Zurück zu den Wurzeln
Mit drei Amerikanern auf Spurensuche im Sternberger Land
Von Wolfgang H. Freyer
Vorbemerkung:
Der Verfasser dieses Berichts wurde Anfang 1943 in Zielenzig geboren, stammt aber aus dem kleinen Dorf Grabow, 5 Kilometer nördlich von Sternberg. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit Heimat- und Familienforschung (Familienname: Sprenger u.a.). Über Internet mit vielen Forschern weltweit verbunden, kam er vor ein paar Jahren in Kontakt zu einer Mrs. Jeanne Allan aus Olympia im Staate Washington am Pazifik der USA, deren Vorfahren ebenfalls aus Grabow stammen. Es handelt sich hierbei um Marie Ottilie Menze, die am 26.12.1854 in diesem Dorf geboren wurde und auch hier in der kleinen Kirche 1875 den Carl J. A. Henning aus Arensdorf geheiratet hat. Weitere Verwandte stammten aus Sternberg, Ostrow, Zielenzig, Arensdorf, Hammer, Weiberwerder, Selchow und Bomst. Diese Kleinstadt liegt aber nicht mehr im Kreise Oststernberg, wie die genannten Ortschaften, sondern gehörte bereits zum Kreis Meseritz. 1880 wanderte die Familie nach Amerika aus und siedelte dort im damaligen Dakota-Territorium.
Da von Grabow nur wenig Urkundliches vorhanden ist, Kirchenbücher und Standesamtsunterlagen ganz und gar nicht, freut man sich natürlich über eine derartige Verbindung, die eine Reihe von Neuigkeiten aus dem damaligen Grabow brachte. Aber der Clou ist Folgender: Die besagte Marie O. Menze aus Grabow überlieferte ihren Kindern und Kindeskinder eine Bibel, die noch heute im Besitz der Familie ist. In die Bibel wurden von ihr sämtliche familiären Ereignisse mit Daten (älteste Eintragung bezieht sich auf die Geburt von Maria Schulz verehel. Menze, geb. 1820 in Ostrow), wie Herkunft ihrer Vorfahren, Geburten, Eheschließungen, Todesfälle, ja sogar Patenschaften (insbesondere in Grabow) eingetragen. Eine Gottesgabe in zweierlei Hinsicht, insbesondere aber für den Familienforscher von heute. Nach der Transkription der alten Handschriften und Verifizierung der nicht immer lesbaren Ortschaften durch Herrn Freyer kam bei Mrs. Allan der Wunsch auf, nun auch die Stätten ihrer Vorfahren zu besuchen. Auf Anfrage erklärte sich der Verfasser bereit, sie und ihre Verwandten, das Ehepaar Dick und Beverly Dillon, whft. in Montana im Westen der USA, durch den Oststernberger Landkreis zu führen und die Stätten ihrer Ahnen aufzusuchen.
An einem Sonnabend Mitte September 2011 war es dann soweit, die „Amis“ kamen nach Berlin, sie hatten eine weite Reise hinter sich. Während Jeanne viele Ecken der Welt kennengelernt hat, waren Dick und Bev erstmals in einem nicht englischsprechenden Ausland. Nach einem ausgiebigen Frühstück ging’s los; erster Stopp an der Grenze Autobahnbrücke Frankfurt/Oder. Kurzes Wundern bei den Amis – keine Grenzkontrollen? Aha, so ist es in der EU. Den Hinweis, dass es nicht immer zwischen den EU-Staaten so geht, konnte ich mir verkneifen, hätte nur Verwirrung gestiftet. Geld wurde gewechselt und weiter ging’s im Stau auf der Umgebungsstraße von Reppen nach Sternberg (die neue Autobahn war noch immer nicht fertig), unserer ersten Station. Die Vorfahren hier: Schulz und Menze.
