Zwei Tage in Langenpfuhl im August 2014
Große Teile des Buchwaldes südlich der Straße von Schermeisel nach Langenpfuhl gehören zum Sperrgebiet des Truppenübungsplatzes Wandern. In den Sommermonaten ist aber das Betreten der Wälder um die beiden Bechenseen gestattet. Bereits im August 2010 hatte ich mit meiner Frau eine Radwanderung um den Großen Bechensee unternommen. Auch in diesem Jahr waren Anfang August gute Bedingungen für eine weitere Radtour im Buchwald zu erwarten. Deshalb meldeten wir uns am Sonntag für zwei Übernachtungen bei Henryk Bowzyk an, bei dem wir nun schon fünfmal zu Gast waren. Am folgenden Dienstag früh verstauten wir unsere kleinen Falträder im Auto, und mittags waren wir in Langenpfuhl.
Vor Henryks Haus am westlichen Dorfeingang befindet sich jetzt eine Verkehrsinsel, deren beleuchtetes Gebotsschild eine kleine Solaranlage umweltfreundlich mit Energie versorgt. Hier beginnt auch der fachmännisch angelegte Bürgersteig an der Südseite der Dorfstraße, der mit der Solidität seiner Ausführung eigentlich gar nicht so recht in das Dorf passt. Beide Einrichtungen, die wir schon von unseren letzten Besuchen in Langenpfuhl her kannten, waren wohl dringend notwendig, um Fußgänger vor den Autofahrern zu schützen, die die asphaltierte Dorfstraße gern als Rennstrecke benutzen.
Nach einer kurzen Pause machten wir einen Spaziergang durch das Dorf zum Friedhof. Auf der hier angelegten neuen Begräbnisstätte innerhalb der alten Mauern des sonst verwilderten Areals fallen die sehr aufwändig gestalteten Grabsteine auf.
Wir setzten unseren Weg fort Richtung Füllenberg, den ich seit nunmehr 70 Jahren nicht mehr betreten hatte. Damals war der Südhang nicht bewaldet, wurde landwirtschaftlich genutzt, und ein ausgefahrener Feldweg führte auf die Höhe mit ihren charakteristischen Säulenwachholdern. Auf dem Nordhang mit seinem stärkeren Gefälle war eine Waldschneise für uns Kinder eine beliebte Rodelbahn.
Jetzt ist der Berg völlig zugewachsen. Kein Weg führt mehr nach oben. Durch dichtes Unterholz gelangten wir hinauf zum höchsten Punkt. Auch hier nur Wildnis und keine Aussicht auf die Umgebung. Punkt. Auch hier nur Wildnis und keine Aussicht auf die Umgebung.
Auf dem Rückweg ernteten wir am Wegrand einige „Kornäpfel“, wie man in Langenpfuhl die Klaräpfel nannte.
Anschließend fuhren wir mit unseren Fahrrädern zum Baden im Großen Bechensee, der an diesem Tag durch den Wind aufgewühlt und nicht so klar war wie sonst. Auf dem Rückweg machten wir einen Abstecher nach Dlugoszynek, wie die Forstarbeitersiedlung der ehemaligen Försterei Langenpfuhl jetzt heißt. Hier wollten wir die Quelle suchen, von der sich unser Gastgeber sein Trinkwasser holt, weil es ihm besser schmeckt als das Wasser aus der Leitung.
Über den Förstereiweg, der nach einem Unwetter in der Vorwoche stellenweise kaum befahrbar war, kehrten wir ins Dorf zurück, vorbei am Großen Raben, dessen Wasserfläche jetzt viel kleiner ist als früher, wurden wir einer aufgeregten Menge aufgehalten. Gerade war bekannt geworden, dass das Dorf geräumt würde. – Nur wenig später musste ich mich von meinen beiden Pferden verabschieden. Ich nahm ihnen die Halfter ab und ließ die Stalltür offen.
Die Nacht verbrachten die Ausgewiesenen auf einer Wiese am westlichen Dorfende, schräg gegenüber von Henryks Haus, ohne noch einmal ins Dorf zurückkehren zu dürfen. Die ganze Habe meiner Eltern, von mir, meinen beiden Schwestern sowie einer Tante, die sich um die elternlosen Kinder des Langenpfuhler Lehrers kümmerte, bestand nur noch aus dem, was in einen alten Kinderwagen und in Rucksäcke passte.
Für den nächsten Tag hatten wir eine Radtour rund um den Großen und Kleinen Bechensee geplant. Die Touristeninformation in Lagow hat eine Karte herausgegeben, die die nähere Umgebung des Erholungsortes zeigt. Verbotsschilder an Straßen und Wegen, die in den Buchwald führen, kennzeichnen auf der Karte die Grenze des Sperrgebietes in der Gegend von Lagow und Langenpfuhl. Innerhalb des Sperrgebietes ist ein von der Schermeiseler Straße nach Süden führender Rad- und Wanderweg mit einigen Nebenstrecken eingezeichnet. Damit wird wohl verdeutlicht, welcher Teil des östlichen Buchwaldes in den Sommermonaten betreten werden darf.
