Erinnerungen an Pfingsten in der Heimat
Erinnerungen an Pfingsten in der Heimat
Es war Pfingstsonnabend 1912. Am späten Nachmittag waren wir in Sandow angekommen. Noch stand die Abendsonne über den Wäldern und Feldern, als wir von Frankfurt/O. kamen. Es waren wunderschöne friedliche Feierabendbilder. Uns war ähnlich friedlich; war es doch das erste Mal im Jahre, an dem es für einige Tage nach Sandow ging. Unsere Pfingstferien früher waren nie lange: ganze fünf Tage waren es. Aber es würde viele Bekannte geben, die auch immer zu diesem Fest zum ersten Male im Jahre nach Sandow reisten. Dann kamen die Sommerferien und danach die Herbstferien — also lag noch die ganze Sommerzeit vor uns. Zuerst trafen stets Schmidts mit ihrer Tochter Friedel ein, dann Herr und Frau Tinius, der alte weißhaarige Herr Schüler, Besitzer der Möbelfabrik Schüler am Markt, der so nette Späße uns Kindern erzählen konnte, und Familie Böse aus dem schönen alten Tee- und Kaffeegeschäft am Markt. Wir hatten uns alle den langen Winter hindurch nicht gesehen, und besonders wir Kinder freuten uns, wieder einmal zusammenzusein. Meine Schwester und ich hatten es eilig, auf unser Zimmer zu kommen; das hatte einen besonderen Grund. Wir hatten uns vorgenommen, in aller Herrgottsfrühe am ersten Pfingstfeiertag aufzustehen und durch das noch schlafende Dorf zu wandern zur Dossowschen Mühle hin. Das hatten wir fast jedes Jahr getan. Die Birken würden an den Haustüren stehen und in den Fenstern die gekreuzten Kalmusbüschel sein, die einen so herrlichen Duft hatten. Wir sahen noch aus dem Fenster. Jetzt wurden die Birkenbüsche an die Haustüren gestellt, genau wie immer; es wurde gescheuert, und Fenster wurden geputzt. Ich holte noch zwei Gläser Kirschsaft. Herr Staffier goss zwei zinnerne Maßkännchen voll Kirschsaft in die Gläser, und meine Schwester und ich pumpten aus der Pumpe das frische kühle Wasser dazu. Dann ging’s aber in die Betten, damit wir auch in aller Frühe hinausfänden, noch lange vor dem Frühstück.
Es wurde ein herrlicher Morgen. Das Dorf lag unter leichten Nebelschleiern, der Tau glitzerte auf den Wieson. Es war sehr still – nichts regte sich. Nur die Vögel sangen ihr erstes Lied. Wir liefen zur Mühle und standen lange auf der Brücke. Langsam sanken die Nebelfetzen und die Sonne funkelte auf dem Gischt des Wehrs. Die Frische des Wassers stieg zu uns herauf. Unser Weg führte uns zum Hammer. Die Rinder rasselten mit den Ketten in den Ställen, und der erste Rauch stieg aus den Schornsteinen empor, die Gänse kamen aus ihren Stallungen, Hühner scharrten im Sand, der in der Frühsonne wie Silber schimmerte. Ein Hahn schlug mit den Flügeln. Es war ein friedliches Bild. Wieviel Schönheit verschlief man sonst immer! Ich war ja eine Frühaufsteherin, so früh aber war ich eben nur in Sandow zu Pfingsten auf. Wir kamen bei Schirmers vorbei, wo jedoch noch alles schlief. Von den Wiesen kam eine Frische – es war ein himmlischer Morgen. An dem Hammerquell vorbei ging es hinauf zum Gasthof. Auch hier standen auf den Stufen duftende Birkenstämme. Es war ganz ruhig, nur aus der Küche kamen Geräusche. War doch heute ein Festtag, und festlich war auch das Mittagessen. Im Saal wurden die Tische zu einem Hufeisen aufgestellt, denn alle Gäste aßen zu Pfingsten gemeinsam an einer Tafel. Da gab es Suppe, Forellen und Braten und Spargel und für uns Kinder einen Höhepunkt: Eis zum Nachtisch. Darauf freuten wir uns schon das ganze Jahr, denn solche Genüsse gab es früher nicht so häufig. Es war nicht so wie heute, dass die Kinder fast täglich Eis bekamen. Das war eben etwas Besonderes.
Nachmittags gingen wir alle fünf an den Häusern mit den blühenden Fliederbüschen entlang zur Sedanwiese und weiter nach der Forellenschlucht und zur Teerbude am Raaksee vorbei. Im Wald sang der Pirol, und die Täuber gurrten. Die Maitriebe der Kiefern und Fichten dufteten, die Sonne schien — es war wirklich ein herrlicher Tag, an den wir noch oft dachten. Das Schönste aber war, dass wir noch einige Tage vor uns hatten. Morgen sollte es an den Kaspereissee gehen, und so folgte Tag für Tag ein Wiedersehen mit all den schönen Seen, die Sandow in so reichem Maße besaß.
Nicht in jedem Jahr waren wir in Sandow. Es gab auch Jahre, in denen wir nicht so weite Fahrten machten. Wir waren dann nur für einen Nachmittag in den duftschweren Wäldern der Kunersdorfer Förstereien. Sehr beliebt waren auch die Biegener Hellen. Diese Seen waren Perlen landschaftlicher Schönheit. Dorthin fuhren die Eltern mit den Verwandten im Wagen, und wir jungen Leute saßen auf den Fahrrädern. In einem Jahre blieben wir auf den Chausseen buchstäblich stecken in großen Massen von Maikäfern. Es war unheimlich, hinauf in die kahlgefressenen Chausseebäume zu sehen, und die Fahrräder mahlten in den schrecklichen Mengen der Käfer.
Sandow haben wir zu allen Jahreszeiten genossen, mit die schönste war aber die Pfingstzeit. Beglückend sind auch die Erinnerungen. Ich freue mich immer darüber, wie wenig ich vergessen habe. In meinem Inneren steht die Heimat unvergessen und ist noch heute inniggeliebt.