Erlebnisse einer evakuierten Schülerin und Lehrling 1943-1945 – Teil 1
Von Ingeborg Kretschmer, geb Kramm
Ich bin Berlinerin; aber meine Eltern sind „Rucksackberliner“, meine Mutter wurde in Schermeisel geboren, mein Vater in Herzogswalde. Meine Großeltern mütterlicherseits lebten im Alter als Deputanten in Arensdorf.
Viele Berliner Kinder kamen 1941 wegen der Bombenalarme in ein Kinderlandverschickungslager nach Spindelmühle. Dort bekam ich Diphtherie, mit den schlimmsten Folgen, Lähmungen. Nach monatelangen Krankenhausaufenthalten und Kuren war meine Gesundheit noch nicht wieder voll hergestellt. Ich sollte weder dem anhaltenden Bombenkrieg noch Gemeinschaftsaufenthalten ausgesetzt werden.
Meine Mutter brachte mich dann zu meinen Großeltern nach Arensdorf. Hier ging ich in die einklassige Dorfschule. Ich war einige Jahre vorher schon mal dort zur Schule gegangen, als meine Mutter erkrankt und anschließend zur Kur war. Ich kannte also die Kinder. Leider waren nun meine Tante Erna mit ihren vier Kindern nach Zielenzig gezogen. Einige Jahre vorher hatte ich noch, mit meiner Oma zusammen, die Kinder versorgt. Mit Sieglinde und Helga konnte man schon spielen. Manfred war das erste Baby, dass ich versorgte. Oma erzählte mir sehr viel von allen möglichen Leuten und Orten. Viel ist davon nicht bei mir hängen geblieben und leider habe ich viel zu wenig gefragt. Oma hat mich keineswegs verhätschelt. So durfte ich auch zum See. Das hätte meine Mutter mir nie erlaubt. Ich lernte bei Lischen Kahl schwimmen. Mit Elisabeth bin ich seit der Wende wieder befreundet. An ihren Schwimmunterricht kann sie sich nicht mehr erinnern. Sie hatte drei kleine Brüder. Deshalb hatte sie immer was zu essen mit. Der Pudding, aus großen 2-Liter-Gläsern, schmeckt mir heute noch. Irmgard Morack war in meiner Altersstufe, von ihr lernte ich Kartenlegen. Vor einigen Jahren hat sie mich besucht‚ leider ist sie schon verstorben. Mit Christel Zebe verband mich eine enge Freundschaft. Sie wohnt jetzt in Sömmerda. Wir telefonieren regelmäßig und treffen uns mindestens einmaI im Jahr zum Heimattreffen. Wir drei haben viel zusammen unternommen. So gingen wir zum Schießstand, einem an drei Seiten offenem, überdachten, mit Bänken ausgestatteten Holzbau. In der Nähe war ein Sandabhang. Den sprangen wir herunter, wir konnten dabei große Schritte machen. Dabei hatten wir uns die Röcke in die Schlüpfer gestopft. Dann gab es ein großes Hallo, die Jungs hatten uns eine Weile beobachtet und unsere Schuhe versteckt. Schließlich saßen wir alle gackernd auf den Bänken und verzehrten unsere mitgebrachten Kostbarkeiten.
In der Schule überwand ich die Langeweile, indem ich Wohnungen zeichnete und sie einrichtete. Übung hatte ich ja aus meinen Krankheitstagen darin. Ich kannte den gesamten Stoff; ich war ständig unterfordert. Aber ich hatte eine ernsthafte Aufgabe. Ich musste den Pastor davon überzeugen, dass ich alle Kirchenlieder und Bibeltexte, die er mit den Konfirmanden im letzten Jahr durchgenommen hatte, gelernt hatte. Er wollte mich sonst nicht einsegnen. Welche Katastrophe für mich! In Berlin gab es nämlich nur ein Jahr Konfirmandenunterricht, während Herr Pastor Rauschendorr auf zwei Jahre bestand. Also lernte ich wie eine Begaste! Er ließ sich schließlich erweichen und ich wurde in den Konfirmandenjahrgang 1944 mit aufgenommen. Ich kann jedenfalls fast alle Lieder immer noch und bin auch bibelfest. Dies erstaunte eine mitreisende Kollegin und mich selbst, als sie mir bei einem Kirchenbesuch die entsprechenden Lieder im Gesangbuch zeigte, ich den Kopf schüttelte und lauthals alle Lieder mitsang. Ich musste damals sehr nachhaltig gelernt haben.
