Die Herrnhuter in Land Sternberg und Neumark
Neu-Dresden im Warthebruch war ein Zentrum – Fünf Gemeine-Säle blieben bis heute erhalten
Berichtzusendung von Mechthild Zippel geb. Meyer
In Bremen wohnt Frau Renate Lüder (1). Sie ist die Tochter des Herrnhuter Predigers Heinrich Gregor Meyer aus Neu-Dresden, der nach der Vertreibung die „Flüchtlings-Gemeine” gründete. Frau Lüder und ihr Gatte Georg aus Hohenlychen sind aktiv in der Brüdergemeine, ebenso in der Landsmannschaft Berlin-Mark Brandenburg. Von ihnen erhielt die „NOZ/Heimatgrüße”-Mitarbeiterin Annemarie Nagel viele Informationen sowie Literatur über die Aktivitäten der Herrnhuter in Ostbrandenburg. Diese bildeten die Grundlage für den folgenden Beitrag zur Regionalgeschichte.
Die preußische Regierung warb besonders unter Friedrich dem Großen um Kolonisten für die Urbarmachung der Bruchlandschaften an Oder, Warthe und Netze. Mit ihnen kamen viele Herrnhuter. Deren „Einheit der Brüder” ist eine der ältesten Freikirchen. Sie führt ihr Entstehen in Böhmen auf Johann Hus zurück, der 1415 für seinen Glauben in Konstanz auf dem Scheiterhaufen starb. Nach dem 30-jährigen Krieg wurden die Brüder, zu denen der Pädagoge und Philosoph von weltweiter Bedeutung Johann Comenius (1592–1670) gehörte, aus ihrer böhmischen Heimat vertrieben. Der Pietist Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1770) erneuerte die „Brüder-Unität” auf seinem Gut in der Oberlausitz, der „Kolonie Herrnhut”, wo er Vertriebene ansiedelte. Als der Reichsgraf sich zum evangelisch-lutherischen Geistlichen ordinieren ließ, wies ihn Kursachsen aus. Nun gründete er neue Gemeinen (dies alte Wort benutzen die Herrnhuter statt Gemeinden) in Schlesien und Brandenburg. Ferner widmete er sich der Auslandsmission.
Die Herrnhuter, die sich gegenseitig mit „Bruder” und „Schwester” anreden, waren in Ostbrandenburg vor allem zwischen Küstrin im Westen und Kreuz im Osten sowie zwischen Arnswalde im Norden und Lagow im Süden aktiv. Dort war Gerlachsthal im Warthebruch der Gründungsort. Bald wurde jedoch Neu-Dresden der Mittelpunkt ihrer Arbeit. Im Laufe der Zeit entstanden die Prediger-Bezirke Kietz, Neu-Dresden, Driesen und zeitweilig Landsberg (Warthe).
Die jungen Herrnhuter besuchten in der Regel eine der Knabenanstalten der Freikirche und erhielten eine Handwerksausbildung. Danach arbeiten sie dort als Landwirte, Hausdiener und Erzieher. Geeignete setzten in der 1869 gegründeten Missionsschule ihre Ausbildung fort. Einige absolvierten auch ein theologisches Studium in Gnadenfrei (Oberschlesien) oder ab 1920 in Herrnhut. Sie taten als Lehrer von Gemeinen oder als Missionare in aller Welt ihren Dienst. Ihre Ehefrauen („Schwestern”) unterstützten sie dabei. Diese wurden für die einzelnen Männer oft unter geeigneten Anwärterinnen durch das Los ausgewählt, was als Zeichen Gottes galt.
Nach dem Siebenjährigen Krieg war die Neumark weitgehend eine Wüstenei. Kirchen fand man dort kaum. Den Anstoß zur inneren Umkehr gab eine Überschwemmung um Weihnachten 1779. Klaus Lentz, der als Aufseher beim Kanalbau arbeitete, hörte im Böhmischen Bethaus in Berlin den Prediger Jänicke. Von diesem Zeitpunkt ab hielt er Glaubensversammlungen in seinem Haus in Gerlachsthal. Er holte sich Rat beim Prediger einer größeren Brüder-Gemeine im niederschlesischen Neusalz. Danach reiste er mit vier Brüdern nach Herrnhut, um die Aussendung eines Predigerpaares ins Warthebruch für die inzwischen 150 Gläubigen zu erbitten. Der erste ausgebildete Diasporaarbeiter im Bruch war Heinrich Jahr mit „Schwester” Dorothea. Dies Ehepaar hatte 17 Jahre auf der kleinen Insel Havannah (Ortsteil von Saratoga) eine Wohnung von zwei Räumen. Das Gehalt betrug 100 Taler jährlich dazu sechs Scheffel Korn.
Das Zentrum der Brüder-Gemeine in Neu-Dresden, links hinter Bäumen und Büschen versteckt vor dem Zweiten Weltkrieg, rechts deutlicher, aber weitaus weniger idyllisch anzuschauen in der Gegenwart. Durch die Tür rechts kam man in den Bet- und Veranstaltungssaal. Links lag die Wohnung der Prediger-Familie (2). Korn, sechs Scheffel Kartoffeln und Milch, was die Gemeinen im Bruch aufbringen mussten.
In der Franzosenzeit drohte man, die Herrnhuter zu erschießen, weil ihr Beten nichts geholfen hatte. Doch beim Aufbruch zur Befreiung 1812/13 reiste Prediger Jahr bis nach Crossen, um Gebetsversammlungen abzuhalten. Solche Reisen unternahmen die Pfleger, wie die Prediger auch genannt wurden, oft zu Fuß. Manchmal beförderte ein „Bruder” das Predigerpaar auch auf seinem Pferdewagen. Ein solcher Helfer war der als „Kutscher des Heilands” bekannte Fürstenberg aus Neu-Dresden. Dieser erbaute 1817 auf seinem Land ein neues Predigerhaus. So wurde der Ort ein Zentrum der Diasporaarbeit in Sternberger Land und Neumark.
