Brandenburger Bräute – Kapitelauszug aus dem in Kürze erscheinenden Buch:
Hochzeitstraditionen und Frauenschicksale
in der Mark Brandenburg
Lothar Binger/Susann Hellemann
Lothar Binger:
Die Neumark und das historische Ostbrandenburg
Die östlich der Oder gelegene ehemals brandenburgische Neumark und das historische Ostbrandenburg u.a. mit seinen Kreisen West-Sternberg und Ost-Sternberg wurden nach dem Zweiten Weltkrieg als Folge des von Deutschland ausgehenden Eroberungs- und Vernichtungskrieges unwiderruflich zu polnischem Staatsgebiet. Dieses seit 750 Jahren deutsche Siedlungsgebiet hatte bis 1945 ähnliche Hochzeitstraditionen aufgewiesen wie die anderen Regionen der Mark Brandenburg. In dem landwirtschaftlich geprägten Gebiet waren das Ackerbürgertum der kleinen Städte und dörfliches Leben mit bäuerlichem Brauchtum bestimmend. In den gehobenen bürgerlichen Schichten heiratete man hingegen auf die allgemein verbreitete städtische Art.
Trachtenhochzeit im Kreis West-Sternberg
In dem jenseits der Oder gelegenen wendisch besiedelten Gebiet von Aurith und Ziebingen im ehemaligen Kreis West-Sternberg östlich der Niederlausitz gab es eine bäuerliche Trachtentraditon mit entsprechender Hochzeitskleidung. Bei den großen Dorfhochzeiten wurden Ehrenpforten wie auch in der Niederlausitz errichtet, beim Hochzeitszug hielt man eine strenge Rangordnung der Gäste ein, Brautjungfern bildeten vor der Kirche ein Spalier und in der Kirche einen Halbkreis um das Paar. „Zuvor legten die Brautjungfern eine Platte mit Brot, Kuchen und Apfelsinen auf den Altar, die mit einem Tuch zugedeckt und mit einem Myrtenzweig geschmückt war.“1
Ungewöhnlich war die Speise, die den auf der Straße Zuschauenden angeboten wurde: Die Kinder erhielten eine mit Erbsbrei und Sauerkraut belegte Scheibe Brot. „Die Schnitte für die nichtgeladenen Erwachsenen zierte ein Fischkopf mit zwei auf ein Streichholz gesteckten Backpflaumen…“2 Beim Hochzeitsmahl wurden nach Rindfleischbrühe oder mit Ei versetzter Hühnersuppe als zweiter Gang Ente, Gans, Schweine-, Rinderbraten oder falscher Hase aufgetragen. Bei minderbemittelten Gastgebern mussten sich die Gäste mit Schweinebauch, Erbsbrei und Sauerkohl begnügen. Das zumeist aus Hecht bestehende Fischgericht wurde „unzerlegt auf einer Platte serviert, ins Maul wurden ihm … eine Zigarre und zwei gekochte Backpflaumen gesteckt.“3 Bei knapper Kasse hatten zwei rotköpfige Streichhölzer die Zigarre zu ersetzen. Kompott und Puddingvarietäten bildeten den Abschluss. Aus dem Jahre 1860 wurde von Hochzeiten armer Leute dieser Gegend berichtet, dass den männlichen Gästen, die den Bräutigam („Brautmann“) abholten, „zum Frühstück nur trockenes Brot und Schnaps und den anderen Kartoffeln und Speckschwarte“4 angeboten werden konnten.