Außer Christel, Irmgard und mich war noch Reinhard Wunderlich in unserer Altersklasse. Wir besuchten ihn auf dem Hof seiner Eltern und er zeigte uns ein mit seinem Vater zusammengebautes Karussell. Man setzte sich drauf und einer ging im Kreis herum und drehte es. Außerdem spielte er Akkordeon. Wunderlichs hatten einen Holländer als Knecht. Der schnitzte für uns Holzschuhe. Fast das halbe Dorf lief in diesen „Holländern“, ich auch. Auch mit Reinhard, der mit seiner Frau Christa in Bornstedt lebt, verbindet mich heute noch eine Freundschaft. Im Winter lernte ich Spinnen. Auch das habe ich nicht verlernt und es einmal, während eines Urlaubs an der Ostsee, ausprobiert. Dann wurden reihum, Federn geschlissen. Dabei gab es den besten Dorftratsch zu hören. Wir hatten in Arensdorf einen Fleischerladen, Engelmann, und eine Filiale eines Lebensmittelsgeschäftes in Landsberg. Fräulein Mattes war die Verkäuferin. Brot musste in Königswalde geholt werden. Dazu fuhren wir mit dem Fahrrad dahin, 6 km. Im Winter, bei Schnee, war es schon beschwerlich, erst zum Bahnhof laufen und dann, in Königswalde, war es auch sehr weit vom Bahnhof in die Stadt zu kommen. Zurück mussten dann noch die schweren Brote, im Rucksack, geschleppt werden.
Meine Großeltern wohnten im 4-Stuben-Haus. Elli Fabian, etwas älter als wir, wohnte auch dort. An warmen Frühlings- und Sommerabenden saßen wir, nahe beim Haus auf einer selbst gezimmerten Bank, in den Fliedersträuchern und erzählten uns unsere Geheimnisse. Oft wurden wir von den abstürzenden Jungens, die uns, versteckt auf den Fliedersträuchern, belauscht hatten, überrascht. Einmal gingen Christel und ich spät abends – weil ihre Mutter verreist war, schlief ich bei ihr – im Dorf spazieren. Wir trafen zwei größere Jungen und spazierten dann noch durch den Schlosspark. Die uralten Bäume rauschten und es war wunderschön! Sehr spät gingen wir erst zu Bett. Deshalb hatten wir ein schlechtes Gewissen. Dabei war absolut nichts passiert.
