Kunstmaler Franz Lippisch aus Hammerschneidemühle bei Hammer
Von Friedrich Wilhelm Patuschka, Lehrer in Louisa
Bearb. H. Habermann
(Teilauszug: Heimatkalender für den Kreis Oststernberg)
Heiß brannte die Sommersonne, und der Wald verbreitete starken Harzgeruch. Wieder einmal umfing mich die Heimat und ihre herbe Schönheit redete die mir so bekannte eindringliche Sprache. Wie oft und wie gern war ich hier die Wege gegangen: durch den einsamen, stillen Wald, zu den verträumten, dunklen Waldseen, über die sanften Höhen hinab in manch grünes Tal, das ein munteres Bächlein durchfloss. Und ich musste des Mannes gedenken, den ich aufsuchen wollte: Franz Lippisch.
Bald stehe ich vor dem letzten Haus in Jamlitz, das er bewohnt. Ich treffe den Altmeister bei der Arbeit in seinem Atelier. Heimatgrüße bringe ich, da müssen Pinsel und Palette ruhen. Im lauschigen Garten sitzen wir und plaudern, dass die Zeit nur zu schnell vergeht.
Kennen Sie die Hammerschneidemühle?, werde ich gefragt, als ich sage, dass ich aus dem Sternberger Land komme. Als ich bejahe, erzählt der Altmeister sogleich Erinnerung aus seiner Jugend, die er im Oststernberger Kreise verlebte. Heiter weiß er zu berichten, wie unsere Vorfahren ein gutes Mittel hatten, der Jugend die Grenzen der Feldmark einzuprägen: Beim Überschreiten derselben verabfolgte man jugendlichen Begleitern eine Ohrfeige. Auch ihm ist es so ergangen; aber heute muss er über diese Art handgreiflicher Begriffbildung herzlich lachen. In Landsberg ging Lippisch zur Schule. „Leider“, so sagt er traurig, werden wohl nur wenige sich meiner persönlich erinnern können; denn die, mit denen ich in Landsberg gelebt, sind längst ins Zeitlose eingegangen. Schon hier auf dem Gymnasium zeichnete er gern. Dass sein sehnlichster Wunsch, Kunstmaler zu werden, sich recht bald erfüllen würde, ahnte er damals nicht. Sein Stiefvater wollte aus ihm einen Kaufmann machen und schickte ihn nach Spandau in die Lehre. Den körperlichen Anforderungen – damals hieß es von morgens fünf bis abends neun und später auf den Beinen zu sein – war der zarte Lehrling nicht gewachsen. Eine schwere Erkrankung warf ihn nieder und befreite ihn so von dem Lose, geruhsam als Kaufmann seine Tage zu verbringen. Nach Wiederherstellung seiner Gesundheit bezieht er die Berliner Akademie, um Kunstmaler zu werden.
Es brach für den jungen Künstler eine herrliche Zeit an, fallen doch seine Studienjahre in die Zeit des Aufstiegs des Bismarckschen Reiches. Sein erster Lehrer war der bekannte Pferdemaler Steffeck. Später saß er zu Füßen Paul Thumanns, der sich seines hoffnungsvollen Schülers besonders annahm. Bald hat seine Kunst in Fachkreisen Beachtung gefunden, und diese ist es, die ihm auch überall Eingang verschafft. In dem Künstlerkreis, in dem er verkehrte, kam er besonders viel mit Richard Dehmel zusammen. Aber auch mit seinen großen Malerkollegen hat er Verkehr. Wie er mit Menzel bekannt wurde, sei hier nacherzählt: In der Zeit seines künstlerischen Aufstiegs wird ein Menzelpreis ausgeschrieben. Lippisch beteiligt sich mit einigen Arbeiten und gewinnt den Preis. Der junge Künstler will nun dem Stifter des Preises seine Aufwartung machen, um ihm vor allem Dank zu sagen. Nun war in den Künstlerkreisen bekannt, dass es äußerst schwierig war, den Meister zu sprechen, da er sich selten stören ließ und unter Umständen sacksiede grob werden konnte.
