Tätigkeit der sowjetischen Kriegskommandantur in Zielenzig/Sulecin im Jahre 1945
Das Verteidigungsstaatskomitee der Sowjetunion verabschiedete in Februar 1945 den Beschluss, der als zukünftige Grenze zwischen Polen und Deutschland die Linie der Flüsse Oder und Neiße bestimmte. Außerdem bildete die Rote Armee auf dem Gebiet zwischen der Vorkriegsgrenze Polens und der neuen Grenzlinie ihr eigenes Verwaltungssystem durch die Schaffung der Kriegskommandanturen. Ihre Tätigkeit überdauerte die Kapitulation des Dritten Reiches und wurde zur Ursache mehrerer Konflikte zwischen Russen, Deutschen und Polen, die ihre neuen Verwaltungsorgane aufbauen wollten (1). Am 5. September 1944 schuf das Verteitigungsstaatskomitee den Apparat der Kriegskommandanturen unter Bezugnahme auf den Artikel 43 der IV. Haager Konvention von 1907 über „Gesetze und Gebräuche der Landkriegsführung”. Die Kommandanturen begannen ihre Tätigkeit bereits nach der Verschiebung der Frontlinie, sie besaßen das Statut einer Sonderverwaltung. Laut der Direktive des Generalstabes der Roten Armee vom 10. Oktober 1944 waren sie in allen Ortschaften zu bilden, die eine strategische Bedeutung hatten.
Die Kriegskommandanturen hatten verschiedene Aufgaben zu lösen. Die wichtigsten dabei waren: Organisation der Hinterbasis der Front, Ausübung der Kontrolle über die Zivilbevölkerung, Beschützen des Nachkriegsgutes (2). Sie wurden aufgrund der administrativen Vorkriegsteilung, also in Gemeinden, Kreisen und Städten einberufen. Die personelle Ausstattung der Kommandanturen war in der Regel nicht umfangreich – einige wenige Rotarmisten, je nach der Gebietsgröße. Für die konkrete Ausführung der Aufgaben waren die Stellvertreter des Kommandanten zuständig, für die Angelegenheiten der Zivilbevölkerung, wirtschaftliche und politische Fragen usw. Die Offiziere, deren Einheiten die Ortschaft erobert hatten, wurden in der Regel zu Kommandanten ernannt. Sie leiteten die Verwaltungsorgane. Leider sind die Informationen über die Kommandanten sehr karg, das betrifft auch Sulecin. Die Information, die erhalten geblieben ist, spricht vor allem über ihr übermäßiges Trinken und sittliche Probleme. Angefangen vom 2. Februar 1945 bis zur Berufung der polnischen Verwaltungsorgane regierte in Zielenzig und im Oststernberger Kreis nur die sowjetische Kriegskommandantur.
Am 8. Februar 1945 wurde als Kommandant der Stadt Zielenzig Oberst Szeremiet ernannt, der seine Funktion bis zum 1. September 1945 ausübte. (3) Sein Vertreter war Major Piotr Nikolajewitcz Beketowski (Biekietorski). Zum Vertreter der im Sommer entstandenen polnischen Kommandatur wurde Leutnant Zatorski. Ihren Sitz hatte die Kommandantur in der Villa von J. Neuenfeld.
