ist ja auch schon rund 170 Jahre her.
Also: Durch die am 1. März 1841 publizierte Erkenntnis des Kriminalsenats des Oberlandgerichts zu Frankfurt (Oder) wurde erkannt, dass der unglückliche Honig „wegen Mordes an der schwangeren Witwe Penther zur Richtstätte zu schleifen und mit dem Rade von oben nach unten vom Leben zum Tode zu bringen“ sei. Verdeutlicht heißt dies, dass der Verurteilte vom Gerichtsgefängnis zu Zielenzig (Rathaus) bis zur Randheide, wo die Hinrichtung stattfand, also auf eine Entfernung von reichlich drei Kilometern, nicht gefahren oder geführt, sondern geschleift werden sollte. Dort sollte ihm dann mit einem schweren Rade jeder Knochen einzeln zerstampft werden, wobei in diesem Fall wenigstens gleich mit dem Kopf und nicht, wie in noch schwereren Fällen, mit den Beinen begonnen werden sollte.
Der König milderte dieses Urteil im Gnadenwege dahin ab, dass der Verurteilte mit dem Beil vom Leben zum Tode zu befördern war. Damit entfiel auch das Schleifen zur Richtstätte. Das Hinrichtungsprotokoll, datiert „Zielenzig, den 1ten May 1843″, macht die Gerichtsgebräuche von vor 170 Jahren besonders anschaulich. Es lautet:
„Nachdem zur Hinrichtung des Hülfslehrers Honig alle nöthigen Vorbereitungen getroffen worden waren, wurde Delinquent heut Morgen 5 ½ Uhr in seinen zu diesem Zwecke aufbewahrten, noch ziemlich guten Kleidungsstücken auf einen gewöhnlichen Leiterwagen gesetzt, angeschlossen und in Begleitung der beiden Gerichtsboten Kayser und Gaedicke unter Eskorte des Gensdarmen-Wachtmeisters Zander und 6 Gensdarmen nach dem etwa ¼ Meile von der Stadt bele-genen Richtplatze an dem nach Kriescht führenden Wege gebracht, woselbst bereits der Kreis-Landrath Sydow durch die aus den 17 zur Jurisdiction (Gerichtsbarkeit) des Königl. Land- und Stadtgerichts hierselbst gehörenden Dörfern vollständig eingetroffenen Schutzmannschaften, denen sich die hiesige Schützengilde angeschlossen, einen festen Kreis um das Blutgerüst hatte bilden lassen, um den zu befürchtenden Andrang der Zuschauer abzuhalten. Um diesen Zweck noch sicherer zu erreichen, hatte der hiesige Magistrat auf Ansuchen um den Richtplatz einen starken Lattenzaun ziehen lassen, und innerhalb des dadurch abgeschlossenen Raums waren die Schutzmannschaften dergestalt aufgestellt, daß zwischen ihnen und dem äußeren Lattenzaun ein Raum von etwa 12 Fuß (rund 4 m) frei blieb, in welchem die Gensdarmen und Polizeidiener aufgestellt wurden, um jedes Überschreiten des Zaunes zu verhindern.
