Liebigbilder-Album
Spannend illustrierte Bücher haben mich schon frühzeitig fasziniert. Mein 11 Jahre älterer Bruder experimentierte vielseitig, baute Schiffsmodelle, installierte am Raudener Fließ Wasserräder zur Stromerzeugung. Vorlagen dafür entnahm er aus seinen sorgsam gehüteten Büchern. Besonders hatte es mir ein Buch darunter mit bunten Bildern angetan, das von fremden Tieren, Landschaften und Menschen erzählte.
Ich habe erst viel später in Berlin dieses „Liebigbilder-Album“ wiederentdeckt, verstand viel mehr von dem Dargestellten und, vor allem, ich konnte die erklärenden Texte lesen!
Das Betrachten der Bilder wurde nie langweilig, ja die Bilder erzählten ganze Geschichten.
So haben diese Bilder wohl nicht nur bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und Mosaiksteinchen für unser Weltbild geliefert. Gerade jetzt fiel mir „dieses“ Album wieder in die Hände. Der „elektrische Pflug“ versetzt uns ins ausgehende 19. Jahrhundert. Hier wurden so bahnbrechende Erfindungen gemacht, wie Stromerzeuger und Elektromotor von Siemens mit den zahlreichen, auch heute noch nicht ausgeschöpften Anwendungsmöglichkeiten.
Auch unser Karl Kaiser (geb. 1888), der später sein Elektromotorenwerk in Ostrow/Zielenzig errrichten und größter Arbeitgeber im Sternberger Land werden sollte, hat sich vielleicht auch nicht der Faszination der Liebigbilder entziehen können und sich bei der Berufsentscheidung unbewusst inspirieren lassen.
Wer war dieser Liebig, dem wir diese Sammelbilderalben verdanken. Die Bilder waren ab 1873 eine Beilage zu den seit 1862 produzierten Dosen mit Fleischextrakt. Der Chemiker Justus von Liebig (1803 bis 1873) hatte den Fleischextrakt als Nährmittel vor allem für die ärmere Bevölkerung gedacht. Liebig, damals Chemieprofessor in München, hat dem Ingenieur Georg Christian Giebert 1862 die Lizenz zur Großproduktion erteilt.
Die lief dann von Uruguay (Liebig’s Extract of Meat Company, Fray Bentos) aus so gut, dass bald Zweigniederlassungen entstanden. Welch wirtschaftlicher Aufschwung diese Verwertung der Unmengen des bis dahin wertlosen Fleisches für dieses Land bedeutete, kann man nur erahnen. Vorher wurden nur die Häute der Rinder verwertet. Schlagartig machte das den Namen Liebig in aller Welt bekannt.
In Fachkreisen war er das sowieso schon lange.
Die Welt verdankt Liebig eine Fülle von Erfindungen und Entdeckungen: Das Düngemittel Superphosphat, Chloroform (Narkosemittel), die Babynahrung, das Backpulver, das erst durch Oetker seinen Siegeszug durch die Welt antrat.
Höher zu bewerten ist seine Begründung der Agrochemie. Deren praktische Anwendung führte im Verbund mit der Mechanisierung der Landwirtschaft zu einer Vervielfachung der Hektarerträge. So stieg in Deutschland die agrarische Produktion zwischen 1873 und 1913 um 90 %. Der britische Prediger und Ökonom Thomas Robert Malthus (1766 – 1834) hatte Anfang des 19. Jahrhunderts eine explosionsartige Vermehrung der Weltbevölkerung vorhergesagt und vorausberechnet, dass die (gesamte) Weltbevölkerung verhungert. Am Ende des 19. Jahrhunderts schien das und scheint auch jetzt noch widerlegt zu sein.
Das „Elektropflug“bild erzählt uns, wie in einem Arbeitsgang vier Furchen präzise und auf einmal gezogen werden. Es sind wenige Arbeitskräfte zu sehen, fast elegant gekleidet. Gleich muss der eine seine Hacke weglegen, um das Stromkabel in eine weitere Schleife zu legen.
Ja, die schwierig zu handhabenden Stromkabel und die hohen Energiepreise besiegelten Ende der 1920er Jahre die hoffnungsvolle Entwicklung. Ganz anders sah es aus für den vielfältigen Einsatz der Elektromotoren in der Landwirtschaft. Die Einrichtung von konkurrenzfähigen Überlandzentralen sorgte für ein akzeptables Angebot an Stromquellen. So konnte Karl Kaiser in Zeiten der Inflation durch Tausch seiner Elektromotoren gegen Lebensmittel bei den Bauern und auf den Gütern in der Mark Brandenburg die Nahrungsmittelknappheit für seine Familie und seine Mitarbeiter lindern- einerseits. Andererseits ersetzen auf den Gütern Elektromotoren dringend benötigte Arbeitskräfte.
Wir lernten auch aus den anderen Bildern der Serie „Der Pflug“, wie sonst noch in der Welt, bei den Etruskern, und an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Sibirien, in Central-Afrika in Ceylon gepflügt wurde.
Heinz Habermann
Fotos aus Liebigbilder-Album (Habermann privat)
Foto: Fray Bentos 2052804852 4b7dbacf43“ von Phillie Casablanca, Wikimedia