Durch die russische Kommandantur wurden provisorische Verwaltungsorgane berufen. Als Bürgermeister war Grabinski, als Stellvertreter Sroka ernannt. Es waren polnische Staatsbürger, die als Zwangsarbeiter hierher gebracht worden waren und nach der Frontverschiebung in Zielenzig geblieben sind. Die beiden kamen aus der Poznaner Wojewodschaft, stellvertretender Bürgermeister Sroka, geboren 1917 in Sieraków, war von Beruf Konditoreibäcker (4). Sie pflegten gute Beziehungen mit der sowjetischen Verwaltung, sowie gute Kontakte mit der deutschen Bevölkerung. Diese Tatsache spiegelt ein Bericht vom September 1945 wider, der durch den Bevollmächtigten der polnischen Regierung im Kreis Sulecin Czesław Łukowski erstattet wurde. Łukowski kam am 23. Mai 1945 als Mitglied einer operarativen Gruppe nach Sulecin: „Die operative Gruppe stellte fest, dass die örtliche Stadtverwaltung durch zwei Polen repräsentiert war (Bürgermeister und sein Stellvertreter), die in der Stadt Cielecin(so hieß die Stadt noch im Sommer 1945) während der deutschen Okkupation enge Kontakte mit den deutschen Einwohnern hatten und gegenwärtig stellen sie als Büroarbeiter ausschließlich junge deutsche Frauen ein und als Amtssprache benutzen sie nur Deutsch. In der Zeit gab es in Sulecin nur 40 Polen. Aus dem Bericht geht auch hervor, dass auf dem Gebiet des Kreises sowjetische Kriegskommandanturen und einige administrative Organe, solche wie Gemeindevorsteher und sogar ein Stadtrat funktionierten. Die Hauptaufgabe der operativen Gruppe bestand darin, möglichst schnell die leitenden Personen kennenzulernen und dadurch eine bessere Vorstellung über die unterstehenden Gebiete zu bilden. Die ersten Kontakte mit den Amtspersonen haben den Bevollmächtigten und seine Mitarbeiter überrascht. Als sie sich näher mit der Situation vertraut gemacht hatten, stellten sie fest, dass die Amtsträger unerfahren sind, und was noch schlimmer war, dass die Mehrheit von ihnen Deutsche waren. Gegenüber dem neu angekommenen Vorgesetzten waren sie feindlich gestimmt und gaben unzweideutig zu verstehen, dass sie nur die Autorität der sowjetischen Kommandantur anerkennen” (5). Es waren die Leute, die sich sehr gut in den örtlichen Beziehungen orientierten und sich nach der Frontverschiebung um die Selbstversorgung mit materiellen Werten bemüht haben. Sie haben sich mit solchen Sachen, wie Gegenstände des täglichen Gebrauches, Nahrung und Kleidung, sogar mit Motorrädern, Autos und Brennstoff versehen. Sowjetische Machtorgane, d.h. Kriegskommandanturen hatten nichts gegen diese Machenschaften, weil diese Leute eine wichtige Quelle der notwendigen Information für die Russen waren. Die These des Stellvertreters des Bevollmächtigten der polnischen Regierung im Suleciner Gebiet Czeslaw Lukowski darüber, dass Grabinski und Sroka polnische Zwangsarbeiter waren, bestätigte Horst Johr, damals Einwohner von Zielenzig. Er gab an, dass nach dem Einmarsch der sowjetischen Einheiten in Zielenzig die beiden durch den sowjetischen Kommandanten entsprechend als Bürgermeister resp. Vizebürgermeister ernannt wurden. Vorher arbeiteten sie sowohl in der Metzgerei, deren Inhaber Wiese war, als auch in der Bäckerei, die der Familie Franke in der Ostrower-Straße gehörte (jetzt Witos-Straße). Die beiden Polen bemühten sich, in der Stadt eine gute und vernünftig funktionierende Verwaltung zu schaffen, so Johr, der Grabinski und Sroka gut kannte. Sie stellten die Deutschen ein, deren Kompetenz sie sicher waren und diejenigen, die sie seit langer Zeit durch ihre Arbeit in der Metzgerei und Bäckerei kannten (6).