Zuerst wurde die Kirche besichtigt, in der seinerzeit die Familien geheiratet haben (damals hatte die Kirche ein anderes Aussehen, innen wie außen). Weiter ging’s zum alten deutschen Friedhof, sehr kümmerlicher Zustand. Zwei Menze-Abkömmlinge müssten hier begraben sein: Ernst Menze ertrank im Eilangsee 1872 im Alter von 10 Jahren, sein Bruder Karl wurde 1899 in Sternberg beim Holztransport von rollenden Baumstämmen erschlagen.
Am mittleren Teil der ehemaligen Hohenzollernstraße/Ecke Rossmarkt, dort, wo früher die Familien Förster, Göritz und Geisler gewohnt haben und heute das doch etwas bizarre Restaurant und Hotel „Chroby“ steht, wurde eingekehrt, um eine Erfrischung zu nehmen. Aber zunächst wurde diese Architektur näher in Augenschein genommen, die Amis witterten wohl einen mittelalterlichen Bau, mit den vielen Zinnen und blechernen Kanonen.
Beim Kaffee erinnerte ich mich an die Erzählungen meiner Mutter: „Sonnabends war Tanz in Sternberg, da liefen wir jungen Mädchen aus Grabow und Kemnath auf der Chaussee den langen Weg bis zum Tanzlokal in Sternberg. Spätabends dann wieder im Dunklen zurück!“ Wo war das nur, dieses „Tanzlokal“? Im Hotel „Deutsches Haus“? Die alten Sternberger werden sicher hierauf eine Antwort geben können.
Wir hielten uns hier aber nicht lange auf, die Zeit drängte und das Programm war lang. Ein Rundgang durch das alte Sternberg vermittelte uns einen Eindruck von der Zeit als Sternberg noch ein blühender Marktflecken war. Wir liefen dann die Crossener Straße lang (und passierten hierbei, ohne es zu wissen, an der Ecke Schützenhausgasse das Gehöft des Bauern Schulz, dessen Famile ebenfalls zum Ahnenstamm der „Amis“ gehörte) zur Badestelle am Eilangsee, wo der arme Ernst 1872 mit nur 10 Jahren ertrunken ist. Man steht dann an dieser Stelle und denkt „so so, hier war’s also…“ Die Badestege wurden abgegangen; es fehlte nur der hölzerne Sprungturm, der früher die ganze Anlage krönte. Der Blick über den See führte zu der Stelle, wo damals die Gebäude des Gutes Wasserhof gestanden haben. Mein Ur-Großvater Eduard Freyer war hier Anfang des 20. Jahrhunderts für mehrere Jahre als Brenner-Meister tätig.
Unsere eingeplante Zeit für den Sternberg-Besuch war längst abgelaufen, es gibt doch mehr zu sehen, als bei der Planung der Reise vorgesehen war. Nachmittags verließen wir Sternberg und machten uns auf nach Bomst, in der südlichen Ecke des Kreises Meseritz. Die Fahrt dorthin zog sich ganz schön in die Länge, zumal die am Wege, nahe Schwiebus, auftauchende riesige Christus-Statue auch noch näher betrachtet werden musste. In Bomst wurden 1876 und 1877 die Geschwister Paul und Elisabeth Hennig geboren, die später bei der Auswanderung mit von der Partie waren. Leider kannten wir auch hier in Bomst nicht die Wohnstätten der Vorfahren. Ein Rundgang durch die Stadt brachte zumindest eine Ahnung davon, wie es hier vor 140 Jahren ausgesehen haben mag.
Die Rückfahrt Richtung Lagow, wo im Johanniter-Schloss die gebuchten Zimmer auf uns warteten, ließ nicht mehr viel Sicht zu, es war inzwischen dunkel und heftiger Regen prasselte auf unser Auto. Aber beim Durchfahren von Koritten dachte ich an meinen Vorfahr Wilhelm Freier geb. in Topper (eigentlich: Freyer, der Pastor von Topper machte damals bei der Eintragung einen Fehler), der hier über 30 Jahre lang als Lehrer wirkte und sich einen Namen als Heimatforscher und Schriftsteller machte, bevor er im Alter nach Frankfurt/O. zu seinen Verwandten zog.