Unserem Lippisch blieb nichts übrig, als den schweren Gang zu gehen, nachdem ihm jemand, der mit den Gepflogenheiten des Meisters vertraut war, angeraten hatte, nur unbeirrt so lange Einlass zu begehren, bis ihm geöffnet sei. An Menzels Geburtstag macht sich Lippisch auf den Weg. Der hintere Aufgang führt zum Atelier. Mit jeder Stufe wird die Stimmung gedrückter. Die Tür zum Atelier! Zaghaftes Klopfen – nichts lässt sich hören. Verstärktes Pochen – nichts ist vernehmbar. Minute auf Minute vergeht, schon schmerzt der Knöchel. Doch war es dem Wartenden, als ob er leise Schritte vernommen hätte. Er klopft recht laut und anhaltend weiter. Da plötzlich wird die Tür aufgerissen und vor ihm steht wutschnaubend – Menzel. Ein Ungewitter entlädt sich auf den demütig Harrenden, der keine Zeit findet, sein Anliegen vorzubringen. ,,Gestatten, Herr Professor – Hier ist nichts zu gestatten, eine Ungezogenheit ist es, einem die kostbare Arbeitszeit zu kürzen! – Und zwischen Ich wollte – Erlauben Sie – Meine Absicht war – hagelt es die heftigsten Vorwürfe. In einer ganz kleinen Atempause ist es dem halb Zerknirschten endlich möglich, seinen Namen zu nennen. „Sie sind Lippisch? Mann, warum sagen sie das nicht gleich?“ Und dann – schließt ihn der berühmte Menzel in seine Arme und geleitet ihn zu der Geburtstagsgesellschaft.
In der Prinzessin Friedrich Karl von Preußen findet der Kunstmaler eine Gönnerin, die seine Kunst zu schätzen weiß. Sie gibt ein größeres Capribild in Auftrag, sodass es Lippisch möglich wird, ins Sehnsuchtsland der Künstler — Italien — zu gelangen. Das genannte Bild wie andere Capribilder gingen in den Besitz der Tochter der Prinzessin der Herzogin von Connaught und kamen so nach England. Italien wurde ihm zur zweiten Heimat, und noch oft zog es ihn von Deutschland her immer wieder in das sonnige Land. Viel Umgang hatte er hier mit Hans von Marees, der für sein künstlerisches Schaffen von großem Einfluss war. Arnold Böcklin sah er sehr oft, wohnte sogar in Florenz in einer diesem gehörenden Villa. Im Hause des großen Malers hat er zwar nicht verkehrt.[1] – So weiß der Altmeister interessant zu erzählen.
Unbeirrt ging der Meister seinen Weg und schaffte in aller Stille an seinem Werk weiter, nachdem er sich in Jamlitz in der Spreewaldgegend kurz nach 1900 aus einem Bauernhaus ein idyllisches Malerheim geschaffen hatte. Aus guten Gründen hat der Künstler gerade Jamlitz nach seinen Wanderjahren zu seinem ständigen Wohnsitz gewählt. „Es war nicht nur der Reiz des Lieberoser Höhenlandes mit all seinen Schönheiten, als vielmehr die Ruhe des Spreewaldes, der ihn als Künstler immer wieder bezauberte und zu neuem Schaffen anregte. Gilt doch Lippisch als der „Entdecker“ des Spreewaldes, und bei allen seinen vielen Schülern des In- und Auslandes hat er für diese schöne märkische Landschaft stets Begeisterung zu erwecken verstanden. Außer vielen Landschaftsbildern und Porträts seien von seinen Werken nur die hervorgehoben, die des Altmeisters inneres Erleben und gedankliche Tiefe versinnbildlichen „Flößer Tod“, „Finale“ und „Heimkehr“.
Zu seinen begabtesten Schülerinnen gehört seine Tochter, Frau Bianca Commichau-Lippisch, die als anerkannte Porträtistin in Straupitz lebt. Auch ihre Liebe gilt dem Spreewald. Ihre Technik zeigt reifes künstlerisches Können. – Wir grüßen den Künstler als Sternberger und als Märker und wünschen ihm noch recht lange Kraft und beste Gesundheit, viel Schönes zu schauen, damit durch seine Kunst das Geschaute der Nachwelt zum dauernden Besitz übermittelt werden möge. Wie wollen von ihm die stille, bescheidene Art lernen, die sich in folgenden seiner Worte ausdrückt: Wenn einem der gute Gott ein so hohes Alter wie mir geschenkt, hat man wohl die Schuldigkeit, sehr zu bescheiden, was das eigene Zutun betrifft.