Für die bräutliche Tracht gab es örtliche Unterschiede. Während in Aurith die Bräute am Tag vor der Trauung zum Standesamt in Ausgangstracht mit Blaudruckschürze und schwarzem Rock gingen, bevorzugten die Bräute in Ziebingen die bunte Kirchgangstracht. Fielen aber dort der Gang zum Standesamt und zur Kirche auf denselben Tag, so trug die Braut schwarz. Eine Braut mit Kind musste auf den Myrtenkranz verzichten und trug stattdessen bis 1914 die „schwarze Haube mit der großen Kirchlappe.“5 Auf die Anfertigung der von Ort zu Ort sich unterscheidenden Brautkränze hatte sich in jeder Generation eine Frau spezialisiert. Die für den Brautkranz verwendeten Materialien glichen denen, die auch in der niederen Lausitz westlich der Oder verwendet wurden. Dem Brautkranz ähnelte der rote Brautjungfernkranz. Für ihn benötigte man „viele kleine Blumen, möglichst von der gleichen Sorte und mit einem Blütendurchmesser bis zu 3 cm. Als schick galt, wenn auch einige Maiglöckchen und Vergißmeinnicht Verwendung fanden. War im Hause einer Brautjungfer Trauer, so war der Kranz mit blauen Blüten verziert.“6
Die Hochzeiten stellten mit ihrem häufigen Kleidungswechsel an die Frauen Anforderungen wie bei einer Modenschau. Man zeigte, was man hatte. Andererseits war das Umkleiden eine „Lieblingsbeschäftigung der Frauen und Mädchen…“7 Der erste Kleidungswechsel fand nach dem Kirchgang statt. Die Frauen bekamen im Hochzeitshaus „eine Flasche Bier überreicht, mit der sie nach Hause gingen, um dort die schwarze gegen die bunte Kirchgangstracht auszutauschen. Brautjungfern und Braut blieben auch beim Mittagessen in ihrer Trauungstracht.“8 Danach wurden von den Frauen Strümpfe und Schürzen gewechselt und an die Stelle der Polkajacke trat das Tullhemd. Die Polkajacke fiel auf „durch ihre sehr bauschigen Ärmel und durch die Besätze an Schoß und Ärmeln… mit dem auch für die Röcke üblichen Besatz wie verschiedene Seiden, gemustertem Samt und Perlborten.“9 Das Tullhemd war mit seinen weiten und mit Spitzen besetzten Ärmeln in vielen slawischen Volkstrachten fester Bestandteil der Festtracht.10 Bei der Braut trat ein erneuter Kleidungswechsel beim Tanzvergnügen ein. Sie entfernte sich, „legte die Brautracht ab und erschien in der bunten Festtracht mit Tullhemd, rote Farbe wurde jedoch vermieden. Der grüne Brautkranz aber schmückte sie auch weiterhin.“11 Für das Kranzabtanzen erschien die Braut nochmals im vollen Brautstaat. Erst danach „kleidete sie sich als junge Frau mit Tullhemd und nun sogar rotgemusterter Halslappe und gleicher Schürze.“12
Die Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts brachten einen Wandel der Kleidungsgewohnheiten, indem die Brautjungfern nunmehr häufig schon in der Kirche im Kleid erschienen und nur noch abends für die Hochzeitstänze die Tracht anlegten. Auch ihre Kränze legten sie inzwischen bei Bauernhochzeiten in Balkow und Ziebingen ab, erschienen aber noch in der Tracht. Ihre roten Kränze wurden nun mancherorts von „Ehrendamen“ etwa bei Bällen des Kriegervereins oder anderen Gelegenheiten getragen. Der bräutliche Myrtenkranz erfüllte weiterhin seine Aufgabe.
Neumärkische Dorfhochzeit außerhalb der Trachtengebiete
Außerhalb der bäuerlichen Trachtenregionen bestand die ländliche Hochzeitstradition im 19. bis ins 20. Jahrhundert aus den allgemein verbreiteten Elementen der Dorfhochzeit, an der das ganze Dorf teilnahm. Zur Hochzeit luden Hochzeitsbitter, Brautdiener, Freunde, Verwandte, Mädchen oder das Brautpaar persönlich ein. Der Brautwagen bestand um 1900 aus einem „neuen Leiterwagen, der mit Bändern, Blumen und Girlanden geschmückt war. Das Brautpaar setzte sich vorn auf einen festgestopften Sack und hinter dem Paar lag aufgetürmt der wertvollste Hausrat, u.a. die weißen Laken, in die die Betten gebunden waren. Oben drauf stand das Spinnrad mit aufgewickeltem Flachs, von bunten Bändern umwunden, ein gedrechselter Garnhaspel und eine Wiege mit allem Zubehör.“13 Die Zurschaustellung dessen, was die Braut in die Ehe einbrachte, kannte man ähnlich auch in der Altmark, dem Spreewald oder in der Uckermark.
Offenbar war es überall bei den Bauernhochzeiten üblich, dass wie in der Neumark für die Feier Backzutaten angeliefert wurden. Zudem führten die „geladenen Familien für ihre Angehörigen einen Korb mit…, in dem Löffel, Gabeln, Tassen und Messer vorhanden waren.“14 Die Gastgeber stellten für die Bewirtung nur die Teller zur Verfügung. Man backte Brote und Kuchen in den Steinbacköfen, die vielerorts im Inneren der Bauernhäuser direkt mit der Küche verbunden errichtet waren. Die regionaltypische Form des Bauernhauses brachte es mit sich, dass bei Sommerhochzeiten das Mahl in der Scheune eingenommen wurde, und „zwar seitlich der Diele im sog. Taß. Diese Räume waren mit Sand ausgefahren und mit Tischen und Bänken bestellt. Die Diele selbst diente zum Tanz.“15 Reichte der Platz nicht aus, so wurde auch in Nachbarhäusern bewirtet. Hochzeiten wurden sofern der Platz im Hochzeitshause nicht ausreichte, ebenfalls im Dorfgasthaus ausgerichtet.
