Mein Pflichtjahr in Burschen und Meseritz
Marja Köhler
In der Nacht vom 26. November 1943 auf den 27. November 1943 wurde die Firma Borsig in Berlin-Tegel total ausgebombt, es war die Arbeitsstätte meines Vaters, und er und ein Teil der Belegschaft wurden in andere Städte verlagert. Wir wohnten seinerzeit im Nachbarort Borsigwalde und meine elterliche Familie hatte bis dato die Bombenangriffe überstanden. Aus Sorge um seine Familie beantragte mein Vater die Evakuierung. Anfang Dezember 1943 kamen wir nach Burschen und wurden der Familie Otto Knospe zugewiesen, d.h. meine Mutter, meine Schwester und ich. Da ich in Berlin meine Pflichtjahrstelle aufgeben musste, bemühte ich mich in Burschen um eine neue Stelle. Ich hatte Glück und wurde beim Landwirt Reinhard Busch eingestellt. Dort war ich bis Ende März 1944, dann war das mir vom Arbeitsamt vorgeschriebene Pflichtjahr beendet, und ich konnte an die geplante kaufmännische Ausbildung herangehen. Meine Bemühung, in der Handelsschule Meseritz aufgenommen zu werden, hatte Erfolg, ab 1. April 1944 war ich dort Schülerin. Die Ausbildung dort war für zwei Jahre geplant. Leider sollte es anders kommen. Nach Ende der „großen Ferien“ im Sommer offerierte uns unser Klassenlehrer Herr Beilach, dass die Schule geschlossen würde,alle Schülerinnen und Schüler sollten in die Munitionsfabrik dienstverpflichtet werden. Alle waren schockiert, wir hatten ja schon alle notwendigen Schulbücher gekauft für zwei Jahre im Voraus. Es wurde uns sehr viel vom Klassenlehrer abverlangt, aber wir wollten ja alle etwas erreichen in unserem zukünftigen Beruf. Ein großes Fragezeichen stand im Raum, wie sollte es weitergehen? Herr Beilach erteilte uns vor der Trennung einen sehr wertvollen Rat, wir sollten uns doch bei der Post oder bei der Bahn bewerben, und nannte uns die Adresse der Postdirektion in Frankfurt/Oder. Eine Klassenkameradin aus meinen Wohnort und ich machten uns kurze Zeit danach auf den Weg und fuhren nach Frankfurt/Oder.
Unsere Bewerbung dort hatte Erfolg, wir bekamen zum 1. November 1944 eine Anstellung im Postamt Meseritz, wo wir zu einer Ausbildung in Telefonie und Telegraphie bestellt wurden. – Nach mehrwöchigem Erntehilfeeinsatz im Oktober 1944 beim Bauern in Burschen wurde ich zur Kartoffelernte verpflichtet. – Als ich am 1. November 1944 meine Arbeit beim Postamt Meseritz antrat, wurde mir im Büro mitgeteilt, dass ich nun kriegsdienstverpflichtet sei und die Arbeitsstelle nicht verlassen dürfe. Im Laufe des Monats Januar 1945 wurde das Postamt Meseritz von einer Armeevermittlung der deutschen Wehrmacht belegt. Meine Kollegin aus Burschen und ich hatten am letzten Wochenende im Januar 45 Dienst auf dem Fernmeldeamt als Telefonistin, auch am Sonntag, und am folgenden Montag vormittag. Nach Dienstschluss wollten wir mit den Zug zurück nach Burschen. Wir erfuhren auf dem Bahnhof, daß kein Zug mehr fährt. 1
Innerhalb weniger Stunden spitzte sich die Lage um Meseritz zu. Wir gingen zurück zum Postamt und meldeten uns bei unserem Chef, die Russen waren nur noch 5 km von Meseritz entfernt. Ca. 7 Angestellte vom Fernamt Meseritz, die sich im Postamt aufhielten, bekamen im Büro einen sogenannten „Marschbefehl“ ausgestellt, ohne den wir unseren Arbeitsplatz nicht hätten verlassen dürfen. Nach Rücksprache mit unserem Chef und dem Offizier, der die Ameevermittlung leitete, wurden wir mit einem Lastwagen der deutschen Wehrmacht mitgenommen, und zwar noch innerhalb der nächsten Stunden. Es ging Richtung Zielenzig. Der oben erwähnte Marschbefehl sollte uns noch gute Dienste leisten bei Kontrollen der Feldgendarmerie. Wir haben in den nächs-ten zwei Wochen schreckliche Situationen überstanden, Ich bin am 12 Februar 1945 in Erkner bei Berlin trotz allem wohlbehalten angekommen, und konnte von dort am nächsten Tag mit der S-Bahn nach Hause fahren, wo ich meine elterliche Familie wieder getroffen habe. Die Wohnung meiner Eltern befand sich damals in Borsigwalde. 2
Mir ist lediglich bekannt, dass meine Klassenkameradinnen und Klassenkameraden aus der Umgebung von Meseritz stammten, aber alle Orte sind mir leider nicht bekannt. In Erinnerung sind mir z.B. die Namen Birnbaum, Paradies, Tempel…. Falls jemand aus meiner ehemaligen Klasse der Handelsschule Meseritz meinen Artikel lesen sollte, würde ich mich sehr freuen über ein Lebenszeichen, und zwar an die Redaktion des Otsternberger Heimatbriefes.
1 Den Dienst an unserem letzten Wochenende in Meseritz konnten wir nur antreten, weil wir die Möglichkeit hatten, bei einer Verwandten meiner Kollegin zu übernachten, die Züge fuhren zu diesem Zeitpunkt schon unregelmäßig.
2 MeinVater hatte erfahren, wie schnell die sowjetischen Truppen seinerzeit auf dem Vormarsch waren, und einige Tage bevor Burschen eingenommen wurde, meine Mutter und seine Schwester nach Berlin gebracht. Nach Kriegeende habe ich mich bemüht zu erfahren, wo die Familie Busch aus Burschen hingekommen ist nach der Umsiedlung. Ihr neues Domizil war die Uckermark, wo ich sie auch einmal besuchte. Dadurch erfuhr ich, was sich im Dorf alles zugetragen hatte nach dem Einmarsch der sowjetischenTruppen. Wir können von Glück sagen, dass wir das nicht miterlebt haben. Der Kontakt zur Tochter der Familie Busch besteht regelmäßig.