Eröffnung des „Raumes des Erinnerns“ in Lagow
Bericht von der Zusammenkunft und den Ergebnissen der Arbeit
der polnisch-deutschen Arbeitsgruppe im Oktober 2011
Von Helmut Sommer
Wir hatten bei unserer letzten Arbeitssitzung im Mai 2011 keinen neuen Termin vereinbart. Dieser konnte erst durch mehrere Telefongespräche zwischen Stuttgart, Berlin und Lagow festgelegt werden, da es nicht so einfach ist, rund ein Dutzend Arbeitsgruppenmitglieder aus zwei Nationen unter einen Hut zu bekommen. Für die deutschen Teilnehmer mussten auch noch rechtzeitig Quartiere gebucht werden. Aber schließlich gelang es dann doch: Wir verabredeten als Sitzungstag für die Gruppe mit der Gemeinde den Dienstag, 11. Oktober am Vormittag, woraus sich als günstiger Anreisetag der davorliegende Sonntag ergab.
Wegen des langen Weges für Annita Zajonzek-Müller und Ulrich Müller aus Esslingen bei Stuttgart bis zu uns, dem Ehepaar Sommer aus Berlin, trafen wir uns am frühen Nachmittag in Potsdam, fuhren dann gemeinsam in einem Pkw bis Lagow. Die Fahrt verlief trotz der immer noch vorhandenen Baustellen glatt. Noch vor dem Dunkelwerden trafen wir in Lagow ein und wurden herzlich von unseren Gastgebern in der Pension „Smerka“ empfangen. Frau Mira und Herr Andrej Camer sind beide wertvolle Mitglieder unserer Gruppe und als Dolmetscher bei den Sitzungen unersetzlich.
Wie immer bei den letzten Zusammenkünften führte uns am nächsten Tag unser erster Gang zum ehemalige deutschen Friedhof auf dem Falkenberg. Wir fuhren bis zur Ortsmitte und spazierten dann durch den Schlosspark zum Seeufer des Tschetschsees. Hier nun die erste große Überraschung. Die steile Treppe vom Seeufer zum Friedhofsberg hinauf hatte das versprochene Geländer erhalten: Die für das Landschaftsschutzgebiet zuständige Naturschutzbehörde und die Försterei hatten Wort gehalten und rechtzeitig zusammengearbeitet – man sah dem Werk noch an, dass es eben erst errichtet worden war.
Auf dem Friedhof angekommen, dann die nächste große Überraschung. Wie vor einem halben Jahr geplant, lag ein für das Lapidarium als Eingangsmerkmal vorgesehener etwa 1,00 x 1,50 Meter großer Stein genau an der richtigen Stelle. Wie wir später vom Vorsitzenden der Sozialkulturellen Gesellschaft für die deutsche Minderheit, Herrn Bernaczek, erfahren haben, hatten seine Mitarbeiter den 2.500 kg schweren Findling aus der Eiszeit beim Bau der neuen Autobahn gefunden und unter großem Aufwand auf den Friedhofsberg transportiert.
Sehr beeindruckt von den Leistungen unserer polnischen Gruppenmitglieder verließen wir den Falkenberg in Richtung ehemalige Johanniterstraße, heute ul. Chobrego, um uns im Ort umzusehen – möglicherweise gab es ja noch mehr zu entdecken. – Und in der Tat: Kaum unten angekommen, dann wieder eine Überraschung: An einem Laternenpfahl und dann später noch mehrmals trafen wir auf ein Plakat, mit welchem auf die für den nächsten Tag, also für den 11.10.2011, stattfindende Eröffnung des Raumes des Erinnerns mit der dort eingerichteten Ausstellung hingewiesen wurde. Groß und nach genauerem Hinsehen zu erkennen ein Bild mit 5 Kindern der Familie Zajonzek, welches diese für die Ausstellung zur Verfügung gestellt hatte – die Initiatorin unserer Ausstellung ganz links als Baby. In der Tat also, das Plakat zeigte deutlich das Thema der Ausstellung mit dem von uns vorgeschlagenen und zusammen mit den polnischen Freunden bearbeiteten Titel „Kinder in Lagow“ (s. Abb unten).
Mit diesem Thema wollen wir zeigen, wie frühere und jetzige Einwohner dieses Ortes mit ihrer schönen Heimat umgegangen sind bzw. umgehen – nun waren wir alle sehr gespannt, welche Beiträge von den jetzigen Bewohnern zu den von uns gesammelten Ausstellungsobjekten dazugekommen und wie wohl das ganze gestaltet worden war.
Von dieser dreifachen Überraschung erholten wir uns in dem gegenüber dem Ausstellungshaus gelegenen ehemaligen Friseursalon, in dem sich neu das kleine Café und Restaurant „Trzy Roze“ eingerichtet hat. Bei einem wohlschmeckenden warmen Imbiss kam auch zur Sprache, dass dieser Raum schon zu meiner Kindheit und bis vor wenigen Jahren Frisiersalon war – auf die tragische Vergangenheit der Bewohner des Hauses im Januar 1945 ging ich aber nicht ein.