Im Hotel Zamek waren wir die einzigen Gäste; für die Schönheit des nun wirklich mittelalterlichen Gebäudes war keine Zeit, das neben dem Polnischen Tor liegende Restaurant wollte gleich schließen. Beim Essen wurde dann der lange Tag mit den vielen Eindrücken durchgegangen, wir waren alle ziemlich groggy.
Der nächste Tag überraschte uns mit dicken, grauen Wolken. Als Frühaufsteher wollte ich vor dem Frühstück noch ’ne Runde durch Lagow drehen, war allerdings überrascht, im seit einigen Jahren überdachten Innenhof des Schlosses die Jeanne am Laptop sitzen zu sehen, Empfang über W-LAN war möglich. Die gewonnenen Erlebnisse vom Vortag mussten gleich verkartet und in alle Winde versandt werden. Ein gutes Frühstück in netter Gesellschaft verleitet immer dazu noch länger am Tisch zu bleiben, um zu plaudern, zu lange, wie sich abends heraustellte, waren doch wieder viele Dörfer „zu begehen“, die Zeit drängte.
Aber erst einmal den Schlossturm bestiegen und die Rundumsicht genossen, trotz grauer Wolken. Ein immer wieder imposanter Ausblick auf das schöne Lagow, es war gut, dass den „Amis“ bis hier oben etwas die Puste ausgegangen ist, so konnte nicht viel gefragt werden und ich hatte auch mal Pause vom ständigen Sprechen und Denken in Englisch. Ein kleiner Sparziergang führte uns auf den Berg, vorbei an den Gebäuden des Rentamtes, hinauf zum Deutschen Friedhof, auch hier alles ziemlich triste. Aber ein Grabstein sieht noch ganz gut aus: Inge Freyer, 1938-1939, Tochter des Willi Freyer und seiner Ehefrau Elsa Marie geb. Kahl aus Lagow, gehört zu meinen weitläufigen Vorfahren.
Hinunter zum See, die alten Eichen bestaunt und den Unterschied zwischen amerikanischer und deutscher Eiche erklärt; dann aber endlich ins Auto und los.
Selchow war unsere nächste Station, zuerst: der Friedhof. Hier steht noch, gut erhalten, ein Grabstein für Wilhelmine Menze geb. Pärschke, 1859-1914). Die Vorfahren der „Amis“ zogen nämlich von Bomst nach Selchow, wohnten und arbeiteten hier einige Jahre, wahrscheinlich bei der o.a. Menze-Familie. Die Bibeleintragung besagt, dass eine Menze-Tochter mit zwei Jahren an „kochendem Wasser gestorben“ ist, wahrscheinlich hat sich die Kleine verbrüht.
In der Dorfmitte, nördliche Seite, dort wo früher in etwa die Familien Siebenschuh und Gerlach gewohnt haben, befindet sich heute ein Tante-Emma-Laden. Hier sollte Dick seine Polnischkenntnisse anbringen; hatten wir doch gestern auf der langen Autofahrt bereits verschiedene, einfache Sätze geprobt, wie z.B. „dzien dobre, pani“. Wir marschierten also in den Laden, an der Spitze unser Dick, der dann auch freudestahlend diesen Satz mit seiner sonoren Stimme in den Raum trompetete. Nun hatten wir Glück, hinter dem Tresen stand auch tatsächlich eine Frau und kein Pan, die einesteils überrascht war, fremde Gesichter zu sehen, andererseits sich über Dicks höfliche Ausdrucksweise amüsierte. Sie gab auch eine lange Antwort, doch da mussten wir dann leider passen. Ein paar Getränke wurden eingekauft und vor der Tür auf den hölzernen Bänken eingenommen. Dick freute sich noch immer über seine gelungene Ansprache im Geschäft und wollte nun den nächsten Satz lernen: „proze, dwa piwo“, was dann aber erst abends angebracht sein sollte.