Oberst Szeremiet als Kriegskommandant von Zielenzig schuf auch eine polnische Miliz, organisierte aus einigen Zivilisten seinen eigenen Sicherheitsdienst und bemächtigte sich zurückgelassener deutscher Wirtschaftsgüter. Nach dem Erstarken der polnischen Machtorgane in Sulecin übergab er am 25. Juli die Kriegskommandantur und die vereinnahmten Objekte und Betriebe, nachdem diese vorher von allen wertvollen Sachen ausgeplündert waren. Zur Übergabekomission von der russischen Seite gehörten: Major Piotr Nikolajewitsch Beketowski als Vertreter der Kriegskommandantur im Suleciner Gebiet sowie Hauptmann Naum Jakowlewitsch Fastowski und Oberleutnant Wlodimir Kirylowitsch Szczerban, beide aus der Militäreinheit Nr 63398. Die polnische Seite, also die Übernahmekomission vertritten Leon Debniak, der Bevollmächtigte der polnischen Regierung (oft Kreisrat genannt, aber es war nicht korrekt, weil die Kreisräte ihre Funktion erst Mitte 1946 anfingen. Der erste Kreisrat des Suleciner Kreises war Marceli Szczesny), Czesław Łukowski, Stellvertreter des Bevollmächtigten der polnischen Regierung sowie Ingenieur Alexander Klaus. Damals übergab die sowjetische Kommandatur an die polnische Seite folgende 55 Industrie-und Leistungsbetriebe: 11 Sägewerke, den Betrieb der landwirtschaftlichen Geräte (früher J. Neuenfeld Maschinenfabrik Zielenzig), eine Gewebefabrik, 3 Kraftwerke, 2 Entwässerungspumpenstationen, 2 Autowerkstätten, eine Seifenfabrik, eine Brauerei, 3 Druckereien, 3 Tischlerwerkstätten, 24 Bäckereien, Metzgereien, 2 Molkereien und eine Schmiede. (7)
Bis 1945 besaß Zielenzig als Kreisstadt 3 große Betriebe: Elektromotorenwerke Kaiser, Kartoffelstärkefabrik und Bürstenfabrik. Diese Betriebe wurden vollkommen demontiert und die ganze Ausstattung im Rahmen der Reparation in die Sowjetunion verbracht. Als letzte wurden die Spiritusfabriken übergeben, sowie in der Stadt selbst als auch im Kreis. Diese Betriebe behandelten die Russen auf eine besondere Art und Weise, fast wie Objekte von strategischer Bedeutung. Die Wohnhäuser wurden während des Bestehens der Kommandatur aller Möbel und Haushaltsgeräte, also von allem, was einen Wert hatte, beraubt. Als die ersten (polnischen) Umsiedler in Zielenzig eingetroffen waren, standen die Wohnhäuser leer und waren in der Mehrzahl zerstört. Die Kommandantur, die verpflichtet war, die vorhandenen Industrieobjekte, Verwaltungsgebäude und die Wohnhäuser zu sichern, betrieb selber den Raub der Nachkriegsgüter in großen Maßstäben. Die deutsche Quellen berichten, dass die sowjetische Kriegskommandantur ihren Sitz in der Hindenburgstraße hatte (früher Hinterstraße und heute Zeromskistraße). Sie befand sich in dem zweistöckigen Gebäude, das der Familie Handke gehörte, die eine Gärtnerei besaß (8).
So berichtet unter anderem Günter Rudel, der als junger Bursche damals in dem Nachbarhaus wohnte. Vor dem Eingang seines Hauses steht bis heute eine Wasserpumpe.
Nach der Einberufung und Beginn ihrer Tätigkeit erließ die Kommandatur an die Zivilbevölkerung verschiedene Verfügungen und Befehle. Wenn es um Zielenzig geht ist der Befehl Nr. 3 des Stadtkommandanten erhalten geblieben. Unbekannt bleiben aber die Befehle Nr. 1 und 2. Der Befehl Nr. 3 stammt vom 30. März 1945 und ist an die Stadt-und Kreiszivilbevölkerung gerichtet. (d.h. der Stadt Zielenzig und Oststernberger Kreis). Darin befiehlt der Kommandant Oberst Szeremiet Folgendes:
a) Im Laufe von 3 Tagen sind alle Druckmaschinen, Hektographen, Fotokameras und das Zubehör zur Kommandatur zu bringen.
b) Ohne meine Zustimmug ist es verboten, Wehrmachtssoldaten die Übernachtung in den privaten Wohnhäusern und Wohnungen zu gewähren.
c) Die gesamte Literatur, die vor 1939 herausgegeben wurde, ist abzugeben.
Die oben erwähnten Gegenstände und Bücher sind an die Kriegskommandanten der Städte und Dörfer des Kreises abzugeben. Im Falle der Befehlsverweigerung werden die Schuldigen bestraft, bis hin zum Erschießen. Die Familienoberhäupter sollten den Befehl eigenhändig unterschreiben.