Auch in der Neumark trug außerhalb der Trachtengebiete die Braut häufig ein schwarzes Brautkleid und einen Myrtenkranz. Ab den 1860er Jahren kam wohl der weiße Schleier hinzu, bis schließlich nach dem Ersten Weltkrieg das schwarze Brautkleid durch das weiße ganz verdrängt wurde. Mancherorts war es in der Neumark üblich, dass solange die Braut angekleidet wurde, der mit Myrtensträußchen am Rockaufschlag geschmückte Bräutigam in „Gefangenschaft“ blieb. Er musste sich erst „durch das Zahlen von Lösegeld befreien. Auch vor dem Hause der Braut mußte er sich durchkämpfen, um dann ins Haus zu gelangen.“16 Rund um das Hochzeitsmahl musste der Bräutigam auf der Hut sein, dass seine Angetraute nicht „entführt“ wurde. In anderen märkischen Regionen wurde stellvertretend für die Braut nur einer ihrer Schuhe „gestohlen“ und war vom Bräutigam einzulösen. Wie üblich gab es den von Musikanten begleiteten Hochzeitszug zur Kirche und zum Hochzeitshaus zurück, dessen Haustür von den Mädchen des Dorfes bekränzt worden war.
Aus Rosenfelde im Kreis Schlochau liegt eine Hochzeitsschilderung vor. Die Gäste wurden musikalisch begrüßt, Mädchen streuten Blumen, Burschen feuerten Pistolenschüsse ab. Verschiedene Sperren – „Verschnüren“ und „Binden“ genannt – mussten durch Gaben aufgehoben werden. In der Kirche fand die übliche Zeremonie statt, auf der anschließenden Hochzeitstafel waren dicker Reis – früher Hirse – und in den Flussregionen Fische die unbedingt erforderlichen Speisen neben den beliebten Bratengerichten. Auch Milchreis mit Zucker und Zimt waren wie in der Uckermark üblich. Über die Zuschauer, die durch die Fenster wie bei allen großen märkischen Bauernhochzeiten dem Festgeschehen folgten, gab es in der Neumark eine Besonderheit zu berichten: Denn „manche der neugierigen Frauen bekamen von tollen Buben des Dorfes rücklings einen Schlag mit dem Aschenbeutel über den Kopf oder Rücken, daß sie grau wie ein Esel aussehen und dann scheltend den Platz räumen, wo nach einiger Zeit die nächsten dasselbe Schicksal ereilt.“17 Gegen Mitternacht kam es zu den Klängen des „Jungfernkranz“-Liedes zum Abtanzen des Schleiers, dessen Glück verheißende Teile die Gäste zu ergattern versuchten, wenn nicht die Brautjungfern um die Braut einen Kreis gebildet hatten und Kranz und Schleier auf geordnete Weise abgenommen wurden, um darauf beim Akt der „Hüwung“ (Haubung) der Braut die Frauenhaube aufzusetzen. Mancherorts wurde das Paar in der alten Tradition des Beilagers zu ihrer Schlafkammer ge-
leitet.
Im Soldiner Kreis wurde Verlobung nur in dem Dorf Rostin auf besondere Weise gefeiert, sodass man 1928 hier die Verlobung zwischen Lisbeth, der Tochter des Rostiner Bäckers Stielike und dem Kossäten Erich Schwarz im Bild festhielt, was allgemein sehr selten war. Verlobungen fanden häufig an den großen kirchlichen Festen, an Geburtstagen oder an irgendeinem Familienjubiläum statt. In dem genannten Fall war über die eheliche Verbindung der Vater des Bräutigams wegen der schwierigen Vermögensverhältnisse der Braut sehr verstimmt; denn „Da sollte doch möglichst was ins Haus kommen“. Aber es kam nichts, weil der Bäckermeister Stielike Bankrotteur war; er hatte in den Zwanziger Jahren während der Inflation Bankrott gemacht. Die Folge war, dass Vater Barz mit seiner Schwiegertochter nie ein direktes Wort sprach und sich höchstens mit der Anrede „Ihr“ an das Paar wandte. Die Stielicke-Bäckerei war übrigens immer auf den Ansichtspostkarten des Ortes abgebildet.