Diese Anordnungen bewährten sich vollkommen, denn obwohl nach ungefährer Schätzung zwischen 6000 bis 7000 Menschen (also mehr als die letzte Einwohnerschaft von Zielenzig von 1945) herbeigeströmt waren, so wurde die Ordnung doch nicht im geringsten gestört, wozu allerdings auch der Umstand beitrug, dass man den Richtplatz in einer durch nahe belegene Berge umgebene Vertiefung ausgewählt hatte, derselbe daher von einer großen Masse von Menschen sehr gut übersehen werden konnte. Der Delinquent trat einige Minuten vor 6 Uhr am Richtplatze ein, wurde von den beiden Gerichtsdienern vor den unterzeichneten Richter, welcher sich einige Schritte vor der nach dem Schafott führenden Treppe mit dem Protokollführer aufgestellt hatte, geführt, hier entfesselt, ihm dann der Tenor des Endurtheils, so wie die Allerhöchste Bestätigungs-Order vom 4ten April d. J. nochmals laut vorgelesen, während die Schutzmannschaften und sämtliche im Kreise fungierende Beamte die Häupter entblößten, worauf Delinquent nach erfolgter Vorzeigung der Unterschrift Sr. Majestät des Königs dem Nachrichter mit den Worten überwiesen wurde:
,Nun übergebe ich ihn an Sie zur Vollstreckung der anerkannten Todesstrafe.‘
Nach dieser Überweisung ward derselbe von den Scharfrichtern auf das Blutgerüst geführt, entkleidete sich hier selbst, nachdem er mit der größten Ruhe gefragt, was er zu thun habe, legte dann sein Haupt auf den Richtblock und erhielt nach wenigen Augenblicken von dem approbierten Scharfrichter Gast aus Fürstenberg den vollständig gelungenen Todesstreich, welcher den Kopf vom Rumpfe trennte.
Beide wurden sofort in den bereitstehenden Sarg gelegt, dieser in das am Schafott gemachte 6 Fuß tiefe Grab gesenkt, solches mit Erde und Steinen von den Henkersknechten ausgefüllt und behügelt, gleichzeitig auch das Blutgerüst abgerissen, sämtliche Blutspuren entfernt, und erst nachdem dies geschehen, der auf dem Richtplatze geschlossene Kreis der Schutzmannschaften aufgelöst, worauf sich auch das Publikum mit Ruhe und Anstand entfernte.
v. g. u. Tannen Beyer.“
Die erste unter dem Protokoll befindliche Unterschrift „Tannen“ ist die des damaligen Zielenziger Kreisgerichtsdirektors. Die Worte „Leben Sie wohl, Honig!“ soll Tannen dem Verurteilten unmittelbar vor der Hinrichtung zugerufen haben, da die Reue, die Honig über seine Tat empfand, und die gefasste Haltung, in der er dem Tode entgegenging, ihm menschliches Mitgefühl, ja, eine gewisse Hochachtung abnötigten.
Nach damaliger Anschauung war auch dies eine Strafmilderung, dass man Kopf und Rumpf in den Sarg legte, da man sonst in schwereren Fällen Kopf und Rumpf getrennt zu beerdigen pflegte. ‚
Das Beil, mit dem Honig enthauptet worden ist, war im Märkischen Museum in Berlin zu sehen. Honigs Hinrichtung war die letzte, die mit diesem Beil vollzogen worden ist. (Anmerkung: Beil und der Richtblock befinden sich im Bestand des Stadtmuseums Berlin Inv.-Nr. VI 9934/9935. Laut Auskunft v. 18.3. 2015. H. Habermann)
Das Grab von Honig konnten eine Unmenge von Einwohnern von Zielenzig zeigen, obgleich es gar nicht mehr als Grab zu erkennen war. Es war ein kleiner unscheinbarer Steinhaufen in der Randheide, über den Brombeeren und anderes Gestrüpp den Schleier der Vergessenheit breiteten. Er lag einige hundert Meter nordöstlich der Gastwirtschaft Randheide, des „Paddenkrugs“, wie sie im Volksmunde hieß. Früher hat jeder Vorübergehende einen Stein auf das Grab geworfen, sei es, um Abscheu über den Mord zu bekunden, sei es, um die Grabstätte nicht in Vergessenheit kommen zu lassen, sei es auch nur, weil es einmal Brauch war.
Die Akten über diese Begebenheit waren dem Kreismuseum einverleibt. Sie ruhten im Keller der Kreiskommunalkasse. Der Schreiber dieses Beitrages hat sie selbst in der Hand gehabt.
Gg. Krause (Heimatblatt f. d. dt. Volksgemeinschaft (1964)
H 4, S. 10)
Fotos, Recherchen, Topografie : H. Habermann, s. a. Rosemarie Pankow, Sagen und Geschichten aus dem Sternberger Land, Husum 1992, S. 155- 158