Als 1843 der preußische König die Vereinigung von Lutherischen und Reformierten zur Union anordnete, wurden der damalige Neu-Dresdener Pfleger Niederschuh und seine Frau auf einer Reise festgenommen und nach Arnswalde ins Gefängnis gebracht. Unter dem Nachfolger wurde 1856 ein neuer Saal in Neu-Dresden eingeweiht und 1872 eine Prediger-Wohnung angebaut. Kirchen mit Türmen hatten die Herrnhuter nie, ihre Andachtsräume blieben stets schlicht.
Ab 1888 wirkte im Warthebruch der erste studierte Theologe der Herrnhuter, Prediger Ledoux. Die Zusammenarbeit der Prediger von Kietz, Neu-Dresden und Driesen bewährte sich besonders bei den Überschwemmungen von 1888.
Neu-Dresden, den ältesten und größten Bezirk im Osten Brandenburgs, übernahm um 1890 Albert Renkewitz. Er war der Sohn eines Missionars auf Jamaika. 1914 schickte Prediger Gottfried Buck den „Brüdern” im Feld regelmäßig Briefe. 1921 trat das „Geschwisterpaar” Tietzen seinen Dienst an. Es hatte zuvor in Deutsch-Ostafrika missioniert und war während des Ersten Weltkriegs in Ägypten interniert. In jener Zeit nahm sowohl die Zahl der Herrnhuter im Bruch als auch der Umfang der Arbeit der Gemeinen stark zu. Es fanden Schulungen, Frauen- und Mädchenversammlungen sowie Mütterfreizeiten statt. Erbauungsschriften wurden verteilt. An vielen Orten bestanden Posaunenchöre. Regelmäßig veranstaltete man Erntefeste.
Auch die Jugendarbeit weitete man aus. Es gab Kindergottesdienste und Jungscharen. Letztere organisierten Fahrten sowie Lager an den Seen der Mark. Deshalb wurde 1922 Heinrich Gregor Meyer als Jugendwart zunächst in Driesen, dann in Friedeberg eingesetzt. 1928 bildeten die Herrnhuter mit Landsberg einen vierten Bezirk in Ostbrandenburg, der jedoch nur bis 1935 bestand.
Prediger Heinrich Gregor Meyer, der Lieder dichtete und komponierte, übernahm mit seiner Frau Gretchen 1928 den Neudresdner Bezirk. Er und seine Jugendwarte waren bei der Betreuungsarbeit mit dem Fahrrad oder Motorrad, schließlich sogar mit dem Auto unterwegs. Da Meyer schwerkriegsbeschädigt war, konnte er auch im Zweiten Weltkrieg weiterarbeiten. Mit den nationalsozialistischen Machthabern gab es wiederholt Schwierigkeiten. Bei der Jugendarbeit kam man mit einem Bannführer in Konflikt, der sogar die Geheime Staatspolizei in Frankfurt (Oder) einschaltete. Die Arbeit unter dem doppeldeutigen Abzeichen „BJ”, das hieß zugleich „Bündischer Jugendbund” und „Bekenner Jesu”, musste 1939 Herrnhut übergeben werden. 1941 hob der NS-Kreisleiter eine Mütterfreizeit auf, weil nur Glaubensversammlungen in kirchlichen Räumen erlaubt waren.
Als Anfang 1945 die Sowjetarmee kam, wurde der Driesener Pfleger Wilhelm Hartmann erschossen, weil er sich schützend vor Frauen stellte. Prediger Meyer blieb mit Frau und Töchtern in Neu-Dresden, bis im Sommer die Ausweisungen einsetzten. Unter den Heimatvertriebenen Ostbrandenburger waren 1200 Herrnhuter.
Der Neu-Dresdener Prediger erhielt eine Stelle in Berlin-Neukölln. Er richtete dort eine Betreuungsstelle für die Herrnhuter aus den Bezirken Kietz, Neu-Dresden und Driesen ein. Er versandte einen Heimatbrief und führte zahlreiche Familien wieder zusammen. Weiter besuchte er die Restgemeinen in Kietz und im Oderbruch.
Verwitwet und pensioniert übersiedelte H. G. Meyer 1961 nach Helmstedt. Dort gründete er mit Glaubensbrüdern das Spangenberg-Hilfswerk, das vor allem mit Kleiderspenden Menschen in Not unterstützt. Seine Helferin ab 1948 und ab 1963 Ehefrau Erika hatte mit dem Kleidersammeln schon in Berlin begonnen. Nach dem Tod ihres Mannes 1970 führte sie sein Werk weiter. Noch immer gehen Pakete in alle Welt.
Die vertriebenen Herrnhuter schlossen sich Gemeinen in ihren neuen Wohngegenden an. Doch immer wieder reisen sie in Gruppen und mit Spenden für die jetzige Bevölkerung ins Sternberger Land und in die Neumark. Dort stehen noch das erste Versammlungshaus in Gerlachsthal, der kleine Saal in Friedeberg, in dem Heinrich Gregor Meyer zuerst Gottesdienste hielt, sowie die Säle in Neu-Dresden, Döllensradung, Driesen und Kreuz.
1. Das ist meine inzwischen Verstorbene Schwester und Mann
2. Inzwischen abgerissen und privat