Im März 1944 wurden wir eingesegnet. Die Einsegnung, übrigens die letzte in der alten Heimat, fand in Herzogswalde statt. Arensdorf, Meekow und Herzogswalde gehörten zu einem Kirchspiel. Und 1944 war eben Herzogswalde dran. Ich wurde in der Kirche eingesegnet, in der mein Vater getauft wurde. Zum 50. Jahrestag unserer Konfirmation, trafen wir vier Arensdorfer uns vor unserer Kirche in Arensdorf. Irmgard, schon schwer erkrankt, war auch noch dabei. Zur Kirche fuhren wir in Kutschen, Reinhard in der seiner Eltern, und wir drei Mädel, getrennt, vom Gutshof. Denn unsere Angehörigen waren alle irgendwie mit dem Gut der von Böttingers verbunden. Mein Opa z.B. war Deputant im Ausgedinge. Der Gespannführer meiner Kutsche war ein polnischer Landarbeiter von dem noch die Rede sein wird. Ich hatte ein Prüfungs- und ein Einsegnungskleid. Beide hatte Tante Eugenie, eine Schwägerin meiner Oma, mir genäht. Leider sind beide Kleider, nach der Ausweisung, dort geblieben. Ich hoffe nur, dass sie einem polnischen Mädchen Freude bereitet haben. Zu essen gab es Fisch. Den hatte Oma vom Fischer in Gleißen vom Ankesee geholt. Und es gab Truthahn. Den hatten mein Vater und ich, bei einem seiner letzten Urlaube, von Tante Ida bzw. Herrn Pfeiffer aus Hammer geholt. Er sollte dann mit Omas Hühner leben und fett werden. Er aber rannte immer zu Wunderlichs Puten. Jeden Abend gab es eine Jagerei ihn einzufangen und in unsren Stall zu bringen; bis Frau Wunderlich sagte, dass wir ihn ruhig da lassen sollten. Zur Einsegnung würden wir ihn schon wieder bekommen. Das taten wir dann auch. Das Truthahnschlachten ist mir auch noch in Erinnerung geblieben. Meine Mutter hielt die Flügel und ich die Beine. Und mein Opa schlug mit dem Beil den Kopf ab. Wir hätten dann noch länger festhalten müssen. Wer von uns zuerst losließ, weiß ich nicht. Jedenfalls flog der Hahn ohne Kopf in das Fliedergebüsch. Opa hatte Mühe ihn da herauszuholen. Geschmeckt hat er uns trotzdem. Ich war aber traurig, dass an einem solchen wichtigen Tag mein Vater nicht bei uns sein konnte. Ich war 13 Jahre alt und die Kindheit war für mich zu Ende.
Lehrjahre
Am 1. April 1944 begann ich bei von Böttingers im Arensdorfer Schloss eine Hauswirtschaftslehre. Im Mai wurde ich 14 Jahre. Da habe ich schon täglich 12 Stunden gearbeitet. Früh ab 7.00 Uhr galt es, mit einem harten Besen die Teppiche abzukehren. Ein Staubsauger durfte nicht genommen werden, wegen des Stromverbrauchs. Ich war verantwortlich für die Reinigung der Bibliothek und des Empfangssalons. Danach wurde gefrühstückt. Brot gab es ausreichend und Ersatzkaffee mit Milch. Jeder hatte sein Näpfchen mit der Butterration. Dazu gab es noch Marmelade, mitunter aus Rhabarber und Beeren. Bevor wir frühstückten, hatten wir im Speisezimmer den Tisch gedeckt, mit Porzellan und Silber. Getränke standen auf einem Silbertablett in Silberkannen bereit. Hier gab es außer dem Brot auch noch Toast und jedes Familienmitglied hatte ebenfalls sein Butternäpfchen. Im Dienstbotenspeisezimmer präsidierte am Kopf der Tafel Tati. Sie war fast 80 Jahre alt war, das ehemalige Kindermädchen der v. Böttinger Kinder, die alle schon selbst Kinder hatten. Weiter am Tisch saß Meta, sie war verantwortlich für die Zimmer. Ihr waren wir hauswirtschaftlichen Lehrlinge unterstellt. Zu meiner Zeit war das Christa und meine Wenigkeit. Weiter am Tisch war noch Trude (eine ältere Schwester von Lischen), zu finden, sie war das Kindermädchen bei der jüngsten v. Böttinger Tochter Juliane von Boose.