Der Befehl wurde in der deutschen Sprache erstellt und von Oberst Szeremiet unterzeichnet. Interessant ist dabei die Tatsache, dass Szeremiet einmal als Kriegskommandant der Stadt Zielenzig und ein anderes Mal als Kriegskommandant des Kreises Zielenzig auftritt. Alles spricht dafür, dass Szeremiet gleichzeitig Kriegskommandant der Stadt und des Kreises war. Wahrscheinlich war der Befehl Nr. 3 deshalb so formuliert, damit er sowohl einzeln für die Einwohner der Stadt als auch einzeln für die Einwohner anderer Ortschaften des Kreises galt. Der Sammlungspunkt der verbotenen Gegenstände befand sich in dem Haus gegenüber dem Haus mit der Pumpe, in dem die Familie Rudel wohnte, in der Tischlerei von Herrn Ohlsen. Beschlagnahmt wurden außer den oben erwähnten Sachen auch Radiogeräte, Nähmaschinen, praktisch alles, was einen Wert hatte. An der anderen Seite der Straße wohnte der Dachdecker Rissmann. In seinem Haus, aber damals wusste das niemand, hatte der sowjetische Sicherheitsdienst seinen Sitz. Zu dieser Gruppe gehörte auch ein Dolmetscher. Im Dachgeschoss wurden die Personen festgehalten, die der Zugehörigkeit zur NSDAP verdächtigt wurden.
Unter anderem Dr. Eske. Dafür sorgte ein Denunziant, der für eine kurze Zeit sogar die Funktion des Bürgermeisters innehatte, nachdem die Stadt durch die Rote Armee besetzt wurde.
Obwohl zu diesem Thema keine Dokumente erhalten geblieben sind, wissen wir was der Befehl Nr. 2 des Kommandanten beinhaltete. Herr Dr. Helmut Munkow, damals Einwohner von Herzogswalde enthüllt das Geheimniss: ”Am 4. oder 5. Februar 1945 sah ich einen Deutschen, der ein Plakat Größe A1 an die Tür der Transformatorbude anbrachte. Es war Befehl Nr. 2. Laut ihm sollten sich alle Männer im Alter von 16 bis 60 zu einer bestimmten Zeit am 6. Februar zur Arbeit melden, um die Zerstörungen nach den Kriegshandlungen in Zielenzig zu beseitigen. Jeder sollte entsprechend bekleidet sein und eine Reisedecke und für 2 Tage Nahrung mithaben”. (10).
Was konnte also der unbekannte Befehl Nr. 1 beihalten? Das war der erste Befehl des Kriegskommandanten und in dieser Hinsicht erweckt er bereits ein besonderes Interesse. Aber bis heute bleibt er ein Geheimnis für uns, weil keine Spuren eines Dokumentes gefunden worden sind. Aber ich denke, dass wir nicht zu weit von der Wahrheit sein könnten, wenn wir annehmen, dass es sich vor allem um die Abgabe von Schusswaffen, Einhaltung der Ordnung und Ruhe sowie um die Unterordnung unter die neuen Macht handelte.
Etwas Licht auf die Tätigkeit der sowjetischen Kriegskommandantur in Zielenzig werfen die Erinnerungen von Herrn Teodor Borsucki, obwohl die Sache dadurch nicht hundertprozentig klar wird. Er stammte aus dem Kieleckiegebiet, wo er an der Partisanenbewegung teilnahm, obwohl er sich daran nicht gerne erinnerte. Nach Zielenzig kam er im Mai 1945 und traf dort den gerade eingestellten Kreisrat Leon Debniak (tatsächlich den Bevollmächtigten der Polnischen Regierung im Gebiet). T. Borsucki berichtet, dass in Sulecin eine ganze sowjetische Division stationiert war. Die russischen Militärs bewohnten alle Häuser in den folgenden heutigen Straßen: Paderewski Str., Jan Pasek Str., Wojsko Polskie Str., und Lipowa Str. Mitsamt den Kasernen, wo sich jetzt die Verwaltung der Stadt und Gemeinde Sulecin befindet. Deswegen blieb dieser Teil der Stadt unversehrt.