[1] Sein Sohn, der Flugzeugkonstrukteur Alexander M. Lippisch berichtet (Lippisch, Alexander: Erinnerungen. Steinebach-Wörthsee, Zuerl, o. J.. 264 S): „Wir wohnten damals in Charlottenburg bei Berlin, in der Kantstraße Nr. 9 im vierten Stock, Ein sehr weitsichtiger Baumeister Sehring hatte das Theater des Westens gebaut und daneben einige Wohngebäude errichtet, die von dem Theater durch einen großen Parkplatz und Gartenanlagen getrennt waren. Dass wir im vierten Stock wohnten, hatte seinen Grund darin, dass mein Vater Franz Lippisch, Kunstmaler war und im hinteren Flügel der Wohnung zwei große Ateliers eingerichtet hatte, in denen er seine Mal- und Zeichenschule und ein eigenes Studio betrieb. Die ganze Atmosphäre zu Hause war auf Kunst, auf Literatur und auf schöngeistige Dinge eingestellt. … Ich war der Jüngste, meine Schwester Bianca, die noch in dem Land der Kunst, in Rom, geboren war, die Älteste, und dann kam Anselm, dessen Vorname dem berühmten Maler Anselm Feuerbach entlehnt war und der mit Bianca zusammen die künstlerischen Tendenzen und Auffassungen der Familie vertrat. Da wurden die Museen besucht, die Kunstausstellungen, in denen auch Vaters Bilder hingen, betrachtet, da wurde über die Klassiker und über vieles andere Literarische diskutiert. … Seine Freund war Max Kruse.
Max Kruse war damals einer der bedeutendsten Bildhauer seiner Zeit. Von ihm stammten die Plastiken, die vor der Nationalgalerie standen. Er hatte sein Atelier ganz in der Nähe von uns, in einem Künstlerhaus in der Fasanenstraße (22). Max Kruse musste ja auch leben, und da er sehr groß und kräftig war, brauchte er jemand, der ihm die betreffende Verpflegung zubereitete. Da fand er ein Mädchen, das gleichzeitig bei ihm Modell stand. Sie hieß Käthe mit Vornamen, war im Gegensatz zu ihm ein schlankes, fast ätherisches Wesen, ein süßes kleines Persönchen, das aber einen sehr wachen und wirtschaftlich denkenden Geist besaß. Verheiratet waren sie, glaube ich, nicht. Das war auch damals in Künstlerkreisen mehr oder weniger Nebensache. Aber Kinder hatten sie schon. Da nun Max Kruse trotz seines großen Könnens kaum etwas verdiente, musste Käthe aus ein paar alten Stofflumpen Puppen zusammennähen, damit wenigstens die Kinderchen etwas von Weihnachten zu spüren bekamen. Das ging alles sehr schön, aber die Köpfe und die Gesichter… Und so überzeugte sie den großen Bildhauer, diese Köpfe und Gesichter auf die mit Gipse gefüllten Stoffpuppen zu formen. Es war gewiss kein Wunder, dass diese Köpfe und Gesichter das Entzücken aller Freunde, die diese Weihnachtspuppen zu Gesicht bekamen, hervorrief. Ja, sie wollten auch solche Puppen. Den Stoff und die Näharbeit wollten sie ja gern übernehmen, aber Kruse musste die Köpfe und die Gesichter formen und malen. Da kam aber die Frau Käthe, die ja letzten Endes die letzten Groschen in dem Portemonnaie betrachten musste, auf die großartige Idee, dass, wenn man genügend Stofffetzen sammelte und die Nähmaschine schnurren ließ, es möglich war, eine ganze Reihe solcher Puppen herzustellen, wenn es nur gelang, den bedeutenden Bildhauer dazu zu bewegen, diese Puppengesichter zu formen und anzumalen. Und es hat gar nicht lange gedauert, da konnte man in allen Spielwarenhäusern Berlins diese Puppen sehen, die nun den offiziellen Namen Käthe-Kruse-Puppen erhielten und mit denen sie dann sich selbst, ihre Familie und ihren sehr bequemen Mann glänzend erhalten konnte. Das war Max Kruse!“
Bildherkunft: Matthias Krebs, Jamlitz, privat. Der Heimatkreis Oststernberg dankt Herrn Krebs für die Überlassung.