Hochzeitsbräuche im Kreis Soldin schilderte 1939 ein Bericht für die Gemeinden Liebenfelde, Rostin, Rufen, Schildberg, Simonsdorf, Werblitz, Wolterdorf und Zernikow – vorwiegend betraf das wohl die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, im Bericht als „früher“ bezeichnet. Am Polterabend empfing die mit einem Rosenkranz geschmückte Braut beim kräftigen Mahl mit Bowle die Geschenke, zumeist von einer Schwester den Brautkranz und von einer Freundin den Schleier. Das war nicht nur vielerorts in der Mark der Fall, sondern allgemein üblich. Den Broschüren zu Polterabend und Hochzeit konnte man begleitende Vorträge für die Überreichung des Schleiers entnehmen. In dem besonders Feier freudigen Rostin dauerte eine Hochzeit drei, andernorts nur zwei Tage. Am Hochzeitstag verteilte die Braut „Rosmarinstengel an die jungen Leute, die dafür bezahlen müssen.“18
„Beim Brauttanz muß jeder dreimal mit der Braut tanzen und fünf Silbergroschen bezahlen. Tänze: Kegelquadrille, kurz Englisch, Schottisch. Abendessen: Schwarzsauer und Biersuppe.“19 „Beim Kranzabtanzen sammelt (in Schildberg) eine Frau in einem Schuh Geld ein, und dieses Geld wird das erste Wirtschaftsgeld für das junge Paar.“20 Auf die Nachtmütze, die dem Bräutigam aufgesetzt wurde, war bisweilen ein Storch gestickt. In Rostin wurde der abgetanzte Schleier zerrissen, und jeder nahm sich ein Stück davon als Andenken mit. Blieb der Schleier erhalten, so verarbeitete ihn die Braut später in der Taufdecke ihrer Kinder oder nutzte ihn an der Wiege als Schutz gegen Insekten.21
In Werblitz ging am Tag nach der Hochzeit das Tanzen weiter. Alle Hochzeitsgäste gingen „mit dem Brautpaar von Haus zu Haus. An der Spitze des Zuges marschierte ein humorvoll veranlagter Gast, der oft originell gekleidet und zu tollen Späßen und Streichen veranlagt war… Zu erwähnen sind noch die ,Ausgekleideten‘ (Utkleejer), die in der Hochzeitsnacht im Tanzsaale erscheinen und komische Tänze aufführen. Gewöhnlich wird der ,Balbiertanz‘ aufgeführt.“22 Ähnliche Aktivitäten gab es auch andernorts. Wie in der Uckermark ging es vergleichbar auch in Simonsdorf und Rostin früher „am zweiten Hochzeitstag nach erneuter Schmauserei mit Musikbegleitung durchs ganze Dorf, durch die Häuser aller Geladenen. Man turnte dabei über Tische und Stühle.“23
Hochzeit in einer Mühlenbesitzerfamilie im Kreis Ost-Sternberg
Das noch heute erhaltene Wohnhaus einer Mühlenbesitzerfamilie im Kreis Ost-Sternberg lag neben der großen Getreide- und Ölmühle am Flüsschen Postum, einem Nebenfluss der Warthe. Die Fassaden der soliden Gebäude waren mit Hartbrandklinkern verblendet.
Das abgebildete Hochzeitsfoto wurde im August 1920 an der Villa des Mühlenbesitzers in Kriescht aufgenommen, einem 30 Kilometer östlich von Küstrin an einer Kleinbahnlinie gelegenen Ort. Die gut situierte Familie hatte sich für ein Gruppenbild in den Garten begeben. Gesichter, Kleidung und Habitus der versammelten Familienmitglieder spiegeln den verblichenen Glanz der Kaiserzeit und die Verunsicherung der führenden Schichten dieser untergegangenen Epoche wider. Vor allem für die Männer brach mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem Beginn der demokratischen Republik eine alte vertraute Welt zusammen. Auf traditionelle Weise tragen sie an ihren festlichen Anzügen noch die Orden und Auszeichnungen des Krieges. Nur auf den Gesichtern einiger junger Frauen ist eine dem Hochzeitstag angemessene Freude spürbar. Nach dieser im Familienkreis gefeierten Hochzeit nahm das junge Ehepaar seinen Wohnsitz in Berlin.
Der 1836 geborene Großvater, der die Mühle gegründet hatte, war als Hütteninspektor aus Schlesien nach Kriescht gekommen. Er hatte die Tochter einer Mühlenbesitzerfamilie geheiratet, die eine Mühle und ein Sägewerk an der Kleinbahn in der Nähe von Hammer besaß. Man war verwurzelt und wohlhabend und heiratete möglichst innerhalb der gesellschaftlichen Schicht, der man entstammte. Die Söhne des Mühlengründers waren die Väter des Brautpaares – also Braut und Bräutigam heirateten als Cousine und Cousin ersten Grades. Wenn man in der gesellschaftlichen Schicht keinen geeigneten Ehepartner fand, so wurde durchaus innerhalb der Verwandtschaft geheiratet, zumal der Bekannten- und Freundeskreis auf Grund der hohen Ansprüche begrenzt war. Man verkehrte nicht einmal mit dem Lehrer des Ortes, wohl aber mit Ärzten oder dem Forstmeister.
