Der Atlas des Großen Kurfürsten („Mauritsatlas“)
Im November vergangenen Jahres tauchte es als Nachricht in vielen Medien der Berlin-Brandenburger Region auf: Die Karten-Abteilung der Berliner Staatsbibliothek feierte ihr 150-jähriges Bestehen.
Viele eindrucksvolle Details wurden in diesem Zusammenhang genannt. Mit mehr als 30000 Atlanten, fast 500 Globen und über einer Million Karten gehört sie zu den weltweit größten Sammlungen.
Den Grundstock für den Bestand bildete eine im Jahr 1855 von der Königlichen Bibliothek erworbene Kartensammlung des Generals von Scharnhorst (1755-1813). Diese 35000 Blätter lagerten zunächst im Schloß Bellevue. Der 1859 vorgenommene Umzug in die Königliche Bibliothek am Berliner Opernplatz gilt als Gründungsdatum der Kartensammlung.
Aus Anlaß des Jubiläums kehrte nun eine Schau von ausgewählten Exponaten in das Schloß Bellevue, den Amtssitz des Bundespräsidenten, zurück. Zu den dort gezeigten Schätzen, die nur Gästen des Bundespräsidenten zugänglich waren (ab 25. Januar 2010 ist die Ausstellung in der Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße öffentlich), gehörte als besondere Attraktion der sogenannte „Atlas des Großen Kurfürsten“.
Dieser Prunkatlas besticht mit imposanten Maßen: Er wiegt 125 kg und aufgeschlagen mißt er 2,20 x 1,70 Meter. Für den Transport sind heute noch sechs Personen nötig, zum Umblättern bis zu vier.
Der Atlas hat einen Bezug zur Sternberger Heimat, denn er war ein Geschenk von Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604-1679) an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1640-1688), genannt der Große Kurfürst. Fürst Johann Moritz, ab 1652 Herrenmeister des Johanniterordens, Erbauer des Sonnenburger Schlosses, ist den ehemaligen Bewohnern unseres Heimatkreises wahrlich kein Unbekannter. Die nachfolgenden Informationen zur Entstehungsgeschichte, Schenkung, Verbleib und Restauration dieser Rarität wurden, wie auch die Fotos, freundlicherweise von Herrn Crom, Leiter der Karten-Abteilung der Berliner Staatsbibliothek, zur Verfügung gestellt.
Der Auftraggeber
Johann Moritz von Nassau-Siegen als kunstsinniger Fürst und sein Wirken als Herrenmeister ist in der Vergangenheit im Heimatblatt viele Male gewürdigt worden. Auf seine Vorstellung kann deshalb an dieser Stelle verzichtet werden.
Warum Johann Moritz den Atlas in Auftrag gab, um ihn anschließend seinem Kurfürsten als Geschenk zu präsentieren, kann nur vermutet werden. Auch der Termin der Übergabe ist nicht genau bekannt. Im Jahr 1660 richtete der Fürst in dem von ihm erbauten „Maurits-Huis“ („Moritz-Haus“) in Den Haag ein Fest aus Anlaß der Wiedereinsetzung Königs Karl von England aus. Bei dieser Gelegenheit überreichte der Amsterdamer Kaufmann Johannes Klencke einen großen Atlas an König Karl II.
Wahrscheinlich war Johann Moritz von dem „Klencke-Atlas“ so beeindruckt, daß er dem Großen Kurfürsten, dem er freundschaftlich verbunden war, ein ähnliches Geschenk machen wollte.
Dieser hatte 1661 die „Churfürstliche Bibliothek zu Cölln an der Spree“ gegründet. Ein Brief Friedrich Wilhelms vom 2. August 1664 an seinen Statthalter in Cleve enthält folgende Passage: „bedancke mich zuforders wegen des grocsen Buches, welches sehr schön, undt meine Biblioteck sehr ziehret“. Demnach dürfte die Schenkung einige Zeit zuvor erfolgt sein.
Die Wandkarten aus dem Goldenen Zeitalter der niederländischen Kartographie zierten zu dieser Zeit die Wände von Rathäusern, Schlössern, Wohnungen oder Kontoren. Sie dienten hauptsächlich repräsentativen Zwecken und wurden deshalb reich verziert, graphisch ausgeschmückt und prächtig koloriert.
Der Atlas
Die Einbanddeckel des Originalatlas bestanden aus Eichenbrettern, die mit Rindleder überzogen waren. Die Kanten der Deckel schützten kunstvoll gestaltete Messingbeschläge. Einband und Karten wurden durch drei verzierte Metallschließen zusammengehalten, wobei wiederum die Karten durch 20 Doppelbünde mit dem Einband verknüpft waren.