Ein Rundgang durchs Dorf führte uns zur hölzernen Kirche und zum Gutshaus, auf der Karte von Alexander Herrmann als „Schloss“ bezeichnet. Das Gutshaus stand leer, wurde wohl gerade wieder aufgemöbelt, einige Handwerker tummelten sich. Wie wir verstanden haben, will die Gemeinde Selchow diesen Bau nach Renovierung verkaufen, leider sind noch keine Interessenten vorhanden.
Wieder zu spät losgefahren, weiter ging die Tour über Schönow nach Seeren. Wir nahmen den direkten Weg und mussten schon nach ein paar hundert Metern hinter Schönow feststellen, dass es offensichtlich keine so gute Idee war. Die Abkürzung entpuppte sich als mit Feldsteinen gepflasterter Feldweg, der kein Ende zu nehmen schien und für einen Stadtfahrer eine Herausforderung darstellte. Aber die „Amis“ waren begeistert, so etwas gibt es nicht im Ami-Land. Es wurde mehrmals ausgestiegen und der Pflasterweg und umliegenden Felder fotografiert, zugegeben, es hatte was, vor 200 Jahren sah es hier bestimmt genauso aus.
Die Bunkeranlagen bei Hochwalde dagegen fanden nicht so das Interesse. Jetzt mussten wir uns sputen, unser Ziel war Weiberwerder am Brenkenhofskanal. Über Meseritz, Schwerin zur Brückenvorstadt von Landsberg, hier wollten wir eigentlich den Abzweig nach Derschau und Karolinenhof benutzen, hatten ihn aber leider verpasst und standen schon auf der Warthebrücke von Landsberg. Also wieder zurück und unter beschwerlichen Umständen befuhren wir die Deichkrone in Richtung Weiberwerder, wie wir meinten. Laut Messtischblatt von 1930 lagen wir richtig, aber die vielen Wiesen, ab und zu ein einsames Gehöft, ließen keine korrekte Orientierung zu. Meine Augen mussten ständig unseren Fahr-weg im Blick behalten, die Deichkrone bestand eigentlich nur aus Schlaglöchern und wollte wohl unser Auto einer Festigkeitsprüfung unterziehen. Aber dann…, da lag der Hof, links ca. 1 Kilometer Luftlinie. Also runter vom Deich in Höhe Plonitz und dann über Wiesen und matschigen Fahrwegen zum Gehöft.
Der Vier-Seiten-Hof lag etwas erhöht, abseits, einsam, wie eine Insel (vielleicht deshalb der Name Werder?).
Aus einem Storchennest neben den Hofgebäuden flog etwas auf, das einzige sichtbare Leben weit und breit, eine beklemmende Stille umgab uns. Die letzen 200 Meter gingen wir dann zu Fuß. An den Gebäuden machten wir uns lautstark bemerkbar, leider nicht ausreichend, lediglich ein großer, zottiger Hund schoss auf uns zu. Er stellte sich aber harmlos oder war es auch, wollte nur unsere Jackentaschen mit seiner Riesenschnauze nach einem Leckerli durchsuchen. Aus dem Wohngebäude kam lautstarke Unterhaltung, niemand nahm von uns Notiz. Dick stimmte ein altes Volkslied an …o give me a home, where the buffalo raom… als plötzlich die Haustür aufging und ein sehr betagtes, am Stock gehendes Mütterlein herauskam. Der Hof hörte nun drei Sprachen, aber keine Partei verstand die andere, als plötzlich das Zauberwort vernommen werden konnte: „kawa??“ Natürlich nahmen wir das Angebot ganz freudig an und wurden ins Haus gebeten, unser eigentliches Ziel. Hier saßen wir in der guten Stube und hielten uns die Ohren zu, denn in der Ecke dröhnte der Fernseher, bis er endlich abgestellt wurde. Die alte Frau, nun verständlicherweise sehr aufgeregt, brachte für jeden ’ne Tasse Kaffee und ein paar Kekse. Diese Herzlichkeit ging uns sehr nahe, denn die Umstände waren wirklich einzigartig. Wir machten der alten Dame klar, wer wir waren, woher wir kamen und was wir hier eigentlich wollten. Ich denke schon, dass sie es auch irgendwie verstanden hat. Andererseits kann ich mir vorstellen, dass hier noch nie Amerikaner aufgekreuzt sind.
