Oststernberger Heimatbrief
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Gedanken zu einem Friedhof

Aus Heimatbrief-Ausgabe 3/2016, Seite 6, vom 20.12.2016 R. E. Nultsch

Am westlichen Stadtrand von Sonnenburg/Neumark, dem heutigen Slonsk, befindet sich nahe der Chaussee nach Küstrin in einem Waldstück die Begräbnisstätte der ehemaligen Strafanstalt, im Volksmund auch „Züchtlingsfriedhof“ genannt. Dieses Areal ist ca. 60 Meter lang und 40 Meter breit.

1. Denkmal auf dem Häftlingsfriedhof-Sbg.

Die „Straf- und Besserungsanstalt Sonnenburg“ wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts östlich der Kleinstadt nach Plänen Karl Friedrich Schinkels errichtet. Aus hygienischen und sicherheitstechnischen Gründen erfolgte 1931 ihre Schließung. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 setzte in ganz Deutschland die Verfolgung und Verhaftung Andersdenkender ein. Sie wurden in „Schutzhaft“ genommen und füllten in Kürze die Gefängnisse.

Nun besann man sich auf das leerstehende Zuchthaus in Sonnenburg. Es wurde im Frühjahr 1933 als „Staatliches Konzentrationslager Sonnenburg/Neumark“ in Dienst gestellt und ein Jahr später als Zuchthaus weitergeführt. – Wie die Bezeichnung auch lautete, es war für die Inhaftierten die „Hölle von Sonnenburg“. Brutale Angehörige der SS und Gestapo tobten sich an den Häftlingen mit Prügel und Folter aus; täglich gab es Tote. Die Opfer wurden, wie auch verstorbene Häftlinge zuvor, auf dem Gefangenenfriedhof beigesetzt.

Hierzu aus dem Bericht von Senta Postler über die Bestattung ihres Vaters Paul Voß: „Man tat den Leichnam in einen leichten Tannensarg, der auf einen kleinen Wagen kam…. Zwei „Zivilisten“ begleiteten unseren Zug zu jenem Ort, wo Gräber nur Nummern, allenfalls das Geburts- und Todesjahr aufwiesen. – Als mir die beiden Gestapobeamten kondolieren wollten, lehnte ich es ab.“ (Aus der Broschüre „Muzeum Martyrologii w Storisku“ S. 26, erschienen 2014)

Nach 1945 blieb dieses Gräberfeld lange Zeit unbeachtet, obwohl, wie überall in den polnischen Gebieten, so auch in Sonnenburg, rigoros alle deutschen Spuren, selbst auf Friedhöfen, beseitigt wurden.

Wie der oben genannten Broschüre auf S. 14 zu entnehmen ist, beschloss die Gemeindevertretung von Slonsk 1973 „der Opfer des Zuchthauses und des Konzentrationslagers zu gedenken“. – In der Folgezeit kam es zur Aufstellung eines Erinnerungs-steines auf dem ehemaligen Gefängnisfriedfhof.

Die auch in Deutsch vorhandene Inschrift lautete:

„In diesem Friedhof ruhen die irdischen Überreste von belgischen, tschechoslowakischen, französischen, luxemburgischen, holländischen, jugoslawischen, norwegischen, sowjet-russischen und deutschen Antifaschisten, die im Hitler-Konzentrationslager und Gefängnis in Sonnenburg gefoltert und ermordet wurden.

1995, 50 Jahre nach Kriegsende, wurde dieses Denkmal durch ein neues ersetzt. Nun lautete der deutsche Text wie folgt:

AUF DIESEM FRIEDHOF WURDEN GEFANGENE

DES DEUTSCHEN KONZENTRATIONSLAGERS

in SLONSK

IN DEN JAHREN 1933–1945

SOWIE DES

ZUCHTHAUSES SONNENBERG

BEIGESETZT.

HIER RUHEN BELGISCHE, TSCHECHISCHE, FRANZÖSISCHE, LUXEMBURGISCHE, JUGOSSLAVISCHE, NIEDERLÄNDISCHE,NORWEGISCHE

UND RUSSISCHE BÜRGER

SOWIE DIE DEUTSCHEN

ANTIFASCHISTEN,

DIE IN DER NACHT 30./31. JANUAR 1945

IM RAHMEN DER AKTION

„NACHT UND NEBEL“

ERMORDET WURDEN.