Während unserer Gespräche konnten wir zusehen, wie auf der anderen Seite noch eifrig geräumt und geputzt wurde, erkannten auch einige unsere polnischen Freunde wieder, ohne uns jedoch jetzt schon an sie zu wenden – die Eröffnung sollte ja erst am nächsten Tag stattfinden.
An diesem nächsten Tag um 11 Uhr im Gemeindehaus dann die Zusammenkunft und fröhliche Begrüßung aller Arbeitsgruppenmitglieder untereinander, verstärkt durch einige neue Gäste und Vertreter der örtlichen Presse. Der Herr Bürgermeister hieß uns wie immer persönlich Willkommen und bestätigte nun auch offiziell das vorgesehene Tagesprogramm, das nach dem Gespräch in der Gruppe die Eröffnung der in mühevoller Kleinarbeit zusammengestellten Ausstellung und – wenn gewünscht – einem gemeinsamen Spaziergang zum Friedhof auf dem Falkenberg bestehen sollte.
Zur Eröffnung der Gesprächsrunde bedankte ich mich im Namen der deutschen Teilnehmer für die am Vortag entdeckten ersten Ergebnisse der Arbeiten für den Friedhof, besonders herzlich bei der Gemeinde für die Instandsetzung des Weges und bei der Sozialkulturellen Gesellschaft für den gelieferten Stein. Frau Annita Zajonzek-Müller ging in ihrer kurzen Rede noch einmal auf unsere Wünsche mit dieser ersten Ausstellung ein, in der durch gemeinsames Aufarbeiten der unseligen Vergangenheit auf eine gute Gegenwart und Zukunft als Ziel hingearbeitet werden soll. Besonders beeindruckend für alle war ein Redebeitrag von Frau Stanislawa Chencinska als der ältesten Teilnehmerin, die von ihrer jahrelangen „Umsiedlung“ von Sibirien nach Lagow erzählte, wo sie seit 1946 eine neue Heimat gefunden hat und sich nun besonders darüber freue, dass sie bei der Aufbereitung unserer Ausstellung mitwirken konnte.
Nach einer guten Stunde begaben sich alle Teilnehmer vom Gemeindehaus zur Ortsmitte in das am Fuße der Burg vor der Stadtmauer gelegene Häuschen mit dem „Raum des Erinnerns“, von außen noch gekennzeichnet als „Tourismusbüro“; – hier versprach Frau Boguslawa Wozniak als für die Gemeinde für das gesamte Projekt verantwortliche Kulturreferentin noch zu reagieren.
Beim Eingang begrüßte uns im Treppenhaus gleich mehrere fröhliche bunte Bilder, hergestellt von den Kindern der Lagower Schule bzw. den des Kindergartens – man sah sofort: Hier hatten sich viele mit dem gewollten Thema beschäftigt. Im Obergeschoss dann die eigentliche Ausstellung. Hervorragend und übersichtlich zusammengestellt. Auf der einen Seite Fotos und kurze Berichte der jetzigen Einwohner, woran sich mehrere Familien beteiligt hatten, alle Texte vorwiegend in polnischer Sprache; auf der gegenüberliegenden Seite viele der von uns zur Verfügung gestellten Fotos und Berichte aus der Zeit vor 1945, dabei fast alle Texte nur in deutscher Sprache. Hier sollte noch weitergearbeitet werden – also Texte übersetzt und daneben gestellt werden, um die Ausstellung zweisprachig zu machen. Als Übergang zwischen beiden Seiten fungieren in einer Ecke ein Bericht über das Leben und Wirken des in Lagow geborenen Nobelpreisträgers Prof. Gerhard Domagk, in einer anderen erinnert eine Fotoecke an den Ehrenbürger Lagows, den auch uns allen bekannten Europameister Leo Pinetzki – und, worüber wir uns besonders freuten, in einer dritten Ecke wird mit Briefen und Fotos über Frau Dr. Irena Sinicka-Szeja berichtet, der Frau, die schon vor 15 Jahren mit ihrer „Gesellschaft der Freunde Lagows“ mit uns – damals leider wenig erfolgreich – für eine Zusammenarbeit von Polen und Deutschen eingetreten
war.
Der Bürgermeister Herr Ryszard Oleszkiewicz eröffnete nun mit wenigen Worten offiziell die Ausstellung, brachte seinen besonderen Dank an alle, die an den Vorbereitungen und dem Aufbau beteiligt waren zum Ausdruck. Schließlich wurde mit einem Gläschen Sekt auf das gute Gelingen und auf die Hoffnung auf weitere gemeinsame Projekte angestoßen.
Nach regem Gedankenaustausch verließen wir den Ausstellungsraum. Wegen des regnerischen Wetters verzichteten alle auf den vorgesehenen Spaziergang zum Friedhof – die meisten hatten es ja auch schon vorher getan. Abschließend hier nur der Hinweis: Dieser erste sehenswerte Versuch einer neuen Form von Zusammenarbeit sollte von möglichst vielen unterstützt werden.
Bei der nächsten Urlaubsreise Lagow mit einplanen und die Ausstellung besuchen. Den Schlüssel erhält man bei Frau Gabrys, Telefon 0048-500 785 227, oder bei der Gemeinde Lagow, Tel. 0048-683 412 372. Zurzeit ist auch sonntags zwischen 13.00 – 15.00 Uhr der „Raum des Erinnerns“ geöffnet.