Zur Geschichte von Langenpfuhl – Teil 1
Der Johanniterorden bestimmte über Jahrhunderte die Geschicke des Dorfes
Von Karl-Ludwig Vollmar
Der Johanniterorden
Der Johanniterorden ist der älteste geistliche Ritterorden. Er entsteht in Jerusalem in der Zeit der Kreuzzüge um das Jahr 1050. Die Ordensgemeinschaft unterhält hier ein Hospital für kranke und arme Pilger und lebt nach den Mönchsgelübden Armut – Gehorsam – Keuschheit. Darüber hinaus widmet er sich weiteren karitativen Tätigkeiten, aber auch dem bewaffneten Schutz der Pilger.
Nach der Rückeroberung des Heiligen Landes durch die Muslime (1291) wird die Insel Rhodos Hauptsitz des Ordens. In der Folgezeit dehnt er seine Herrschaft im östlichen Mittelmeerraum aus und entwickelt sich zu einem nahezu unabhängigen Staatswesen. 1522 erobern die Osmanen Rhodos und verdrängen die Johanniter. 1524 verlegt der Orden schließlich seinen Sitz auf die Insel Malta.
Die Reformation 1517 spaltet den Orden in einen evangelischen Zweig unter dem bisherigen Namen »Johanniter« und einen katholischen unter der Bezeichnung »Malteser« (nach dem Ordenssitz auf der Insel Malta).
Der Johanniterorden ist kein kämpfender Ritterorden wie der Deutsche Orden, der sich an der Ostkolonisation mit dem Schwert beteiligt und im Baltikum einen eigenen Staat gründet. Er erwirbt seinen Besitz meist durch Schenkungen, die ihm reiche Pilger, Ordensritter oder Landesherren zuwenden, um seinen Ordensauftrag im Heiligen Land erfüllen zu können.
Der Papst löst im Jahre 1312 den Templerorden auf. Ein wesentlicher Teil des Eigentums der Templer geht danach auf die Johanniter über. Sie erhalten dadurch große Ländereien auch östlich der Oder. Der Besitzzuwachs erfordert neue Verwaltungsstrukturen. Deshalb gründet der Orden 1323 die Ballei1 Brandenburg. Sitz der Ordensregierung ist ab 1426 die ehemalige Templer-Niederlassung Sonnenburg. Das Sonnenburger Schloss wird Sitz des auf Lebenszeit gewählten Herrenmeisters der Ballei, die innerhalb des Johanniterordens relativ selbständig ist.
Nach der Reformation fühlen sich die Ordensritter nicht mehr an die Mönchsgelübde gebunden. Der Orden widmet sich jetzt vor allem der Verwaltung seines umfangreichen Besitzes, lässt aber auch Fürsorge für seine Untertanen nicht vermissen. Bald entwickelt sich die Ballei zum Zentrum aller evangelischen Ordenszweige.
Ein Grund für die Verlegung des Sitzes der Ordensregierung an einen Ort östlich der Oder ist sicher die Tatsache, dass der Orden hier seit etwa 1350 große Ländereien im Sternberger Land (vor allem auf dem Territorium des späteren Kreises Oststernberg), in der Neumark und in Pommern besitzt. Die Kartenskizze zeigt die Verteilung der Ordensdörfer2 in unserem Heimatkreis Ende des 18. Jahrhunderts, die im Norden der Komturei Sonnenburg, im Süden der Komturei Lagow zugeordnet sind.
Welche Bedeutung der Johanniterorden in diesem Teil des Sternberger Landes hat, zeigen auch die folgenden Zahlen. Im Jahre 1908 umfasst der Kreis Oststernberg 5 Städte und 74 Dörfer. Davon gehören um 1800 drei Städte (Sonnenburg, Lagow und Zielenzig) und mindestens 46 Dörfer ganz oder teilweise dem Orden. Damit dürfte er Grundherr über mehr als die Hälfte der Fläche des Kreises Oststernberg gewesen sein.
Langenpfuhl gehört ebenso wie seine Nachbardörfer Tempel, Seeren und Burschen seit etwa 1350 dem Orden und damit zu den ältesten Ordensdörfern. Zeitweilig sind sie zur Kommende Burschen (1767 bis 1811) zusammengefasst.
Mein Großvater, geboren 1850, war Eigentümer des Lehngutes Langenpfuhl. In seiner im Jahre 1927 begonnenen Familienchronik beruft er sich auf Kirchenbücher von Langenpfuhl, die aber nur ab etwa 1730 vorhanden sind. Den Johanniterorden erwähnt er mit keinem Wort. Dabei wurde noch im Jahre 1810 sein Großvater durch den Orden mit dem Schulzenamt und Niedergericht zu Langenpfuhl belehnt. Auch dessen Vater und Großvater waren hier schon Lehnschulzen. Eigentlich hätte ihm ein Symbol der Macht des Ordens, das nur sieben Kilometer entfernte Lagower Johanniterschloss, zu denken geben müssen.
