Der Fliegerstein bei Wustrau
Von Frank Boehme
Seit wann dieser Stein hier steht, weiß niemand aus der Dorfbevölkerung zu sagen, noch gibt es in Archiven und Museen Auskunft darüber. Nach umfangreichen Recherchen ist es mir gelungen, nähere Einzelheiten dazu zu erforschen.
Joachim von Schröder wurde am 2.9.1885 als 2. Sohn des Admirals Ludwig von Schröder in Kiel geboren. Im I. Weltkrieg kämpfte er als Major und Geschwaderkommandeur u.a. im BOGOHL7 (Bombengeschwader der Obersten Heeresleitung) hauptsächlich an der Westfront. Mit ihm im Geschwader war auch Hermann Köhl, der später im Erstflug den Atlantik in Ost-West-Richtung mit einem Junkers-Flugzeug W33 überquerte. 1919 flog von Schröder einige Zeit als Wetterflieger, bevor er sich bei der Schutzpolizei einstellen ließ. Diese Tätigkeit befriedigte ihn nicht, da er mit Leib und Seele Flieger war.
Ab 1923 arbeitete er bei der Junkers-Luftverkehrs-GmbH und konnte so wieder seiner geliebten Fliegerei nachgehen. Aber schon 1926 arbeitete er als Prokurist bei der Deutschen Lufthansa. Er trat dort als Organisator und Teilnehmer der Lufthansa-Post-Erkundungsflüge hervor.
Im August 1928 startete Joachim von Schröder mit Erich Albrecht und Fritz Eichentopf zu einem Post-Kurier-Versuchsflug nach Irkutsk (Sibirien) und im September mit gleicher Besatzung zu einem weiteren Flug dorthin. Fritz Eichentopf hatte schon 1926 einen Langstreckenflug nach Peking (China) mitgemacht.
Die Strecke Berlin–Istanbul (Türkei), 1820 km, die diese Flieger ebenfalls bewältigten, flogen sie in 11 Stunden, die Strecke Berlin–Marseille–Sevilla (Spanien), 2500 km, in 15 Stunden reiner Flugzeit. Am 7. September machte diese Besatzung auch einen Langstreckenflug nach Sevilla, wo die Lufthansa eine Relaisstation mit einem Ankermast für Luftschiffe besaß. In der gleichen Nacht ging es zurück nach Berlin. Eine Wiederholung erfolgte am 24.9. und am 1.10.1929.
Das Jahr 1929 sollte mit einem neuen Langstreckenrekord, einem Postflug von Berlin–Teneriffa–Berlin, abgeschlossen werden. Am 16. November starteten wieder die drei Flieger zuerst in Richtung Marseille (Frankreich).
Dazu ausgewählt war die „ARADO V I“, ein Spezialpostflugzeug, das bei zahlreichen Pionierflügen zum Einsatz kam. Die Maschine war ein Hochdecker mit einer Spannweite von 18 Metern und einer Länge von 12 Metern. Ausgerüstet war sie mit einem 500 PS-Pratt & Whitney-Motor aus den USA, da Deutschland mit der Entwicklung starker, luftgekühlter Motoren noch nicht so weit war. Er verbrauchte 90 Liter Benzin in der Stunde, erbrachte eine Höchstgeschwindigkeit von 210 km/h und eine Reisegeschwindigkeit von 185 km/h. Die Maschine war äußerst stabil und wetterunabhängig, das Triebwerk konnte auf 60% seiner Leistung gedrosselt werden. Bei schlechtem Wetter konnte sie die Wolken durchstoßen und darüber weiterfliegen. Die Geschwindigkeit wurde mit dem normalen Fahrtmesser gemessen, oft aber auch nach Augenmaß geschätzt. Zur Kursbestimmung dienten Flieger-Landkarten, in die die Flugroute eingezeichnet wurde. In der Regel flog man nur so hoch, dass Bodensicht gegeben war und damit eine gute Orientierung.
Bei schlechtem Wetter, Regen oder Nebel, also wenig Bodensicht, war eine Abweichung von der Flugroute bis 50 km nicht unüblich. Die Besatzung flog dann nach Kompass, berechnete die Flugdauer bis zum Ziel oder einem markanten Punkt, unter Berücksichtigung der Eigengeschwindigkeit der Maschine. Elektrische und akustische Verfahren zur Höhenbestimmung waren erst in der Erprobung.