Laut T. Borsucki: „gab es in Zielenzig zwei Kommandeure: Oberst Beskitowski als Kommandant und Verwaltungsleiter der Stadt und Oberst Szeremiet als Garnisonschef. Aber es war nicht klar, wie sich die beiden die Kompetenzen untereinader teilten. Beskitowski amtierte im Gebäude in der Trift Str.” (11).
Das ganze Geschehen, also alles, was sich in Zielenzig (Cielecin) und Umgebung in der Zeit von Februar bis August 1945 abspielte, geschah in Verantwortung der sowjetischen Kriegskommandantur. Hierüber gibt es keinerlei Zweifel.
Die Beamten der unerfahrenen polnischen Administration hatten nicht viel zu melden. Die Konfrontation mit der sowjetischen Kriegskommandantur, die sie vollkommen verachtete, war beispiellos. Art und Weise der Behandlung der polnischen Beamten durch Russen in Zielenzig zeigt
der Bericht des Augenzeuges T. Borsucki, der früher bereits erwähnt wurde. Als er eines Tages den damaligen Kreisrat Leon Debniak auf der Straße traf und sich mit ihm unterhielt, näherte sich ihnen ein Rotarmist der sagte, dass Debniak sofort zum Kommandanten soll, weil der letzte ihn dringend braucht. Da Debniak schon eine bittere Erfahrung währed der Gespräche mit dem Kommandanten hatte, hatte er Angst alleine hinzugehen und wollte T. Borsucki mitnehmen, der natürlich nicht davon angetan war, ihm Gesellschaft zu leisten. Letzten Endes gingen sie beide zum Kommandanten, der im Gebäude in der Triftstr. amtierte. Der kurze Dialog sah ungefähr so aus:
Kommandant: Na du Kreisrat, ich grüße dich. Und wer bist du? – wandte er sich an Borsucki.
Borsucki: Kreisratsbeamter. ( damals befand sich der Kreisrat in zwei Wohnhäusern in der Mickiewicz Str. /östliche Seite).
Kommandant: Ich (Schimpfwort) brauche dich überhaupt nicht. Verschwinde. Geh zum Kuckuck!
Nach solch einer netten Begrüßung wollte Borsucki sich wirklich gleich aus dem Staube machen. Debniak sollte alleine beim Kommandanten bleiben. Aber wie er später berichtet hat, war sein Gespräch mit dem Kommandanten nicht so schlimm wie immer gewesen. Nach dem Kommandanten sollte Debniak sich vom Magistrat fernhalten, weil der Bürgermeister von früherem Kommandanten ernannt worden war (also vor Beskitowski, aber nicht vom Oberst Szeremiet). „Der Kommandant hat mit mir sehr höflich gesprochen, nur einmal hat er diesmal mich beschimpft” beendete Debniak seinen Bericht.