Die Bedeutung des Johanniterordens für seine Vorfahren scheint nicht einmal zwei Generationen später völlig in Vergessenheit geraten zu sein. Allerdings starb sein Großvater, der letzte Lehnschulze von Langenpfuhl, bereits 1845. Niemand mehr scheint von dem umfangreichen Archiv des Johanniterordens gewusst zu haben, das nach der entschädi-gungslosen Enteignung des Ordensbesitzes im Jahre 1811 durch den preußischen König (zur Bezahlung der Kontributionen an Kaiser Napoleon nach dem verlorenen Krieg mit Frankreich) in das Geheime Staatsarchiv in Berlin übernommen wurde. Es befindet sich heute im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam und kann von Interessierten genutzt werden. Es enthält viele Dokumente, darunter 38 Lehnbücher, in denen die Belehnungen von 1495 bis 1810 verzeichnet sind.
Die Bauern der Ordensdörfer besitzen kein erbliches Eigentum an Grund und Boden. Sie sind ihrem Grundherrn dienstpflichtig und haben so genannte »Naturalhofedienste« zu leisten. Naturalhofedienste sind eine Folge der Erbuntertänigkeit der Landbevölkerung gegenüber dem Grundherrn des von ihnen bewirtschafteten Landes: staatliche Domänen, adlige und kirchliche Großgrundbesitzer, auch der Johanniterorden. Für die Überlassung des Ackerlandes sind die Bauern und Kossäten ihrem Grundherrn dienstpflichtig. Die Dienstpflicht ist durch Naturalhofedienste abzugelten, das sind Arbeitsleistungen mit und ohne Zugtiere (so genannte Hand- und Spanndienste) sowie Abgaben in Form von landwirtschaftlichen Erzeugnissen.
Der Lehnschulze vertritt den Grundherrn im Dorf. Er hat dessen Interessen entsprechend seinem Lehnseid durchzusetzen und die dienstpflichtigen Bauern anzuhalten, alle Verpflichtungen vollständig und pünktlich zu erfüllen. Gleichzeitig ist er Richter der niederen Gerichtsbarkeit, der zusammen mit Schöffen über geringere Straftaten und Streitigkeiten der Dorfbewohner zu befinden und das Urteil zu verkünden hat.
Langenpfuhler Lehnschulzen
Der älteste erhaltene Lehnbrief für einen Langenpfuhler Lehnschulzen stammt aus dem Jahre 1498. Darin belehnt der regierende Herrenmeister Georg von Schlabrendorf einen Clemens Hamerinck mit dem Schulzenamt und Niedergericht zu Langenpfuhl. In dem Lehnbrief sind die Rechte und Pflichten des Lehnschulzen beschrieben3:
„Reichen und leihen Imhe daß Gegenwertigklich, In und mitt macht dieses Brieffs offentlich Nemlich mit sechs freien huefen4. In der Langenpfulischen Feldt Marcke gelegen Und mitt der Wiesen die da tritt In daß Bechinsche fliß5 deß Schulzen wiese gehiesen, sampt Viertzigk groschen Jehrlichs Zinß auff dem Kruge zu Langenpfull, Und die halbe Sehe6 und Dünnebiers vom Kruge Jegliches Brauwens, Und auch von Jeglicher tonnen frembds Biers so auf dem Kruge verschenckt wirtt ein groschen. Und von Drein Kosseten garten den Zins mitt sampt einer freien fischereien zu seiner Küchen auff dem Rotenpfule7, hartt vor dem Ende gelegen Darin die gemeine die Trencke und Roesse8 behalten auch nit fürder wan zu seiner eigen tafel, dartzu den Dritten pfenningk von allen Brochen9, die vor seinem gerichte erfordertt werden, mit sampt auch einer freien Scheffereien10 daselbst zu haben und allen andern gnaden freiheiten und gerechtigkeiten so von alters dartzu gehöret […]“
Daneben ist er verpflichtet,
„[…] alle Jahr Jehrlichen auff S. Michaelstag in unserm Schlosse Lagow eine halbe Marck vorab geben vorrichten und verzinsen, Nemlich vor daß Lehnpferdt11
[…] Zu urkundt etc. Begeben Sonnenburgk nach Christi geburdt Im fünffzehen-hunderden und siebentzigsten Jare, den achten tagk deß Monats February“
Clemens Hamerinck war jedoch nicht der erste Langenpfuhler Lehnschulze. In dem Lehnbrief von 1498 heißt es an einer Stelle:
„[…] haben, und allen andern gnaden fryheiten und gerechtigkeiten so von alters dar zu gehort, Sich des in massen sein vatter seliger bis an yn gethan […]“
Das Zitat besagt, dass schon sein verstorbener Vater Lehnschulze war und diese Privilegien besaß.