Dick sagte schon seit einiger Zeit kein Wort, er war sehr ergriffen, man sah ein paar Tränchen die Backen runterkullern; hier wohnten in den Jahren 1879 bis 1880 seine Urgroßeltern Carl Hennig und Ehefrau Marie geb. Menze. und brachten zwei Kinder zur Welt; vielleicht sogar in dieser Stube.
Wie wir aufgrund einer Ausweiskarte feststellen konnten, wohnt nun hier die Familie des Herrn Stanislaw Gatazka, die Siedlung Weiberwerder gehört verwaltungstechnisch zu Plonitz.
Wir verließen dankbar das Haus und besahen uns noch die Stallungen, Scheune, Schmiede usw. Vor 200 Jahren sah es bestimmt genau so aus, nur dass damals kein Trecker auf dem Hof stand wie heute.
Die Zeit im Haus hatte uns vergessen lassen, dass wieder ein weiter Weg vor uns lag, bis zurück nach Lagow waren es einige Kilometer. Als wir zum Auto kamen, erfreuten wir uns an einem selten gesehenen Sonnenuntergang, der Himmel färbte sich blutrot und die Umgebung in bräunlich-rötliche Töne. Als die Sonne dann hinter der Warthe verschwunden war, wurde es schnell dunkel. Zurück ging es über die Brücke von Plonitz, die hier den Brenkenhofskanal überfahrbar macht, dann rüber nach Dechsel und weiter über Meseritz, Schwiebus nach Lagow. In der Dunkelheit erschien mir der direkte Weg auf den kleinen Straßen nicht opportun.
Der letzte Morgen in Lagow. Diesmal waren wir früher als sonst „an Deck“, die Reisetaschen gepackt und ab ging die Fahrt Richtung Hammer und dann Arensdorf. Diese beiden Dörfer konnten wir gestern, wie eigentlich geplant, wegen der späten Stunde nicht mehr aufsuchen.
Bei schönem Wetter durchfuhren wir das Sternberger Land, über Langenpfuhl, Schermeisel, Königswalde bis zur Kirche in Hammer. Das gestern besuchte Weiberwerder war seinerzeit zu Hammer eingepfarrt; Taufen usw. fanden hier statt, allerdings hatte die Kirche zur Zeit, als hier im Jahre 1879 und 1880 die Kinder aus Weiberwerder, nämlich Heinrich und Adolf Hennig, getauft wurden, ein anderes Aussehen als heute. Rings um das Kirchengebäude befand sich ehemals der Friedhof, einige Gräber und Grabplatten sind noch gut erkenn- und lesbar, z.B. die der Müllerfamilie Barsch, die hier Ende des 18. Jahrhunderts ihre letzte Ruhe gefunden haben.
Wir durchwanderten das Dorf und trafen auf eine Bewohnerin, die gerade aus dem Wald kam und die Körbe voller Pilze hatte; Maronen und Steinpilze, jede Menge. Da lachte des Pilzsammlers Herz, und einen Moment lang dachte ich tatsächlich daran, meine Begleiter in den Wald zu führen und in die Vorgehensweise beim Pilzesammeln einzuweisen.