Wir nahmen unsere Mahlzeiten morgens, mittags und abends zusammen ein. Mittags war immer noch der Wachposten der Franzosen zugegen. Der musste vom Vorwerk, wo die gefangenen Franzosen untergebracht waren mittags immer im Schloss erscheinen. Sicher hätte er lieber das Essen seiner Schützlinge geteilt; denn der französische Koch war nicht zu verachten; aber das durfte er ja nicht. Und so musste er, sowie wir das essen, was uns Berta, die Köchin, vorsetzte. Sie und Luzia, sie war schon landwirtschaftlicher Lehrling und eine weitere Küchenhilfe, Ursula, aßen in der Küche. Nach dem Frühstück galt es, bis zum Mittagstischdecken, die Schlafzimmer und Bäder in Ordnung zu bringen. Das Schlafzimmer der Eheleute Waldemar von Böttinger und seiner Frau Lotte geb. Schniewind war aus dunklem Holz. Das Bett hatte einen Aufbau, ähnlich einem Baldachin. Im Erker stand eine riesige Kommode mit zwei Leuchtern. Eine Wandseite nahm der Ankleideschrank des Hausherrn ein. Hier hingen mindestens 50 Anzüge, natürlich beste Vorkriegsware, wahrscheinlich in England gefertigt. Herr von Böttinger pflegte seinen getragenen Anzug entweder glatt auf einen Stuhl zu hängen, dann war er nur auszubürsten, oder er knauschte die Hose zusammen, dann war sie außerdem noch zu bügeln. Das Bett hatte eine durchgehende Matratze, man musste es deshalb zu zweit machen, an jeder Seite einer. Also fingen wir immer früh dort an. Wer als erster da war, naschte die restlichen Kekse aus einer Kristalldose mit silbernem Deckel, die auf der Herrenseite des Bettes standen. Herr v. B. bekam sie stets abends gefüllt für seine Tabletteneinnahme. Die Kekse wurden von Meta für ihren „gnädigen“ Herrn eigens gebacken. Da kam seine Butterration hinein. Er verbrauchte sie nie, es reichte auch immer noch, ihm etwas Butter in seine Vorsuppe, am Mittagstisch unterzurühren. Mir war dieses dunkle Schlafzimmer unheimlich; besonders, wenn ich mitunter, alleine abends das Bett aufdecken und die Fensterläden, wegen der Verdunkelung, schließen musste. Ich hätte nie dort schlafen mögen.
Jeder der Eheleute hatte ein eigenes Bad. Während man mit Frau v. B. Bad schnell fertig war, sie hatte, außer der Wanne, nur ein Waschbecken mit einer Konsole darüber und darauf Zahnputzzeug, Kamm und Bürste und Creme. War das Bad von Herrn v. Böttinger wesentlich umfangreicher. Es enthielt eine tief eingelassene Wanne, ein Sitzbecken und einen Waschtisch, der mehr ein Schrank war, in dem die mindestens 50 Paar Schuhe aufbewahrt wurden. Der Waschtisch war aus Marmor. Auf der Konsole standen Flakons, Fläschchen und diverse Dosen, alle aus Kristall mit Silberverschlüssen. Einmal in der Woche hatte ich zwei Stunden zu tun, dieses Zeug zu putzen, das Kristall mit Seifenwasser und das Silber mit entsprechenden Silberputzpulver. Herr v. B. hatte vor dem Krieg natürlich einen Butler. Nun musste er wohl oder übel ohne einen auskommen. Das war gar nicht so einfach, vieles selbstständig zu machen hatte er offenbar nie gelernt. Eines davon war Schnürsenkel zur Schleife binden. Er knotete sie einfach zu und schlüpfte, beim Ausziehen einfach heraus. Jeden Morgen hatte ich die Knoten zu entwirren, bevor ich die Schuhe putzte. Dann war es mir zu viel. Ich stellte die nicht entknoteten Schuhe nach hinten. Langsam sammelten sie sich dort an. Und dann war es soweit. Er hatte die verknotet gebliebenen Schuhe erreicht! Gnädiger Herr hatte einen Wutanfall erlitten und alle Schuhe aus dem Schrank geschmissen. Es war ein wüster Haufen und ich konnte Schuhesortieren spielen, alles entknoten und mir eine Strafpredigt von Meta anhören. Sie war entsetzt, als ich ihr den Vorschlag machte, wir sollten Herrn v. B. doch das Schleifenbinden einfach beibringen. Genauso entsetzt war sie über mich, als ich sie darauf aufmerksam machte, dass Herr v. B. mit Hausschuhen auszugehen gedachte. Es waren Lack-Abend-Slipper! wurde ich von ihr aufgeklärt.