Der 1882 geborene Bräutigam hatte im Kaiserreich zwölf Jahre lang beim Militär in Jüterbog gedient und war anschließend als Beamter in den Staatsdienst übernommen worden. Die 1892 geborene 28-jährige Braut, Tochter des Mühlenbesitzers, hatte als junge Frau in Berlin schon in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zehn Jahre lang als Telefonistin -– als „Fräulein vom Amt“ mit Handvermittlung – bei der deutschen Reichspost gearbeitet. Dass eine Tochter aus gutem Hause eine derartige Arbeit verrichtete, war seinerzeit eher ungewöhnlich. Denn üblicherweise erhielten die höheren Töchter nur eine gediegene musische Ausbildung. Sie gaben sich den schönen Künsten hin, fertigten Handarbeiten an, nahmen Mal- und Klavierunterricht. In der Villa in Kriescht standen sogar zwei Klaviere und die Braut spielte mit ihrem Cousin, dem späteren Ehemann, vierhändig. Wenn eine Frau aus gutem Hause heiratete, gehörte ein Klavier als Teil der Aussteuer dazu.
An der Zahl der in der Villa wirkenden Bediensteten lässt sich ermessen, auf welche Weise die Hochzeit gefeiert wurde. Dabei konnte man sich auf mehrere dienstbare Geister stützen – ein Kindermädchen, ein Stubenmädchen und eine Mamsell, die kochte. Bei solchen Anlässen wirkten gewöhnlich außerdem Lohndiener mit. Der Kutscher und der Mühlenmeister wohnten in dem Gebäude, das oben rechts auf dem Hochzeitsfoto zu erkennen ist. Die Mädchen wohnten als Dienstboten in hinten gelegenen Zimmern des oberen Geschosses. Sie durften nicht die Toilette im Badezimmer der Herrschaft benutzen, sondern hatten einen eigenen Abtritt nebenan im Stall. Im Souterrain lag die Küche und im Geschoss darüber nach hinten das Sommeresszimmer und vorne zur Linde hin das Herrenzimmer als Winteresszimmer. Vom Speisezimmer der Belletage führte ein Sprechrohr in die Küche hinunter, durch das die Herrschaft dem Personal Weisungen erteilte. Das Küchenmädchen holte Wasser von der Pumpe vor dem Haus. Zur Mühle gehörte auch größerer Grundbesitz, so dass dort im Sommer zur Erntezeit polnische Schnitter als Tagelöhner arbeiteten und unweit der Mühle mit ihren Frauen und Kindern in mehreren so genannten Schnitterhäusern wohnten, die jeweils aus zwei Zimmern bestanden – ausgestattet mit einem großen Kachelofen, in dessen offener Mitte man auch kochen konnte.
Diese Hochzeitsgesellschaft orientierte sich durch ihre Zugehörigkeit zur Schicht der Guts- und Mühlenbesitzer, Fabrikanten oder höheren Beamten an den kulturellen Standards des gehobenen städtischen Bürgertums. Die Braut heiratete im weißen mit kleinen Myrtenkränzchen geschmückten Brautkleid und mit Schleier und Myrtenkranz. Der Bräutigam und die anderen Männer trugen Frack. Bei einer solchen Feier wurden wahrscheinlich Scharaden und kleine Theaterstücke zum Besten gegeben, man trug selbst verfasste Gedichte aus der Hochzeitszeitung vor und untermalte die Feier mit Hausmusik, um schließlich gegen Mitternacht zur Jungfernkranz-Melodie den Schleier abzutanzen.24
Dorfhochzeit mit Hindernissen im Warthebruch – aufgeschrieben von einer Beteiligten
Im Warthebruch wurden in den 1930er Jahren die Dorfhochzeiten „stets mit Spannung erwartet. Werde ich eingeladen oder nicht? Unser Vater besaß ein flottes Pferdegespann und einen sehr hübschen Kutschwagen (für den ,Hochzeitszug‘ mit 12 bis 15 Gespannen sehr wichtig)! Deshalb wurden die Töchter auch noch in Familien eingeladen, mit denen wir überhaupt nicht verwandt waren.