Im Frühling 1945 wollte sich die deutsche Bevölkerung nicht ohne Not auf den Straßen der Stadt zeigen. Die Leute versteckten sich in den Kellern, in den Dachkammern und anderen Winkeln. Der Grund dafür war das wilde und brutale Benehmen der sowjetischen Soldaten, die eine Gefahr, besonders für die Frauen unabhänging von ihrem Alter darstellten. Nur wenige, so wie zum Beispiel ein Deutscher namens Nitschke, bewegten sich furchtlos durch die Stadt. Nitschke besuchte sogar die Kriegskommandatur in nur ihm selbst bekannten Angelegenheiten (12). Bezeichnend war es, dass die Deutschen selbst ihre Meinung über ihn auf folgende Weise äußerten: „er ist kein Mensch, sondern ein Schwein”, was schon etwas heißen will. Der Bericht von T. Borsucki ist sehr wertvoll, obwohl das nicht unbedingt Haupthema unserer Betrachtungen ist. Trotzdem können wir mit Sicherheit feststellen, dass es in der ersten Hälfte 1945 in Zielenzig/Cielecin zwei russische Kommandanten gab. In polnischen Archivunterlagen wird eindeutig der Name von Oberst Szeremiet als Kriegskommandant der Stadt Sulecin genannt, dagegen erscheint der Name von Oberst Beskitowski nirgendwo. In der Rolle des Kommandanten genannt wird auch Major Beketowski, oder Biekietorski und das bringt zusätzliches Durcheinander. Aus meinen Untersuchungen zur Tätigkeit der sowjetischen Kriegskommandantur in Sulecin im Jahre 1945 ergibt sich, dass der zuständige Kommandant für Kreis und Stadt Sulecin ohne Zweifel Oberst Szeremiet war, der sein Büro im Hause der Familie Handke in der Hindenburg Str. hatte. Der Major Beketowski (Biekietorski) war dagegen sein Stellvertreter und das Hauptgebiet seiner Tätigkeit war nur die Stadt Sulecin selbst. Sein Arbeitsplatz befand sich im Gebäude in der Triftstr. T. Borsucki beschreibt die Ereignisse vor 50 Jahren fehlerhaft und nennt Beketowski (Biekietorski) als Beskitowski, aber es ist schwer ihm dafür Vorwürfe zu machen, es war doch so lange her. Zu bemerken ist auch, dass der ab und zu als Kommandant genannte Beketowski, den Kommandanten des Kreises Sulecin bei der Übergabe der vorher besetzten Wirtschafts-und Leistungsbetriebe durch die Russen am 25. Juli 1945 an die Vertreter der polnischen Kreisverwaltung in der Rolle des Vorsitzenden der Übergabekomission vertrat und als Vertreter des Kriegskommandanten des Suleciner Gebietes fungierte (13). Diese Tatsache entscheidet meiner Meinung nach die ganze Auseinandersetzung zugunsten von Oberst Szeremiet als Kommandanten der Stadt und Kreis Sulecin (damals Land). Das Gebäude, wo der Stellvertreter von Oberst Szeremiet Major Beketowski sein Arbeitsbüro hatte, lag in der Triftstraße (jetzt E. Platerstraße), erbaut im Frühling 1937 gleichzeitig mit einem anderen ähnlichen Gebäude, wo sich heute das Postamt befindet.
Das wissen wir aus dem Bericht von Frau Dr. Ursula Lübke, die ihre Jugend in Zielenzig von Mai 1937 bis Februar 1945 verbrachte. Ihre Familie stammte aus Frankfurt/Oder Dammvorstadt, also aus dem gegenwärtigen Słubice. Ihr Vater war Diplomingenieur im Festungspionierstab Nr. 7, verlegt aus Küstrin/O. nach Zielenzig. Im Mai 1937 zog er mit Familie in das neue Wohngebäude für Offiziere in der Triftstraße um, das gegenüber dem evangelischen Kindergarten lag. (14).