Dieselben Privilegien und Verpflichtungen gelten auch noch für den letzten Langenpfuhler Lehnschulzen Carl Gotthilf Vollmar, der seinen Lehnbrief im Jahre 1810 von Herrenmeister Prinz August Ferdinand von Preußen erhielt. Einzige Veränderung in den seit 1498 vergangenen 350 Jahren ist das den Lehnschulzen ab 1693 gewährte Recht, für den Eigenbedarf Bier zu brauen.
„Wir haben auch Ihm auf sein unterthäniges ansuchen auß denen unß vorgebrachten Motiven gdgst.12 verstattet, daß Er seine Erben und Nachkommen von nun an gleich denen Lehnschultzen zu Sehren undt Burschen zur Nohtdurfft seines Hauses auch öffentlichen außrichtungen Hochzeiten undt Kindtauffen Brauen möge, Jedoch daß Er nichts davon verkauffe […].
Uhrkundtlich Sonnenburg etc. den 3ten May. 1693.“
Die Belehnung gilt jeweils für die betreffende Person und »s.m.L.L.E«. Diese Abkürzung taucht in allen Lehnbriefen auf und bedeutet »seine männlichen Leibes Lehens Erben«. Das Schulzenamt ist nämlich ein »Manlehen«, das nur an männliche Nachkommen vererbt werden kann. Es verbleibt so, wie die erhaltenen Lehnbriefe beweisen, ab Mitte des 15. Jahrhunderts für acht Generationen bei erbberechtigten Söhnen der Familie Hemmerling, deren Namen die Schreiber des Herrenmeisters in den Lehnbüchern allerdings sehr unterschiedlich schreiben, z.B. Hamerinck, Kammerlingk, Hämmerling, aber auch Hemmerlein.
Im Jahre 1752 stirbt der Lehnschulze Christian Hemmerling, ohne einen volljährigen männlichen Nachkommen zu hinterlassen. Johann Gottfried Vollmar, ein Sohn des Burschener Lehnschulzen, erwirbt 1753 das zum Verkauf ausgeschriebene Lehnschulzengericht für 3000 Taler und heiratet die Schwester des verstorbenen Lehnschulzen. 1754 Jahr wird er von dem Herrenmeister Carl Prinz in Preußen belehnt. Bis zur Enteignung des Johanniterordens im Jahre 1811 bleibt nun das Schulzenamt bei der Familie Vollmar.
Insgesamt habe ich 17 Lehnbriefe für die zehn Langenpfuhler Lehnschulzen in dem Potsdamer Archiv gefunden, davon allein fünf für Jacob Hemmerling, der als Lehnschulze in der Zeit von 1570 bis 1614 fünf der auf Lebenszeit gewählten Herrenmeister überlebt und sich deshalb die Belehnung von jedem neuen Herrenmeister bestätigen lassen muss.
Neben den Lehnbüchern befinden sich in dem Archiv auch viele weitere Dokumente, die insbesondere einen Einblick in das Leben in Langenpfuhl in der zweite Hälfte des 18. Jahrhun-derts geben. Dazu zählen vor allem die Dokumente über die Aufhebung der Naturalhofedienste.
(Fortsetzung folgt)
Anmerkungen
1 Ballei ist die Bezeichnung für eine Provinz eines Ritterordens
2 dem Orden gehörenden Dörfer
3 Der Lehnbrief von 1498 wird nicht zitiert, weil sein Inhalt wegen der damaligen Rechtschreibung nur mit Mühe zu verstehen ist. Deshalb werden Ausschnitte aus dem inhaltlich gleichen Lehnbrief von 1570 verwendet.
4 1 Hufe entspricht etwa 15 ha
5 Bechenfließ
6 eine alte Bezeichnung für Treber, d.s. bei der Herstellung von Bier die Rückstände bei der Maischebereitung; Viehfutter
7 identisch mit dem „Rattenpfuhl“ in späteren Lehnbriefen, soll am westlichen Dorfende rechts der Straße nach Schermeisel gelegen haben
8 = Röste (Verrotten der Leinpflanzen im offenen Wasser, Verfahren zur Herstellung von Flachsfasern)
9 im deutschen Recht des Mittelalters die bei geringen Vergehen an die öffentliche Gewalt zu zahlende Geldstrafe
10 das Recht, so viele Schafe zu halten, wie er im Winter füttern kann
11 statt eines im Bedarfsfall zu stellenden Lehnpferds
12 gnädigst