Oststernberger Heimatbrief
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Die Herrnhuter in Land Sternberg und Neumark

Aus Heimatbrief-Ausgabe 3/2015, Seite 11, vom 20.12.2015 Mechthild Zippel

Neu-Dresden im Warthebruch war ein Zentrum – Fünf Gemeine-Säle blieben bis heute erhalten

Berichtzusendung von Mechthild Zippel geb. Meyer

In Bremen wohnt Frau Renate Lüder (1). Sie ist die Tochter des Herrnhuter Predi­gers Heinrich Gregor Meyer aus Neu-Dres­den, der nach der Vertreibung die „Flücht­lings-Gemeine” gründete. Frau Lüder und ihr Gatte Georg aus Hohenlychen sind ak­tiv in der Brüdergemeine, ebenso in der Landsmannschaft Berlin-Mark Branden­burg. Von ihnen erhielt die „NOZ/Heimat­grüße”-Mitarbeiterin Annemarie Nagel viele Informationen sowie Literatur über die Aktivitäten der Herrnhuter in Ostbran­denburg. Diese bildeten die Grundlage für den folgenden Beitrag zur Regionalge­schichte.

11-Beitrag_Herrnhuter_Sternberg-Karte
Die preußische Regierung warb be­sonders unter Friedrich dem Großen um Kolonisten für die Urbarmachung der Bruchlandschaften an Oder, Warthe und Netze. Mit ihnen kamen viele Herrnhuter. Deren „Einheit der Brü­der” ist eine der ältesten Freikirchen. Sie führt ihr Entstehen in Böhmen auf Jo­hann Hus zurück, der 1415 für seinen Glauben in Konstanz auf dem Scheiter­haufen starb. Nach dem 30-jährigen Krieg wurden die Brüder, zu denen der Pädagoge und Philosoph von weltweiter Bedeutung Johann Comenius (1592­–1670) gehörte, aus ihrer böhmischen Heimat vertrieben. Der Pietist Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1770) er­neuerte die „Brüder-Unität” auf seinem Gut in der Oberlausitz, der „Kolonie Herrnhut”, wo er Vertriebene ansiedel­te. Als der Reichsgraf sich zum evange­lisch-lutherischen Geistlichen ordinie­ren ließ, wies ihn Kursachsen aus. Nun gründete er neue Gemeinen (dies alte Wort benutzen die Herrnhuter statt Ge­meinden) in Schlesien und Branden­burg. Ferner widmete er sich der Aus­landsmission.
Die Herrnhuter, die sich gegenseitig mit „Bruder” und „Schwester” anreden, waren in Ostbrandenburg vor allem zwischen Küstrin im Westen und Kreuz im Osten sowie zwischen Arnswalde im Norden und Lagow im Süden aktiv. Dort war Gerlachsthal im Warthebruch der Gründungsort. Bald wurde jedoch Neu-Dresden der Mittelpunkt ihrer Arbeit. Im Laufe der Zeit entstanden die Predi­ger-Bezirke Kietz, Neu-Dresden, Drie­sen und zeitweilig Landsberg (Warthe).
Die jungen Herrnhuter besuchten in der Regel eine der Knabenanstalten der Freikirche und erhielten eine Hand­werksausbildung. Danach arbeiten sie dort als Landwirte, Hausdiener und Er­zieher. Geeignete setzten in der 1869 ge­gründeten Missionsschule ihre Ausbil­dung fort. Einige absolvierten auch ein theologisches Studium in Gnadenfrei (Oberschlesien) oder ab 1920 in Herrn­hut. Sie taten als Lehrer von Gemeinen oder als Missionare in aller Welt ihren Dienst. Ihre Ehefrauen („Schwestern”) unterstützten sie dabei. Diese wurden für die einzelnen Männer oft unter geeig­neten Anwärterinnen durch das Los ausgewählt, was als Zeichen Gottes galt.
Nach dem Siebenjährigen Krieg war die Neumark weitgehend eine Wüstenei. Kirchen fand man dort kaum. Den An­stoß zur inneren Umkehr gab eine Über­schwemmung um Weihnachten 1779. Klaus Lentz, der als Aufseher beim Ka­nalbau arbeitete, hörte im Böhmischen Bethaus in Berlin den Prediger Jänicke. Von diesem Zeitpunkt ab hielt er Glau­bensversammlungen in seinem Haus in Gerlachsthal. Er holte sich Rat beim Prediger einer größeren Brüder-Gemei­ne im niederschlesischen Neusalz. Da­nach reiste er mit vier Brüdern nach Herrnhut, um die Aussendung eines Predigerpaares ins Warthebruch für die inzwischen 150 Gläubigen zu erbitten. Der erste ausgebildete Diasporaarbeiter im Bruch war Heinrich Jahr mit „Schwe­ster” Dorothea. Dies Ehepaar hatte 17 Jahre auf der kleinen Insel Havannah (Ortsteil von Saratoga) eine Wohnung von zwei Räumen. Das Gehalt betrug 100 Taler jährlich dazu sechs Scheffel Korn.