Frau v. B. hatte einen Schrank für alle ihre Sachen in ihrem Bad und hielt ihn selbst in Ordnung. Wegen anhaltender Trauer – beide Söhne waren gefallen – ging sie meistens in Schwarz. Sie sah sich nicht vor, sodass immer einige Kleidungsstücke bei Tati zum Reinigen landeten. Das besorgten wir dann nach dem Mittagessen servieren und dem Abwasch. Da wurde ich also bei Tati beschäftigt. Außer dem Reinigen mit schwarzem Kaffee musste ich völlig durchlöcherte Seidenschlüpfer stopfen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Frau v. B. so was trug. Irgendwann muss sie vergessen haben, und das noch weit vor dem Krieg, dass sie ja auch mal etwas für sich kaufen musste. Es kam vor, dass ich bei dieser Stopferei einschlief. Ich war ja, mit gerade 14 Jahren, vom früh um 6.30 Uhr auf den Beinen, ohne Pause, die kurzen Essenszeiten mal ausgenommen. Nachmittags war der Kaffeetisch wieder zu decken, dann abzuräumen, abzuwaschen und abends das gleiche. Die Herrschaften aßen um 19.45 Uhr, vor 22.00 Uhr waren wir nicht fertig.
Nur am Sonntag zur Kirche und nachmittags hatten wir frei. Und von meiner Diphtherie war ich sicher auch noch geschwächt. So passierte es eines morgens beim Teppich abkehren, dass ich ohnmächtig wurde und umfiel. Ich lag eine Weile in der Bibliothek. Dann kamen die anderen, weil sie nichts, keine Geräusche, hörten. Nun gab es ein großes Hallo. Ich wurde nach Zielenzig zum Arzt gebracht. Der stellte allgemeine Erschöpfung fest. Er hat wohl mit Frau v. B. ein ernstes Wort geredet; denn nun gab es mittags zwei Stunden Pause für alle. Ich erholte mich langsam dank Lucias guter Pflege. Wir wohnten zusammen in einem Zimmer im Souterrain. Sie war sieben Jahre älter als ich, hatte schon zwei Jahre Hauswirtschaftspflege und sechs Monate Direktunterricht in der Landwirtschaftsschule hinter sich. Sie brauchte nur noch ein Jahr der insgesamt 4½jährigen Ausbildung dann könnte sie jeden landwirtschaftlichen Beruf ausüben, bis zum Inspektor eines Bauerngutes. So etwas wollte ich damals auch werden. Lucia gab als Älteste von uns Lehrlingen den Ton an. So machten wir, unter ihrer Anleitung, Frühsport und liefen vor Arbeitsbeginn durch den Park; sehr zur Verwunderung des Gärtners. In den Pausen lasen wir und diskutierten dann darüber.
Wir legten auch zusammen und backten uns eine echte Buttercremetorte. Lucia hatte die Zutaten von zu Hause aus Osterwalde mitgebracht. Frau v. B . strich wie eine naschhafte Katze um die Torte, wir gaben ihr aber nichts ab. Wir fuhren auch gemeinsam nach Zielenzig ins Kino und übernachteten bei den Koschitzkis, Christas Eltern. Im Korridor, vor unserem Zimmer stand in der Ecke ein Harmonium. Neugierig, klappte ich den Deckel auf, setzte mich daran und spielte mein ganzes Klavierrepertoire runter, „Lustig ist das Zigeunerleben“, „Petersiliensuppenkraut“ und „Hänschen klein“. Na, da war ja was los! Das Harmonium schallte durch das ganze Haus. Auch Frau v. B. kam angerannt. Wie konnte ich nur so etwas tun! Ich hatte das Instrument, auf dem Herr v. B. immer zu Weihnachten den Choral spielte, entweiht! Ich gab mich dann wieder mit meinem Flötenspiel zufrieden.
