Titelbildgeschichte – Weihnachten in der Heimat.
Eine Jugenderinnerung von Franz Lüdtke.
(Aus: Heimatkalender für den Kreis Oststernberg auf das Jahr 1934. S. 147/148)
Eine kleine deutsche Stadt, weit, weit im Osten unseres lieben Vaterlandes umrauscht von meilengroßen Wäldern – da stand unser Haus.
Nur wenige Schritte davon, und uns umwogte das dunkelgrüne duftende Kiefernmeer…
Das ist meine Heimat. Heimattage! Jugendtage und du, schönster Tag von allen:
Weihnachten… Unterm Tannenbaum!
Soll ich euch erzählen von dem geheimnisvollen Leben, das, wenn die Sonne immer tiefer sank, in Stadt und Haus zu wispern und zu weben begann? Vom Weihnachtsmarkt ? Von den Pfefferkuchenbuden und den tausend Herrlichkeiten, nach denen das Kinderherz bangte?
Oder von den Ständen, wo die Tannenbäume des Augenblicks harrten, da sie fort durften, zu den Wohnungen der Menschen dort Freude zu schenken, unausdenkbare Freude?
Der Vater pflegte mich mitzunehmen, wenn er hinging, den wichtigen Kauf zu tun. Liebevoll musterte uns die Schar der Bäumlein; es war, als bitte jedes darum, mit uns ziehen zu dürfen!
Leicht war die Wahl nicht. Aber endlich, da hatten wir, was wir brauchten, eine Tanne, nicht allzu groß, doch gut und dicht gewachsen.
Ein paar Zweige, die so umherlagen, bekam ich noch geschenkt, dann pilgerten wir heim.
Und nun gab’s Arbeit; wie die Heinzelmännchen waren wir dabei! Nüsse und Äpfel mussten in ein silbern oder golden Gewand gehüllt werden, Mutter hackte Marzipan, in einer großen Pfanne mit siedendem Zucker wurden Mandeln gebrannt, Zimmer und Treppen dufteten von Kuchen.
Dann nahte, hochklopfenden Herzens von uns erwartet, der Heiligabend. Auf Zehenspitzen traten wir in die Prunkstube; ein Strahlen umflimmerte uns – Weihnachten war wirklich gekommen. Kein Auge wandte sich von dem Wunder ab, das auf uns glänzte. War das denn jener Baum vom Alten Markt? Hatten wir die Früchte daran mit Schaumgold umkleidet? Und der Schnee auf den Ästen – und die Sternlein – und der kleine Engel hoch oben an der Spitze? Nein, das stammte aus einer anderen Welt und wob heimliche Zauber um unsere Sinne und Seelen…
Dann – wir horchten auf. Vaters Worte erklangen, volltönend, und ein großmächtig Buch mit heiligen Bildern darin lag aufgeschlagen vor ihm. Wir horchten gebannt; wie in der Kirche war’s, so feierlich.
„Es begab sich aber, dass ein Gebot ausging vom Kaiser Augustus, dass alle Welt geschätzet würde, ein jegliches in seiner Stadt …“
Wie leuchtete nicht auch um uns der Glanz der himmlischen Heerscharen? Waren‘s die Engel Gottes – oder waren wir‘s, die jetzt sangen : „Stille Nacht, heilige Nacht . . .“· Wir waren’s doch wohl – da hörte ich Mutters glockenhelle Stimme, und nun – nun vernahm ich mich selber, ja, ja, mich: „Christ, der Retter ist da!“
Es war, als erwachten wir! Jetzt ein Beglückwünschen, ein Anstaunen der Geschenke, die da ausgebreitet lagen!
Oh, wie reich war mein Tisch! So viel brauchbare und nützliche Dinge! Und da – ein Spiel – Farbstifte – Bleisoldaten – ein bunter Teller – und vor allem – ein Buch – ein Buch! Nun war die Welt für mich verloren – ich hatte ein Buch!
Wie ein Dämmern nun war mir’s, als spielten die Geschwister, als rückte Vater in der Ecke den Lehnstuhl zurecht und zündete die lange Pfeife an, als setzte Mutter die Brille auf, um in die lieben, nie rastenden Hände eine neue Arbeit zu nehmen, als rieselten draußen am Fenster weiße, tanzende Flocken vorbei… Ich war versunken; mein Buch entführte mich in ein anderes Sein, und nur der bunte Teller mit seinen süßen Schätzen hielt noch ein wenig die Verbindung mit dieser Erde aufrecht…
Endlich brannten die Lichter herab. Mütterlein war müde geworden, Vater stellte die Pfeife weg; die Schwestern küssten ihre Puppen, es hieß „Gute Nacht!“, dunkel wurde die Stube… jeder pilgerte seiner Bettstatt zu.
Ich lauschte – die Uhr tickte – irgendwo knackte eine Diele – sonst alles still – alles im Schlafe –
Ich erhob mich, ich musste noch einmal Abschied nehmen, ganz allein, von meinem Wunderweihnachtsbaum!
So schlich ich mich denn ins gute Zimmer und kauerte mich dicht an die wohlig wärmenden Kacheln — und träumte…
Weiß schien der Mond über die schneeglitzernden Dächer der Nachbarhäuser auch in unser Fenster glitt sein Licht und umrieselte den Tannenbaum mit seiner schimmernden Pracht. Horch — flüsterte da nicht etwas? Ja, der Baum war’s! Ich rührte mich nicht, ich saß mit angehaltenem Atem, lauschend…
Märchen erzählte er mir… von seiner Waldheimat… von tiefem Schnee und gleißenden Eiszapfen… von Bächlein, die unter dem Eise rannen… von Hasen, Rehen und scheuen Füchslein… von umschneiten Wacholdern, die wie eingehuschelte Männlein ausschauten, und von Baumstümpfen, die dem Einhorn glichen… vom Sturmwind und der wilden Jagd… vom Nachthimmel und den tausend, tausend Sternen daran… vom lieben Gott und seinen Englein… horch, sangen die Englein jetzt nicht? Ja, sie sangen… Melodien, die ich nie, nie vernommen… süße, selige Melodien… ein Klingen und Rauschen war das…
Bis ich erwachte von all dem Klang und Rauschen und zurückschlich in mein wartendes Bettlein und die Decke über die Ohren zog und lächelnd einschlief, aus einem Wunderland hinüber in ein anderes.
Das war Weihnachten in meiner Heimat, in meiner Jugend!