12-Beitrag_Herrnhuter_Sternberg-Haeuser

Das Zentrum der Brüder-Gemeine in Neu-Dresden, links hinter Bäumen und Büschen versteckt vor dem Zweiten Weltkrieg, rechts deutlicher, aber weitaus weniger idyllisch anzuschauen in der Gegenwart. Durch die Tür rechts kam man in den Bet- und Veranstaltungssaal. Links lag die Wohnung der Prediger-Familie (2). Korn, sechs Scheffel Kartoffeln und Milch, was die Gemeinen im Bruch auf­bringen mussten.
In der Franzosenzeit drohte man, die Herrnhuter zu erschießen, weil ihr Be­ten nichts geholfen hatte. Doch beim Aufbruch zur Befreiung 1812/13 reiste Prediger Jahr bis nach Crossen, um Gebetsversammlungen abzuhalten. Solche Reisen unternahmen die Pfleger, wie die Prediger auch genannt wurden, oft zu Fuß. Manchmal beförderte ein „Bru­der” das Predigerpaar auch auf seinem Pferdewagen. Ein solcher Helfer war der als „Kutscher des Heilands” bekann­te Fürstenberg aus Neu-Dresden. Dieser erbaute 1817 auf seinem Land ein neues Predigerhaus. So wurde der Ort ein Zentrum der Diasporaarbeit in Sternberger Land und Neumark.
Als 1843 der preußische König die Vereinigung von Lutherischen und Re­formierten zur Union anordnete, wur­den der damalige Neu-Dresdener Pfle­ger Niederschuh und seine Frau auf ei­ner Reise festgenommen und nach Arns­walde ins Gefängnis gebracht. Unter dem Nachfolger wurde 1856 ein neuer Saal in Neu-Dresden eingeweiht und 1872 eine Prediger-Wohnung angebaut. Kirchen mit Türmen hatten die Herrn­huter nie, ihre Andachtsräume blieben stets schlicht.
Ab 1888 wirkte im Warthebruch der erste studierte Theologe der Herrnhu­ter, Prediger Ledoux. Die Zusammenar­beit der Prediger von Kietz, Neu-Dres­den und Driesen bewährte sich beson­ders bei den Überschwemmungen von 1888.
Neu-Dresden, den ältesten und größ­ten Bezirk im Osten Brandenburgs, übernahm um 1890 Albert Renkewitz. Er war der Sohn eines Missionars auf Ja­maika. 1914 schickte Prediger Gottfried Buck den „Brüdern” im Feld regelmäßig Briefe. 1921 trat das „Geschwisterpaar” Tietzen seinen Dienst an. Es hatte zuvor in Deutsch-Ostafrika missioniert und war während des Ersten Weltkriegs in Ägyp­ten interniert. In jener Zeit nahm sowohl die Zahl der Herrnhuter im Bruch als auch der Umfang der Arbeit der Gemei­nen stark zu. Es fanden Schulungen, Frauen- und Mädchenversammlungen sowie Mütterfreizeiten statt. Erbauungs­schriften wurden verteilt. An vielen Or­ten bestanden Posaunenchöre. Regel­mäßig veranstaltete man Erntefeste.
Auch die Jugendarbeit weitete man aus. Es gab Kindergottesdienste und Jungscharen. Letztere organisierten Fahrten sowie Lager an den Seen der Mark. Deshalb wurde 1922 Heinrich Gregor Meyer als Jugendwart zunächst in Driesen, dann in Friedeberg einge­setzt. 1928 bildeten die Herrnhuter mit Landsberg einen vierten Bezirk in Ost­brandenburg, der jedoch nur bis 1935 bestand.