Die „ARADO V I“ hatte 4 Sitze, die in Flugrichtung standen, sie konnten aber auch herausgenommen und zu Liegesitzen umgebaut werden. Hinter der Kabine gab es einen Gepäckraum, der durch eine Sperrholzwand mit einer Tür getrennt war. Eine Toilette konnte eingerichtet werden. Es gab eine Heizung und eine Belüftung. Im Fußboden befanden sich herausnehmbare Bodenplatten. Sie ermöglichten u.a. photografische Aufnahmen. Gebaut wurde das Flugzeug in den Aradowerken Warnemünde. Die „ARADO V I“ bekam auf der Internationalen Luftfahrtausstellung 1928 in Berlin allgemeine Anerkennung.
Am 16.11.1929 starteten Joachim von Schröder, Erich Albrecht und Fritz Eichentopf zu einem Flug zu den Kanarischen Inseln (Teneriffa). Zwischenlandungen waren in Marseille (Frankreich), Valencia und Sevilla (Spanien) vorgesehen. Die Strecke bis Teneriffa betrug 4000 km. Der Start erfolgte um 2.35 Uhr in Berlin, um 9.45 Uhr waren sie in Marseille, überflogen in 3000 m Höhe die Pyrenäen und landeten in Sevilla. Von Sevilla flogen sie weiter 1600 km zur Insel Teneriffa, die sie in 10 Stunden erreichten. So konnte die Post zur Weiterbeförderung auf die Südatlantikstrecke gebracht werden. Die Besatzung wurde nach der Landung von verschiedenen Luftfahrtorganisationen, Vertretern der deutschen Gesandtschaft und den spanischen Behörden begrüßt. Die drei Flieger gaben viele Interviews und wurden zu Empfängen eingeladen.
Am 13. Dezember taufte der Bischof von Teneriffa die „ARADO V I“ vor ca. 15000 Zuschauern auf den Namen „Tenerife“. Nach dem Abspielen der spanischen und deutschen Nationalhymnen wurde zu einem Rundflug gestartet, der dann in Richtung Las Palmas auf die Insel Gran Canaria ging, wo sie sich fast zwei Tage ausruhten. Am 14.12. unternahm die Besatzung einen Kurzflug zum Kap Juby (spanisch-Sahara, heute Marokko). Sie wurden von den Einwohnern und den Vertretern der französischen Luftverkehrsgesellschaft „Aeropostale“ sowie dem französischen Ozeanflieger Challe willkommen geheißen.
Am 16.12. kamen die Aradoflieger nach 8 Stunden wieder in Sevilla an und starteten am 18.12. zum Weiterflug nach Marseille. Unterwegs mussten sie aber bei Valencia notlanden, um den Motor auszuwechseln. Dadurch erreichten sie verspätet Marseille. Nach kurzer Nacht brachen die drei deutschen Flieger am 19.12. um 8.30 Uhr zur letzten 985 km langen Etappe, mit Post beladen, nach Berlin auf. Am späten Nachmittag, gegen 17.15 Uhr, wurden sie dort erwartet.
Zahlreiche Zuschauer hatten sich in Tempelhof schon eingefunden, um die Flieger zu begrüßen. Eichentopf sagte später: „Wir wollten ja Weihnachten zu Hause feiern.“ Die Mannschaft hatte sich als Ziel für das neue Jahr Fernflüge nach Indien, China und Japan vorgenommen.
Der Start in Marseille erfolgte bei herrlichem Sonnenschein und auf der ganzen Strecke herrschte gutes Wetter. Als sie aber über Thüringen waren, gab es Nebel und Schneetreiben.