Die Tätigkeit der sowjetischen Kriegskommandanturen wurde in den Zeiten der Volksrepublik Polen nicht wahrheitsgemäß dargestellt, was vollkommen selbstverständlich war. Auf dem Suleciner Gebiet hat die russische Armee auch in den Augen der deutschen Bevölkerung, sowie der polnischen Einwohner keine guten Erinnerungen hinterlassen. Der Sicherheitsstand war nach dem Einmarsch der russischen Einheiten schlimmer geworden. Die deutsche Bevölkerung nicht weniger auch polnische Siedler fühlten sich in Gefahr. Und das widersprach den Aufgaben, die die Kriegskommandanturen in den eroberten Gebieten zu erfüllen hatten. Die Übergabe der Industrie-und Leistungsbetriebe, sowie der öffentlichen Gebäude geschah erst dann, als das gesamte Gut mit dem Eisenbahntransport in die Sowjetunion abgefahren war. Das, was von den „Befreiern” aus verschiedenen Gründen nicht geplündert war, wurde vor Ort sinnlos vernichtet. Die sich im Werden befindliche polnische Administration wurde durch die Russen in den ersten Monaten nicht ernst genommen, es galt das Recht des Starken. Aber es darf nicht gefolgert werden, dass die Sowjetarmee nur mit Raub, Vernichtung, Plünderung, Vergewaltigungen und Mord beschäftigt war. Es sind auch Fälle bekannt, leider seltene, wo die Rotarmisten sich positiv benommen hatten. Zu solchen positiven Fällen gehörten – die Teilnahme der Sowjetsoldaten (auch polnischer Soldaten) an den Erntearbeiten und Getreidemähen in den Monaten Juli und August 1945. Die Gesamtfläche der Getreidefelder betrug 16.558 ha, davon fielen 2.530 ha der Sowjetarmee zu (15). Der Stellvertretender Stadtkommandant Major Beketowski unterstützte die Arbeit des provisorischen Krankenhauses, das nach der Eroberung von Zielenzig mit der Hilfe der in der Stadt gebliebenen deutsche Bevölkerung organisiert wurde. Darüber berichtet die Augenzeugin Dora Quast, damals Praetsch (16). Die Kommandantur übergab an die polnische Administration 5 Traktoren und 4 Lokomobile (Ende XIX. Anfang XX. Jahrhundert verwendete Maschinen, die sich aus einem Dampfkessel und Dampfmotor zusammensetzten, vorgesehen für landwirtschaftliche Arbeiten und als Antrieb für andere Einrichtungen, später wurde der Dampfmotor durch Brennstoff- oder Elektromotor ersetzt). Darüber hinaus auch 32 Getreidemäher, 19 Grasmäher und 42 Dreschmaschinen. Es kann festgestellt werden, dass im Jahre 1945 der moralische und geistige Stand der Sowjetarmee bereits stark demoralisiert war, und die Sowjetoffiziere selbst Probleme mit mangelnder Disziplin der Soldaten hatten. Es kam oft zu solchen Situationen, wo die Kommandierenden sich für die Unterstützung an den NKWD wenden sollten, um minimale Ordnung zu schaffen. Es war der Fall z.B. in Berlin.Die Tätigkeit der sowjetischen Kommandanturen in den besetzten Gebieten wurde in den meisten Fällen auf dem Prinzip der Kraft und Diktat aufgebaut. Das beweisen die Worte eines der Einwohner der Ortschaft in dem Kreis Kozuchów (Freystadt in Schlesien). Seiner Meinung nach bereits nach drei Tagen ihrer Anwesendheit lösten die Rotarmisten alle Probleme, nach der Devise: „Hier ist der Russe Chef” und „ Alles gehört den Russen” (17).
Die Quellen
1. www.academia.edu „Hier der Russe ist Chef” – Die Tätigkeit der vorläufigen russischen Administration in Dolny Sląsk (1945-1946) Joanna HytrekHryciuk.
2. Auch dort.
3. Staatsarchivum in Stettin, Abteilung in Gorzów, Aktensammlung Kreisrat Sulecin. Nr 169
4. Lebuser Jahresheft t.X . Lebuser Wissenschaftsgenossenschaft, Zielona Góra 1978, St.331 January Karpa-Gestaltung der Volksverwaltung im Kreis Sulecin In Jahren 1945-1947
5. APSzG, Aktensammlung SPS Band 8.
6. Oststerberger Heimatbrief Nr. 2/2001, S. 7
7. Lebuser Jahresheft X/1978, S. 328
8. Oststernberger Heimatbrief 1/2006, S. 36
9. APSzG, Aktensammlung SPS, Signatur 209
10. Oststernberger Heimatbrief Nr. 2/2007
11. „Głos Sulęciński”(Sulęciner Stimme) Nr. 7/1997, S. 15 Erinnerungen von Teodor Borsucki
12. Auch dort. S. 14
13. Lebuser Jahresheft X/1978, S. 328
14. Oststernberger Heimatbrief Nr. 1/2009, S. 6
15. Lebuser Jahresheft X/1978, S. 327, 342.
16. Oststernberger Heimatbrief Nr. 2/2007, S. 40
17. www.academia.edu
Vortrag, gehalten am 25. April 2014 im Johanniterhaus Zielenzig im Rahmen der deutsch-polnischen Veranstaltung: „Das Sulęciner Land in der Vergangenheit. Das Jahr 1945 und seine Folgen“
Übersetzt von Eduard Diłanian, Jacek Cieluch.