So nahmen meine Schwester und ich auch an der Hochzeit unserer Nachbarstochter teil, die auf einen großen Hof heiratete. Die war nicht mehr ganz jung, – ein hübsches, sehr energisches Mädel, die unserer Meinung nach gut zu ihrem Zukünftigen paßte, der etwas weich war und schon allerlei Pech mit seinen Auserwählten gehabt hatte. Auf diese Weise war er schon Mitte 30 geworden und nun glücklich, daß er eine nette und fleißige Frau bekam. Bis in alle Einzelheiten wurde das Fest von der etwas umständlichen älteren Schwester der Braut geplant und festgelegt; – natürlich ging allerlei schief: Vor Abfahrt des Hochzeitszuges sollte eine Brautjungfer dem Paar ein Gedicht sagen, aber die aufgeregten Rösser brausten bereits nach den ersten Zeilen davon. Mein etwas schüchterner Tischherr behielt den mir zugedachten Strauß eisern in der Hand, bis ich ihn selbst nahm.
In der Kirche aber verloren wir beinahe die Fassung, als der Bräutigam, anstatt das weiße Seidenkissen auf der recht hohen Altarstufe zu benutzen, sich auf den Fußboden kniete, seine gefalteten Hände auf das Kissen legte und andächtig die Augen schloß. Ich dachte: ,Na ja, da wird sich die arme Braut eben ihr schönes Kleid einstauben müssen‘, aber – sie kniete sich energisch auf das Kissen. Der Pfarrer blickte eine Weile ratlos auf diese ,Höhenunterschiede‘ vor sich, als sich aber nichts änderte, waltete er seines Amtes. Die Gäste umstanden den Altar im Halbkreis, Orgelspiel ertönte, – aber aus den Augenwinkeln sah ich die Sträußchen der Damen verdächtig zittern. Jeder bemühte sich ernst zu bleiben – und nach einer Weile endete das schöne Orgelspiel. Der Pfarrer schaute zum Organisten, dieser zum Kirchenchor, der auf der seitlichen Empore versammelt war. – D.h. nicht vollzählig, denn die Chorleiterin und fast der halbe Chor gehörten zu den Gästen. Damit das Brautpaar nicht einsam vor dem Altar stünde, war abgemacht, daß während des Orgelspiels wir schnell und leise rechts am Altar vorbei die Treppe hinauf flitzen sollten, um das Chorlied zu singen.
Rechts und links von Altar und darüber liegender Kanzel führten offene Rundbogen zur Sakristei und den drei Treppen zur Kanzel und den beiden Emporen an den Längsseiten des Kirchenschiffes. Unsere Chorleiterin hastete aufgeregt die Stufen hoch, – wir eiligst mit hoch gerafften Schleppkleidern hinterher, – dann wieder Gedränge abwärts auf der schmalen Treppe: Sie war auf der Kanzel gewesen! Endlich waren wir auf der richtigen Empore gelandet, und ich bewunderte die Chorleiterin aufrichtig, als sie den rechten Ton angab und der Chorgesang nun doch noch voll und schön Brautpaar und Festgemeinde erfreute. – Ich aber, mit meinem ausgeprägten Sinn für Komik, war leider nicht fähig, meinen Part im Alt mitzusingen, denn das Lied hieß auch noch: ,Wo du hingehst, da will ich auch hingehen!‘ – Und genau dies hatten wir alle soeben treulich getan!“25
Am Hochzeitstag wurde auf dem Dorf „gefenstert, und wenn die Fenster des Hochzeitshauses etwas zu hoch waren, so daß man nicht ohne weiteres reingucken konnte, dann wurden eben Steine unten hingelegt und Bohlen darüber, daß auch alle richtig sehen konnten, was es gab. Die Brauteltern kamen auch öfter mal mit einer Flasche Schnaps raus, die dann reihum ging.“26
Landsberg an der Warthe – Stadtgründung durch eine Hochzeit
Die Geschichte der Stadt Landsberg (heute Gorzów), der später bedeutendsten Stadt der Neumark, begann Mitte des 13. Jahrhunderts mit einer Hochzeit.