Eine Weile müssen die Flieger aber schon in der Luft umhergeirrt sein, sonst wäre die lange Flugzeit nicht zu erklären. Sie kamen von der Flugroute Berlin ab und als sie über einer Stadt waren, konnten sie per Fernglas mühsam am Bahnhof den Ortsnamen „Neuruppin“ entziffern. Man beschloss, entlang der Bahnlinie zu fliegen, um noch Berlin erreichen zu können. Treibstoff war noch genügend an Bord. Im Schneetreiben und bei Dunkelheit entfernte man sich weiter vom Schienenstrang, in einer Höhe von 20 bis 30 Metern. Bei Wustrau versuchte man eine Notlandung, hatte mit einer Tragfläche Bodenberührung und stürzte ab. Sofort fing die Maschine Feuer. Der Bordmechaniker, Fritz Eichentopf, der weiter hinten saß, wurde hinausgeschleudert. Er war nur leicht verletzt und wollte sofort seinen Kameraden helfen. Er sah Joachim von Schröder mit blutendem Schädel und verbranntem Gesicht seitlich neben der Maschine liegen. Erich Albrecht lag unter der Tragfläche und konnte nur mit Hilfe eines zufällig vorbeifahrenden Radfahrers hervorgezogen werden. Im nahen Dorf Wustrau telefonierte Eichentopf mit einem Arzt, der aus dem 10 km entfernten Fehrbellin sofort an der Unglücksstelle erschien, aber auch nur den Tod der Kameraden feststellen konnte.
Eichentopf rief gegen 19.20 Uhr die Lufthansa in Berlin-Tempelhof an, um die traurige Nachricht zu übermitteln. Die Dorfbewohner brachten die sterblichen Überreste Schröders und Albrechts in den Saal des Hauses „Constanze“, wo sie aufgebahrt wurden. Gegen 22.30 Uhr trafen Vertreter der Lufthansa mit Fliegern und Monteuren aus Berlin ein, darunter Erhard Milch, der seinen Freund v. Schröder in Berlin erwartet hatte, und Direktor v. Gablenz. Sie wollten sich über den Absturz und die vermutliche Ursache informieren. Als die Nachricht vom Absturz auf Teneriffa bekannt wurde, schickte man umgehend den Film mit den Aufnahmen von der Namensweihe der Maschine nach Deutschland.
Flugleiter J. v. Schröder wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, der Vereine und des Flugpersonals der Luft-hansa auf dem Berliner Invalidenfriedhof beigesetzt.
Der Vater, Admiral v. Schröder, hatte den Angehörigen von Erich Albrecht angeboten, ihren Sohn neben dem Kameraden Joachim beizusetzen, diese hatten aber abgelehnt.
Flugkapitän Erich Albrecht wurde in seiner Heimatstadt Zielenzig (Neumark) mit großer Trauergemeinde in einem 3 km langen Trauerzug zu Grabe getragen. Unter den vielen Trauergästen waren von der Reichsregierung der Oberregierungsrat Koch, der Vorsitzende des „Ringes der Flieger“, Thiede, Direktor Wronsky von der Lufthansa und vom Vorstand Herr von Gablenz anwesend. Die Flugzeugführer Pollok, Wende, Helm, Polte und Könnecke für die „Kameradschaft der Flieger“ sowie viele Kameraden und Flugplatzpersonal gaben dem Kameraden Albrecht das letzte Geleit. Kränze vom Reichsverkehrsminister, vom preußischen Handelsminister, vom deutschen Konsulat in Santa Cruz, vorn spanischen Konsulat in Teneriffa und vieler Parteien und Organisationen schmückte das Grab in ein einziges Blumenmeer. Umhüllt war der Sarg mit der Fahne der Lufthansa und wurde von acht Fliegerkameraden getragen. Sechs Beamte der Lufthansa hielten die Ehrenwache. Während der Trauerfeier kreiste ein Ehrenflugzeug der Lufthansa mit schwarzen Trauerwimpeln über dem Friedhof. Drei Schuss Salut vom Kriegerverein beendeten die große Trauerfeier.
Zum Andenken an den bekannten Flugkapitän erhielt 1930 eine JU-52 der Deutschen Lufthansa, den Namen „Erich Albrecht“.
Mechaniker Eichentopf flog noch mit anderen Besatzungen, verunglückte aber 1932 bei einem Flug über die Alpen mit Flugkapitän Wende tödlich. Die Absturzstelle wurde nie gefunden.
Der Stein an der Absturzstelle bei Wustrau soll an die beiden unverheirateten Männer erinnern, die für ihren Beruf und ihre Leidenschaft ihr Leben ließen.