Aber der immerwährende Zeitdruck ließ uns die Reise fortsetzen und wir kamen nach Arensdorf. Dieses beschauliche Fleckchen war die Heimat von August Hennig und Ehefrau Ernestine Grundmann, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Arensdorf lebten und hier ihren Sohn Carl Julius Adolf Hennig im September 1848 taufen ließen. In den Eintragungen der bereits erwähnten Familienbibel wird er als „Brennermeister“ bezeichnet und arbeitete auf dem Gut. Sein Vater dagegen war Bauer und Gerichtsschulze. Die im leidlichen Zustand befindlichen Gutsgebäude, Stallungen, Scheune, Brennerei usw. hatten es meinen Amerikanern besonders angetan. Aufgrund der Architektur konnten sie sich vorstellen, dass es schon zu Urgroßvaterszeiten so ausgesehen haben müsste. Wie mag es hier zugegangen sein, in dieser Zeit? Wie war das Leben organisiert?
Das leerstehende, langsam verfallende Herrenhaus dagegen hinterließ bei uns einen wehmütigen Eindruck, zumal die alten Postkarten „ein lebendes Schloss mit Park“ zeigten.
Die Zeit drängte uns wieder, weiter ging es nach Zielenzig, hier hatten wir um 13 Uhr einen Termin im wiederaufgebauten, fein rausgeputzten Johanniterhaus.
Bei Planung der Reise wurde ich nämlich von den „Amis“ gefragt, ob es nicht möglich wäre, die Geschichte des Landes auch einmal von kompetenter polnischer Seite zu erfahren. Herr Mgr Jacek Cieluch als Leiter des Dom Joannitów erschien mir hierfür die richtige Persönlichkeit; auf Anfrage erklärte er sich freundlicherweise bereit, uns durchs Johanniterhaus zu führen und die Geschichte des Landes darzustellen.
In der Halle erwartete uns bereits Pan Cieluch zusammen mit seiner Sekretärin Marija. Was als kurzer, geschichtlicher Abriss angedacht war, entwickelte sich zu einem mehr als einstündigem Vortrag in deutscher Sprache, Zwischenfragen und -antworten eingeschlossen. Meine Simultandolmetscherei kam oft gar nicht mehr hinterher und stiftete manchmal, insbesondere hinsichtlich der vielen polnischen Fürstennamen und Granden einige Verwirrung. Aber Marija, die vorgeblich kein Englisch verstand, half mir dann aus der Patsche mit den englischen Termini, oh Wunder! Zeitweise dachte ich, eine andere Geschichte zu hören, im wahrsten Sinne des Wortes.
Der Rundgang durchs Haus und Besichtigung der Räume, in denen Erinnerungstücke aus der Zeit vor 1945 ausgestellt waren, führte uns dann in den Konferenzraum, wo wir sehr dankbar an einem langen, mit Kaffee und Kuchen gedeckten Tisch Platz nehmen durften! Hier ergab sich eine sehr persönliche Unterhaltung und wir erfuhren was von der Herkunft der Familie des Herrn Cieluch (ehem. Ost-Polen), und auch Marijas Vorfahren kommen nicht aus dem Sternberger Land sondern aus Armenien. Von den am Tisch Sitzenden war ich also der einzige, der hier aus Zielenzig stammt. Mit Interesse wurde die Geschichte meiner Familie aufgenommen, insbesondere die Umstände der Vertreibung aus Grabow im Juni 1945.
Ein Rundgang durch die Altstadt von Zielenzig, oder besser: was davon übrig gelblieben ist, führte uns zum Marktplatz. Hier hatte der Fotograf Eduard AlIsch sein Geschäft und lichtete in den 1860er Jahren die Familie Menze ab. In der Nähe lebten meine Sprenger-Verwandten. Vis-à-vis Marktplatz wächst fleißig die vom Oststernberger Heimatverein 1995 gepflanzte Eiche, der Baum der Verständigung. Bevor wir dann Zielenzig verließen, noch ein Halt: der alte Teil des Krankenhauses Zielenzig an der Ostrower Chaussee/Ecke Brauner Weg, hier erblickte ich im Februar 1943 das Licht der Welt.