„Konstanze, die kaum zehnjährige Tochter des Polenherzogs Przemyslaw, und Konrad, der ebenfalls noch im Kindesalter stehende Sohn des Markgrafen Johann, wurden in feierlicher Weise miteinander verlobt, damit künftig ,Zwischen den beiden Fürsten der Friede wiederhergestellt, Totschläge vermieden und Ruhe und Frieden jenen Landesteilen wiedergegeben würden.‘ Als Mitgift sollte die junge Braut das Gebiet der Burg Zantoch, also den Kreis Landsberg, ihrem Verlobten bei der Eheschließung überreichen… Bevor aber die Ehe zwischen den Fürstenkindern geschlossen werden konnte, starb der Vater der Braut, und es erschien sehr fraglich, ob der neue Polenfürst die Verträge und Schenkungen seines Bruders und Vorgängers achten würde.“27
Dieses Gebiet ließ sich nicht eindeutig einer Herrschaft zuordnen, denn es war zwischen Pommern und Polen heftig umkämpft. Kurz entschlossen gründete der brandenburgische Markgraf jedoch einige Wochen nach dem Tode des Brautvaters am 2. Juli 1257 die Stadt Landsberg, um seinen Anspruch auf das neue Gebiet zu unterstreichen. Nach drei Jahren kam es schließlich in Zantoch zur angestrebten Hochzeit und zumindest das Gebiet nördlich der Netze ging an den brandenburgischen Bräutigam.
Gescheiterte Hochzeit in Weiß einer Landsberger Braut
Wie aus der folgenden Geschichte von Anna, einer Landsberger Braut hervorgeht, war offenbar dort noch bis in die 1940er Jahre der Hochzeitsaberglaube höchst lebendig.
„Ich habe in Landsberg heiraten wollen mit Brautstrauß und wollte ein Diadem aus künstlicher Myrte kaufen. Als ich im Kaufhaus Lanzheim das Diadem aufsetzte, sagte die Verkäuferin: ,Nee, sie werden nie ein weiße Braut sein. Sie haben das probiert und das dürfen Sie nicht machen! Sie sollen sich das angucken, aber nicht aufsetzen. Das ist so der Brauch, das bringt kein Glück.‘ Und so war das dann auch. Ich bin nie eine weiße Braut geworden. Aber ich habe es trotzdem gekauft und habe auf meinen Verlobten gewartet. Wir waren fünf Jahre verlobt. Zu meinem Hochzeitskleid hatte die Schneiderin gesagt: ,Das nähe ich dir erst, wenn es so weit ist, dass er kommt.‘ Der Stoff lag da, der Schleier lag da, das Diadem lag da. Mit den Schwiegereltern wollten wir deren Silberhochzeit und unsere richtige Hochzeit zusammen feiern. Mein Verlobter ist aber nicht wieder gekommen, er ist 1942 gefallen. Ich war nie eine weiße Braut.
Ich habe dann getrauert in Schwarz mit schwarzer Armbinde und bin nirgendwo hingegangen. Ich hatte für keinen Mann ein Ohr gehabt. Dann habe ich aber doch wieder jemanden kennen gelernt. In meinem Betrieb – der Jutefabrik von Max Bahr, der größten Fabrik der Stadt – hatten sie mir gesagt, dass im Kino ,Die goldene Stadt Prag‘ gespielt wird. ,Den musst du dir unbedingt ansehen!‘. Ich bin dann in den Film gegangen, der mir sehr gut gefallen hat. Als ich nach der Vorstellung im Kino von der Empore herunterkomme, steht unten einer, ein Leutnant in Uniform und lächelt mich dauernd an. Ich bin raus gegangen und denke ,Was will der denn?‘ Der hat mich überholt, ist stehen geblieben und ich bin an ihm vorbei gegangen. Schließlich hat er mich angesprochen und zu einem Glas Wein eingeladen. Wir sind in ein Weinlokal in der Schlossstraße gegangen. Weil die wegen der Polizeistunde um elf Uhr schließen musste, hatten wir von zehn bis elf Uhr bloß eine Stunde Zeit. Doch er hat sich mit mir unterhalten, als wenn wir uns schon wer weiß wie lange kannten. Wir waren so richtig im Gespräch vertieft. Bevor wir nun gehen mussten, war ich noch einmal auf der Toilette und als ich wieder herauskam, habe ich meinen Staubmantel angezogen und meinen Hut aufgesetzt. Jedenfalls hat er mich da an den Armen gepackt und gesagt ,Mädel, dich möchte ich vom Fleck weg heiraten.‘ Ich habe nur gelacht. Ich hatte noch einen weiten Weg zu Fuß nach Hause zu laufen, und er hat mich begleitet. Er hatte Urlaub und er war schon mal zu Hause gewesen, dann aber wieder zum Militär eingezogen worden und ihm war, als wenn er den Urlaub bekommen hätte, um mich kennen zu lernen. Als ich eines Tages von meiner Arbeit nach Hause kam, sagte meine Mutter: ,Da drin hast du Besuch‘. Das war sein Vater. Er war gekommen, um das Mädchen kennen zu lernen, von dem sein Sohn so schwärmte. Das werde ich nie vergessen. Auch der ist im Krieg gefallen. Und zwar bei der Duce-Befreiung am Monte Casino. Eine Arbeitskollegin von mir hat mir das gesagt. Der Vater hat mich darauf nach Hause eingeladen und mir gesagt, dass es ihm sehr leid tut, er hätte mich gerne als Schwiegertochter gehabt. Zweimal sind also die Männer gefallen.