Wir machten auch allerlei Unfug. So traten wir uns beim Servieren, wir hatten auf jeder Hand eine Schüssel, die wir anreichen mussten, gegenseitig von hinten in die Klapperlatschen. Derjenige, der vorn war, kam dann nicht weg. Wir mussten uns dann das Lachen verkneifen. Ich habe einmal beim Servieren der Schwägerin von Herrn v. B. die Kartoffeln über den Kopf geschüttet. Das kam so. Diese Frau v. B. erzählte bei Tisch wie lustig es sei, in der U-Bahn zu fahren und zu sehen wie die Leute einschliefen, den Kopf sinken ließen, um dann, wenn der Zug hielt, erschreckt den Kopf hochzureißen. Das demonstrierte sie dann auch. Dummerweise hielt ich gerade die Kartoffelschüssel in meiner rechten Hand hoch und konnte auch nicht auf sie achten, weil ich ihr mit links die Gemüseschüssel anreichte. Und schon war es geschehen. Ich war entsetzt, sie hatte die Schüssel auf dem Kopf und die Kartoffeln lagen auf ihren Schultern, im Schoß und hinter ihr auf dem Boden. Alles sprang auf, um ihr zu helfen, ich stand mit meiner Gemüseschüssel wie erstarrt. Jemand nahm ihr die Schüssel vom Kopf. Sie war zunächst erschrocken; dann aber lachte sie und alle anderen auch, herzhaft. Nur ich fing an zu heulen. Man tröstete mich, es sei keineswegs meine Schuld gewesen. Wichtig sei jetzt die leere Schüssel zur Küche herabzulassen und um weitere Kartoffeln zu bitten, wobei man die Hoffnung ausdrückte, dass noch welche da wären. Schluchzend ließ ich die Schüssel, im Küchenaufzug herab. Dies geschah per Hand. Man rappelte dann mit dem Aufzug, indem man ihn immer etwas anhob und fallen ließ. Das war das Zeichen für die Küche, dass wir etwas wollten. Frl. Berta verstand mich, wegen meiner Schluchzerei zunächst nicht, doch dann hörte ich aus der Küche eine Lachsalve und nun fing ich mich auch wieder und kümmerte mich in der Garderobe um die von mir Überschüttete. Erstaunlicherweise machen gekochte Salzkartoffeln keine Flecken. Dies stellten wir erleichtert fest und nachdem wir alles entfernt und auch die Frisur geordnet hatten, wurde das Essen, mit weiteren Kartoffeln, fortgesetzt. Ich aber machte fortan beim Servieren immer einen Schritt nach hinten und wartete ab, wenn derjenige gerade sprach, dem ich die Schüsseln anreichte.
Ich habe also einiges gelernt. Wie man den Tisch deckt und dass zum Obstessen und für Spargel Fingerschalen dazu gehören. Letzteres wollte ich der Meta nicht glauben. Sie inspizierte den von mir gedeckten Tisch und fragte: „Und, was fehlt?“ Ich: „Nichts.“ Darauf sie: „Na, die Fingerschalen.“ Ich: „Wieso, es gibt doch kein Obst“. Sie: „Aber Spargel.“ Ich: „Und den isst man mit den Fingern, ha, ha, hab’…“ Meta stellte selbst die erforderlichen Fingerschalen auf den Tisch und ich war gespannt. Tatsächlich, der Spargel wurde, so lang wie er war, mit einer Zange aus der Schüssel auf den Teller gelegt, dann wurde Sauce Hollandaise über die Spargelköpfe gegeben. Nun erfasste man eine Stange am Ende und aß sie aus der Hand auf. Danach spülte man die Finger in der Schale
ab.
(Fortsetzung folgt)