IM EHRENDEN GEDENKEN!

SLONSK

Zu dieser in Stein gemeißelten Inschrift ist einiges anzumerken:

Es gab nie ein deutsches Konzentrationslager in Slonsk und kein Zuchthaus in Sonnenberg.

Auch bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die in der letzten Januarnacht 1945 von einem SS-Sonderkommando Ermordeten auf diesem Friedhof in Massengräbern beigesetzt worden sind.

Der Sonnenburger Erich Schulz (1917–1991) widmete sich mehr als 14 Jahre einer intensiven Forschungsarbeit zur Geschichte seiner Heimatstadt und ihrer Umgebung. Diese Recherchen sind im Geheimen Staatsarchiv Berlin-Dahlem unter dem Stichwort „Sammlung Erich Schulz“ jedermann zugänglich.

Erich Schulz erwähnt hier, dass die Leichen der Erschossenen von Sowjetsoldaten und Polen in zwei Gräbern, 42 Meter lang und 4 Meter breit, bestattet worden sind. Davor waren ein Holzkreuz und eine Tafel aufgestellt, deren Inschrift aussagte:

„Hier liegen 819 Bürger, welche von den Deutschen, als sie die Stadt Sonnenburg aufgaben, tierisch erschossen und verbrannt wurden.

Soldat! Erinnere dich dessen und übe Vergeltung!“

(Siehe dazu das Foto auf Seite 40 oben in der bereits benannten Broschüre!)

Weiterhin wird angeführt, dass deutsche Gefangene und Frauen der Umgebung die beiden Massengräber links der Chaussee nach Limmritz angelegt haben.

Der Luxemburger Änder Hohengarten, Autor der Studie „Das Massaker im Zuchthaus Sonnenburg vom 30./31. Januar 1945“ schreibt:

Vom 2. bis 10. Februar 1945 amtierte eine sowjetische Militäruntersuchungkommission im Zuchthaus. Die Leichen am Exekutionsplatz wurden gefilmt. Die sowjetischen Soldaten fanden genau 819 Tote… Die meisten waren NN-Häftlinge.

Es wird angenommen, dass sich unter den Opfern auch wenigstens 91 Luxemburger, 20–24 Jahre alt, befanden. Auf Befehl der Russen mussten Einwohner von Sonnenburg die Leichen der Ermordeten in zwei Massengräbern auf dem Feld rechts vom Zuchthaus begraben…

Am 3. Juli 1984 erscheint ein Artikel in der DDR-Zeitung „Brandenburgische Neueste Nachrichten“ ( Sammlung E. Schulz).

Sein Text lautet: „Sonnenburg wurde am 2. Februar 1945 von sowjetischen Truppen befreit. Im Zuchthaus fanden sie die Leichen der erschossenen Häftlinge. Die Opfer wurden mit allen Ehren auf dem Friedhof neben der Haftanstalt beigesetzt.“

Allen Darstellungen ist doch eines gemeinsam:

Die Beisetzung der 819 Exekutierten ist in der Nähe des Erschießungsortes und nicht auf dem am anderen Ortsende befindlichen Friedhof erfolgt.

Nach Aussagen polnischer und deutscher Zeitzeugen waren in den 1970er Jahren auf der Seite des inzwischen abgetragenen Zuchthauses zwei ca. 40 Meter lange Erdhügel dicht an der Straße nach Limmritz noch deutlich sichtbar.

Hätte es eine Exhumierung, Überführung und Beisetzung der sterblichen Überreste von 819 Toten – wann und wie auch immer – gegeben, wäre dieser Vorgang wohl nicht unbemerkt geblieben.

Eine Dokumentation darüber gibt es offensichtlich nicht. Sonst wäre bestimmt in der o. a. Broschüre über das „Martyrium Museum in Sonnenburg“ darauf zurückgegriffen und davon berichtet worden.

P.S. Hitlers „Nacht- und Nebelerlass‘‘ (N.N.-Befehl) vom Dezember 1941 (durch Keitel verkündet) sah die Inhaftierung jedes Ausländers vor, der in den von Deutschland eroberten Gebieten gegen die Besatzungsmacht in irgendeiner Form verstieß.

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