Johann Moritz ließ den Atlas mit seinem Wappen schmücken, unterlegt durch das achtspitzige Johanniterkreuz. Der dänische Elefantenorden wies auf eine weitere Mitgliedschaft in einem Ritterorden hin. Auf diese, ihm vom dänischen König verliehene Auszeichnung, war er ebenso stolz wie auf das Amt des Herrenmeisters des Johanniterordens.
Das in seinem Format außergewöhnliche Werk beinhaltet 35 Wandkarten und 18 zu drei Blättern zusammengefaßte Seekarten.
Sie stammen sämtlich aus berühmten Amsterdamer Kartenoffizinnen. Allein 17 Landkarten wurden im Verlag von Joan Blaeu (1596-1673) angefertigt, drei steuerte die Werkstatt des Nicolas Vischer (1618- etwa 1679), Piscator genannt, bei. Andere Verlage sind mit zwei oder einer Karte vertreten.
Die Ordnung der Karten orientiert sich an der zeitgenössischer Atlanten und beginnt mit der berühmten Weltkarte von Frederick de Wit (1630-1706). Es folgen Erdteilkarten, eine Europa- und Deutschlandkarte („Heiliges Reich Deutscher Nation“) und zwei gezeichnete Karten des Kurfürstentums Brandenburg und des Herzogtums Preußen. Denen schließt sich eine Karte des Klever Gebietes an. Danach folgen die Karten der Erdteile Asien, Afrika und Amerika.
Eine Spezialkarte Blaeus dokumentiert das Gebiet Niederländisch-Brasiliens („Brasilia-Belgica“). In seiner Stellung als Gouverneur dieser Besitzungen in den Jahren 1636-1644 förderte Johann Moritz die wissenschaftliche Erschließung des Landes. Zu seinen Beratern vor Ort zählte u.a. der Geograph und Astronom Georg Marggraf (1610- etwa 1644). Dieser war vor allem mit der Vermessung des Landes und dem Zeichnen von Karten beschäftigt.
Als druckgraphische Technik wurde beim Atlas der Kupferstich und teilweise die Radierung verwendet. Die Kolorierung der Kupferstiche ist zurückhaltend von angenehmer Wirkung. Über das verwendete Papier wurden umfangreiche Untersuchungen angestellt. Stichproben ergaben, daß niederländisches Papier der 40er und 50er Jahre des 17. Jahrhunderts, d.h. feingeripptes Bütten in der Bogengröße 45 x 29,3 cm verwendet wurde.
Restaurierungsarbeiten
Im Jahr 1893 war der Atlas als „größtes Buch der Welt“ auf der Weltausstellung in Chicago gezeigt worden. Erhebliche Schäden verursachten jedoch die Schiffstransporte. Die Buchdeckel waren gebrochen, durch Feuchtigkeit zeigten die Karten in der Folgezeit eine starke Wellenbildung. Außerdem hatte sich die Heftung der Wandkarten zu lockern begonnen.
Ab 1930 stand aus diesen Gründen eine erste Restaurierung an.
Während die Deckel aus furniertem Holz neu hergestellt und für den Einband neues Leder verwandt wurde, waren die ursprünglichen Beschläge und Schließen weiterhin funktionstüchtig. Die Karten wurden lediglich in der gewellten Form hinterklebt und ausgebessert.
Im 2. Weltkrieg unzerstört, zeigten sich drei Jahrzehnte nach dem Neueinband erneut Schäden am Buchrücken, wie auch an den Karten. Im Jahr 1968 unterzog die Deutsche Staatsbibliothek den Atlas einer gründlichen Restaurierung. Wolfgang Wächter, bekannter Restaurator im Deutschen Buch- und Schriftmuseum Leipzig, übernahm diese Aufgabe.
Alle Veränderungen der Form, der Technik und des Materials, die bei den Arbeiten 1931 entstanden waren, wurden rückgängig gemacht, um den Atlas originalgetreu herzustellen. Erheblichen Aufwand und größte Sorgfalt erforderte vor allem die Wiederherstellung der Karten. Nach dem Reinigen, Neutralisieren und Festigen der originalen Teile wurden die Karten auf einen neuen Kartenuntergrund geklebt.
Trotz eines neuen Einbands blieb der Buchrücken wegen des enormen Gewichtes die Schwachstelle des Werkes. Eine spezielle Aufbewahrungs- und Benutzungsvorrichtung soll eine zu starke Belastung der Fälze verhindern und die wirksamen Kräfte auf das ganze Objekt verteilen.
Der Atlas wird heute nur noch für konservatorische Zwecke geöffnet.
Ernst-J. Schilling