Prediger Heinrich Gregor Meyer, der Lieder dichtete und komponierte, über­nahm mit seiner Frau Gretchen 1928 den Neudresdner Bezirk. Er und seine Ju­gendwarte waren bei der Betreuungsar­beit mit dem Fahrrad oder Motorrad, schließlich sogar mit dem Auto unter­wegs. Da Meyer schwerkriegsbeschädigt war, konnte er auch im Zweiten Weltkrieg weiterarbeiten. Mit den nationalsozialistischen Machthabern gab es wiederholt Schwierigkeiten. Bei der Jugendarbeit kam man mit einem Bannführer in Kon­flikt, der sogar die Geheime Staatspoli­zei in Frankfurt (Oder) einschaltete. Die Arbeit unter dem doppeldeutigen Ab­zeichen „BJ”, das hieß zugleich „Bündi­scher Jugendbund” und „Bekenner Je­su”, musste 1939 Herrnhut übergeben werden. 1941 hob der NS-Kreisleiter ei­ne Mütterfreizeit auf, weil nur Glau­bensversammlungen in kirchlichen Räu­men erlaubt waren.
Als Anfang 1945 die Sowjetarmee kam, wurde der Driesener Pfleger Wil­helm Hartmann erschossen, weil er sich schützend vor Frauen stellte. Prediger Meyer blieb mit Frau und Töchtern in Neu-Dresden, bis im Sommer die Aus­weisungen einsetzten. Unter den Hei­matvertriebenen Ostbrandenburger wa­ren 1200 Herrnhuter.
Der Neu-Dresdener Prediger erhielt eine Stelle in Berlin-Neukölln. Er richte­te dort eine Betreuungsstelle für die Herrnhuter aus den Bezirken Kietz, Neu-Dresden und Driesen ein. Er ver­sandte einen Heimatbrief und führte zahlreiche Familien wieder zusammen. Weiter besuchte er die Restgemeinen in Kietz und im Oderbruch.
Verwitwet und pensioniert übersie­delte H. G. Meyer 1961 nach Helmstedt. Dort gründete er mit Glaubensbrüdern das Spangenberg-Hilfswerk, das vor al­lem mit Kleiderspenden Menschen in Not unterstützt. Seine Helferin ab 1948 und ab 1963 Ehefrau Erika hatte mit dem Kleidersammeln schon in Berlin begon­nen. Nach dem Tod ihres Mannes 1970 führte sie sein Werk weiter. Noch immer gehen Pakete in alle Welt.
Die vertriebenen Herrnhuter schlos­sen sich Gemeinen in ihren neuen Wohngegenden an. Doch immer wieder reisen sie in Gruppen und mit Spenden für die jetzige Bevölkerung ins Sternber­ger Land und in die Neumark. Dort ste­hen noch das erste Versammlungshaus in Gerlachsthal, der kleine Saal in Frie­deberg, in dem Heinrich Gregor Meyer zuerst Gottesdienste hielt, sowie die Sä­le in Neu-Dresden, Döllensradung, Driesen und Kreuz.

1.    Das ist meine inzwischen Verstorbene Schwester und Mann
2.    Inzwischen abgerissen und privat

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