Endlich habe ich meinen späteren Ehemann kennen gelernt. Ich war mit meiner Freundin zur Warthe schwimmen gegangen. Ich hatte im Betrieb Nachtdienst am Telefon von zehn bis sechs Uhr morgens. Ich musste in unserem großen Betrieb die Alarmanlage betätigen, wenn die Flieger über uns nach Berlin geflogen sind. Bei uns musste ich den Alarm auslösen, damit die Leute in Deckung gehen. Da hatte ich noch Zeit und eine Freundin sagte: ,Mensch gehen wir jetzt noch schwimmen, das Wetter ist so schön‘. Drüben an der anderen Seite der Warthe war die Kaserne und da rief plötzlich einer rüber von der anderen Seite ,Wartet mal, wir kommen gleich‘. Die Warthe hatte eine starke Strömung, wir sind mit dem Strom geschwommen und mussten zurücklaufen. Er kam zu mir und hat sich mit mir unterhalten. Später haben wir weiter am Telefon gequatscht; denn er hatte an seinem Standort Telefon und ich in meinem Betrieb.
Schließlich haben wir uns verlobt und zu Hause Verlobung gefeiert. Er musste wieder an die Front, ehe wir heiraten konnten. Ich war dann schwanger und habe am 27.7.1945 in Landsberg unsere Tochter bekommen. 1946 habe ich Landsberg verlassen. Erst im Mai 1949 kam er aus der Kriegsgefangenschaft zurück und sah unsere Tochter in Berlin zum ersten Mal. Weil er schon verheiratet war, musste er sich noch scheiden lassen. Unsere Hochzeit war dann 1949 in Berlin – mit einer Einkaufstasche und einem Hut auf. Nichts mit Weiß. Wir waren vierzig Jahre verheiratet, als er 1990 starb.“28
Landsberger Brautsage
„Eine völlig unwahrscheinlich klingende Sage erzählte vom Jimmekin (einem Kobold; L.B.) und der armen Braut aus Dechsel, deren mühsam selbst genähter Brautstaat nach schrecklichem Gepolter in der Nebenstube durchs Schlüsselloch nach draußen gezerrt wurde. Als man anderntags das Zeug weit draußen wieder fand und mitnahm, rollte ein Wollknäuel heraus – das Jimmekin! Niemand erkannte es und man legte das Knäuel in die Stopfkiste. Nach Tagen lag an seiner Stelle nur ein Strohhalm, den man zur Tür hinauswarf, wo er sich augenblicks in eine schwarze Henne verwandelte. Flugs fing der Vater die Henne ein und setzte sie an den warmen Kamin, denn draußen war es kalt und dunkel. Am andern Morgen war die schwarze Henne verschwunden, aber ein Haufen Gold lag an dem Platze, wo sie gesessen hatte. Da war die arme Braut reich.“29
Quellen
1 Lange, Albrecht: Die oder-wendische Tracht von Aurith und Ziebingen. Bautzen 1998, S. 65
2 ebd.
3 ebd.
4 ebd., S. 63
5 ebd.
6 ebd., S. 64
7 ebd., S. 65
8 ebd., S. 65
9 ebd., S. 40
10 Vgl. ebd., S. 29
11 ebd.
12 ebd., S. 67
13 Tarsten, Norbert: Jenseits des Oderlaufs – Landschaften prägen Alltags- und Festgestaltung.
Köln 2007, S. 93
14 ebd.
15 ebd.
16 ebd., S. 96
17 ebd., S. 95
18 Heimatkreis Soldin/Neumark (Hrsg.): Heimatkreis Soldin. Soltau 1981, S. 512f.
19 ebd., S. 513
20 ebd., S. 511
21 Vgl. ebd., S. 511
22 ebd., S. 513
23 ebd., S. 513f.
24 Hochzeit in einer Mühlenbesitzerfamilie im Kreis Ost-Sternberg
25 Oststernberger Heimatblatt 15/1980, S. 2f.
26 Fritz Schulz: Jugenderinnerungen eines Warthebrüchers.
In: Osternberger Heimatblatt 19/1981, S. 5
27 Otto Kaplick: Eine Hochzeit soll Frieden stiften. In: Beske/Handke: Landsberg, Bd. 2, S. 29
28 Interview mit Anna Hammel, Berlin, 2011
29 Katharina Textor: Vom Jimmekin und anderen Gruselgeschichten.
In: Beske/Handke: Landsberg, Bd. 2, S. 196