Der nächste Stopp kam an der Kirche in Ostrow. Nicht nur weitere Sprenger-Hoppenheit-Verwandten lebten hier, auch die Vorfahren der Amis waren hier zu Hause: Marie Menze geb. Schulz. Ein kurzer Rundgang durch die Ortsmitte, mehr Zeit blieb uns nicht, denn im weiter südlich gelegenen Dorf Grabow war ein längerer Aufenthalt geplant.
Hier in Grabow lebten die Menze lange Zeit, wurde Marie 1854 geboren, ging zur Schule, wurde eingesegnet und heiratete schließlich 1875 den Carl Hennig aus Arensdorf. Die kleine Dorfkirche war damals noch als einfacher Fachwerkbau zu erkennen, mit separatem, hölzernen Glockenturm. Wir hatten die Gelegenheit, die Kirche zu betreten. Hier drinnen spielte sich alles ab; Taufen, Hochzeiten und Trauerfeiern aller unserer hier gelebten Vorfahren, die der Amis wie auch meiner Familie. Es war nicht zu erkennen, ob das vorhandene Taufbecken noch dasselbe war, an dem ich vor 69 Jahren, in einem Steckkissen liegend, meine Taufe durch Pfarrer Rahmel aus Sternberg erfahren habe.
Ich will nicht verschweigen, dass mich der Augenblick hier am Taufbecken doch irgendwie ergriffen hat.
Das Haus meiner Großeltern (Oswald und Emma Sprenger geb. Schmidt), Mutter (Erna) und Tante (Gerda), mittig in der Dorfaue gelegen, wird heute von zwei Familien bewohnt.
Was auf dem weitläufigen Gutsgelände noch an Bauwerken vorhanden ist, wurde in Augenschein genommen, langsam verfällt hier alles, nur das Wohnhaus vom ehem. Verwalter Freiberg strahlt in neuer Farbe. Das ehemalige Gutshaus, von den alten Grabowern „das Schloss“ genannt, war bei der Vertreibung der Dorfbewohner durch die Polen im Juni 1945 noch intakt; es wurde später in Brand gesteckt und danach abgerissen. Die Ruinensteine dienten den neuen Bewohnern zum Aufbau ihrer kleinen Häuschen.
Die für Grabow eingeplante Stunde zog sich wieder in die Länge, aber dann musste auch hier Schluss sein. Spätnachmittags saßen wir zur Kaffeepause in Sternberg wieder in dem eingangs erwähnten Restaurant und ließen alles nochmal Revue passieren.
Als wir Berlin erreichten, war es schon lange dunkel. Koffer packen war dann angesagt. Am nächsten Morgen, in aller Herrgottsfrühe traten Dick und Beverly ihren (sehr) langen Heimflug an, waren aber spätabends, desselben Tages wieder in Seattle, im Staate Washington am Pazifik; bei uns wurde es wieder hell, ein neuer Tag.
Nachbemerkung:
Als Heimat- und Familienforscher würde ich mich freuen, von den Lesern des vorstehenden Aufsatzes ein Echo zu erfahren, insbesondere zu den genannten Familiennamen in Bezug auf die Ortschaften und Zeitspanne. Schreiben Sie bitte an unseren Heimatverein oder direkt per E-Mail an mich.
Aber auch das Leben auf dem Gutshof von Arensdorf stößt bei den „Amis“ auf Interesse. Vielleicht kann sich ein Nachfahre der ehemaligen Besitzer aufraffen, hierzu ein paar Zeilen zu schreiben. Die Ur-Ur…Enkelkinder der „Ausgewanderten“ wären sehr angetan.
Sollte Interesse bestehen an weiteren Einzelheiten der geschilderten Reise, geschrieben aus der Sicht der Amis, so gehen Sie ins Internet: http://www.allancorner.net und lesen Sie dort die Reiseaufzeichnungen von Jeanne Allan (natürlich in englischer Sprache).
Wolfgang H. Freyer
sternbergerland@t-online