Vor dem Bechenfließ bogen wir von der Schermeiseler Straße links in den Waldweg ein, der bald das östliche Ufer des Großen Bechen erreicht. Unser erstes Ziel war die Stelle, wo früher die „Fischerhütte“ am Kleinen Bechen stand, an das Karl Minge in seinem Gedicht mit Wehmut erinnert. Ich bin etwa 1940 einmal hier gewesen, als mich mein Vater zum Tontaubenschießen der Jäger auf dem nahen Schießplatz mitnahm. Nichts erinnert hier mehr daran, dass hier einmal eine Ansiedlung gewesen sein könnte.
Wir folgten nun dem markierten Weg am Ostufer des Kleinen Bechen und radelten weiter Richtung Süden, vorbei an mehreren kleinen Waldseen und Teichen. Forstarbeiter waren mit Kettensägen bei der Arbeit. Aus westlicher Richtung hörten wir aber auch das Schießen mit Maschinengewehren.
Plötzlich entdeckte ich am Wegrand eine Tafel, auf der die Försterei Schwiebus in polnischer, englischer und deutscher Sprache erklärt, hier habe bis 1945 ein Forsthaus und eine Mühle gestanden. Mir fiel ein, dass es die Försterei Buchspring sein müsse, was später ein Blick in eine alte Karte auch bestätigte. Wir hatten damit fast die Nordspitze des Tschetschsees erreicht.
Die markierten Rad- und Wanderwege waren bis zur Försterei Buchspring befahrbar. Auf Teilstrecken musste das Rad aber auch geschoben werden, bei aufgeweichtem oder sandigem Untergrund, steileren Anstiegen sowie unangenehmem Kopfsteinpflaster. Der Rückweg entlang dem Westufer des Kleinen Bechen gestaltete sich dagegen recht schwierig. Hier gab es keinen markierten Weg. Bei der Suche nach einem geeigneten Weg leistete uns die GPS-Funktion des Smartphones gute Dienste. So wussten wir wenigstens, wo wir uns gerade befanden. Umgestürzte Bäume versperrten den Weg, der das Radfahren meistens unmöglich machte. So mussten wir die Strecke bis zum Erreichen des Großen Bechen größtenteils zu Fuß zurücklegen.
Der Weg um den Großen Bechen, vorbei an dem Gedenkstein für Otto Weddigen, einen bekannten U-Boot-Kommandanten im Ersten Weltkrieg, ist dagegen recht gut befahrbar. Dadurch konnten wir zügig die Badestelle an der Schermeiseler Straße erreichen und nach anstrengenden 25 km ein erfrischendes Bad in dem heute wieder klaren Wasser nehmen.
Den Nachmittag nutzten wir eine Fahrt mit dem Auto nach Lagow und einen Spaziergang am Tschetschsee. Zurück wählten wir den Umweg über Selchow. Die Straße von Langenpfuhl nach Selchow und weiter über Wutschdorf nach Sternberg ist für mich ebenfalls mit Erinnerungen an einen Tag im Frühjahr 1945 verbunden. Der sowjetische Ortskommandant hatte befohlen, Dreschmaschinen der Langenpfuhler Bauern nach Sternberg zu bringen. Fünf Maschinen wurden ausgewählt. Am frühen Morgen spannten wir Jungen unsere Pferde vor die unförmigen, eisenbereiften Maschinen, die für Umsetzungen über längere Strecken nicht vorgesehen sind. Einziger Erwachsener bei diesem Transport war Karl Minge. Er entschied, wegen des schlechten Zustandes der Straße nach Lagow den längeren Weg über Schönow – Wutschdorf nach Sternberg zu nehmen. An der Kommandantur erhielt die Besatzung jeder Maschine ein Brot als Marschverpflegung. Kutscher und Beifahrer saßen in der Höhlung, durch die beim Dreschen das Stroh ausgeworfen wird. Viele Stunden brauchten wir für die 35 km lange Strecke. Eine Maschine musste unterwegs am Straßenrand abgestellt werden, weil ein Rad blockierte. Auf Gefällestrecken wurden Räder mit Ketten blockiert, weil die Pferde die ungebremsten Maschinen hätten nicht halten können. Am Bahnhof in Sternberg stellten wir die Maschinen ab. Niemand kümmerte sich darum. Wie und wann wir wieder nach Hause gekommen sind, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich sind wir den etwas kürzeren Weg über Lagow geritten und erst spät in der Nacht wieder in Langenpfuhl angekommen.
Bei unserem Spaziergang am Tschetschsee kam uns der Gedanke, auch diesen See einmal mit dem Fahrrad zu umrunden. Vielleicht im nächsten Jahr!?