Am Schnittpunkt der Kulturen
Sehr geehrter Herr Habermann,
in der „Berliner Zeitung“ fand ich im Sommer des vergangenen Jahres einen Artikel, dessen Kopie ich Ihnen heute zusende. Sie werden feststellen, dass er, obwohl mehr als ein halbes Jahr seit dem Erscheinen vergangen ist, keinenfalls an Aktualität verloren hat! Vielleicht wäre es etwas für den Heimatbrief?
Mit freundlichen Grüßen
R. E. Nultsch
Am Schnittpunkt der Kulturen
Polen haben im Gegensatz zu Deutschen kein Problem damit,
polnische Städte mit deutschen Namen zu versehen
VON FRANK HEROLD
Wo liegen Drezno, Lipsk, Monachium? Die drei Orte sind Dresden, Leipzig und München in polnischer Sprache. So werden sie im Nachbarland überwiegend im Alltag genannt, man liest es in den Zeitungen oder auf Anzeigetafeln in Bahnhöfen und Flugplätzen. Niemand verbindet damit unterschwellige Besitzansprüche oder auch nur einen anderen Hintergedanken.
Umgekehrt scheint die Benutzung von Ortsnamen jedoch noch immer umstritten zu sein. Steht nicht, wer Posen, Danzig, Breslau oder Lemberg sagt, unter dem Verdacht, mindestens im Stillen Eroberungsabsichten zu hegen? Gewiss, die deutsche Bezeichnung polnischer und ukrainischer Orte holt Geschichte herauf. Auch deren dunkle Seiten, die Zeiten von Aggression und Unterdrückung. Aber doch nicht nur. Für die Stadt Lemberg gibt es Namen in fast einem Dutzend Sprachen. Das zeigt vor allem, welche Bedeutung der Ort als Schnittpunkt der Kulturen in seiner Geschichte hat.
Die Verwendung von deutschen Namen für polnische Orte ist dennoch ein sensibles Thema, was sich auch in der Tatsache zeigt, dass es zwischen den Staaten keine rechtsverbindliche Regelung gibt. Ein Anlauf wurde vor zwanzig Jahren unternommen, als der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag ausgehandelt wurde. Das Thema schien damals noch zu heikel. Es wurde nicht zu Ende diskutiert.
Die seither vergangene Zeit brachte glücklicherweise weit mehr als eine Normalisierung, der Begriff gute Nachbarschaft ist keine Floskel. Braucht es wirklich noch eine offizielle Erlaubnis? In der anderen Himmelsrichtung gibt es vergleichbare Verkrampfungen nämlich gar nicht. Elsass und Lothringen – das geht uns völlig problemlos über die Lippen. Niemand würde Genf in einem deutschsprachigen Text Geneve nennen. Und Bolzano als „das frühere Bozen” zu bezeichnen, ist einfach absurd.
Polnische Bekannte, die beider Sprachen mächtig sind, haben das vermeintliche Problem ganz locker gelöst: Sprechen sie Polnisch, benutzen sie die polnischen Namen. Sprechen sie Deutsch, nehmen sie die deutschen. Unsere Nachbarn haben da aber auch einen generellen Kompetenzvorsprung. Es sprechen viel mehr Polen Deutsch, als Deutsche Polnisch. Doch das ist ein anderes Thema.
BZ,11.06.2012, Frank Herold
Wir danken Herrn Herold für die Veröffentlichung seines Artikels .