Unsere Leser schreiben
Sehr geehrter Herr Habermann,
„Kriescht heißt heute…“, unaussprechlich! und ich stimme Herrn Moritz zu!!! Wie schon erwähnt, flohen wir am Morgen des 30.1.1945 zu Fuß aus Sonnenburg. Ich kann mich noch erinnern, dass wir anhaltendes Schießen hörten, das wir nicht erklären konnten. Das kam – erfuhren wir erst Jahre später und ist nun hier belegt (Heimatbrief 1/2012, Seite 17) – vom KZ. Onkel Max (Anders) hatte auch einen französichen Gefangenen im Frisörgeschaft als Gehilfen, er „führte sich gut“ und durfte dann im Dachgeschoss wohnen (Frankfurter Straße 17). Oft wurde ich nachts wach vom anhaltenden „tak tak“. Meine Mutter sagte mir dann, „er morst in seine Heimat, dass er noch lebt, seine Familie macht sich doch große Sorge“. Aber das war ein Geheimnis, ich durfte da niemandem erzählen. Auch auf den Feldern arbeiteten „Sträflinge“, dass da ein KZ war, wussten wir nicht, es war die „Straf-Anstalt“. So viele Erinnerungen kommen beim Lesen der Zeitung (Heimatbrief) hoch; ich war ja 11 Jahre alt, als wir wegrannten.
Besonders erinnere ich mich, dass wir oft nach der Schule ins Krankenhaus gingen, die Verwundeten besuchen. Sie lagen überall eng aneinander, auch in den Gängen, oft bis zur Unkenntlichkeit bandagiert, Beine und Arme hoch, Gesicht zugebunden. Wir schrieben für sie an die Verwandten, sangen, erzählten und dabei wickelten wir die Mullbinden auf. Jeder hatte „seinen“ Soldaten, aber oft kamen wir ans Bett und ein anderer lag darin. Wir schnitten aus dem Sonnenburger Anzeiger die Ritterkreuzträger aus – ach, die Jungs sahen alle so gut und tapfer aus. Klebten sie in Hefte und dann gingen wir an den öffentlichen Anschlag, da waren die Todesanzeigen veröffentlicht.
Und wenn dann einer „unserer“ Helden fürs Vaterland sein Leben gelassen hatte, machten wir ein † auf sein Foto. Wenn ich jetzt daran denke, wird mir heiß und kalt! Was hat die Politik damals mit uns gemacht? Wir waren natürlich traurig, aber es war gewisse Stumpfheit in uns, in eine Richtung denken. Das Beispiel unserer Nachbarin war uns Warnung, sie hatte einen harmlosen Witz erzählt und wurde abgeholt…
Ich könnte noch lange erzählen, aber ich höre lieber auf. Es grüßt Sie
Ingelore Streng, geb. Wengenroth, früher Sonnenburg, jetzt Vorm Tor 1, 56547 Westerburg.
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Sommerurlaub am Warthebruch
von Josef Pollmann
Nachfolgend ein Blick eines „Urlaubers“ mit vielen Hobbys wie z.B. Heimatgeschichte, Architekturgeschichte oder der Liebe zur ländlichen Architektur, den es „per Zufall“ auf das Moritzfest 2012 verschlug. Polen ist spätestens seit der Wiedervereinigung und zehn Jahren Staffellauf Cottbus-Zielona Gora (100 km, 15 Etappen, Team 5 Läufer/Läuferinnen) ein Land, das immer mehr reizt. Dies im Positiven. Dazu beigetragen haben unzählige Erlebnisse mit den Menschen, aber auch die vielfältige Landschaft Polens, die ich ansatzweise im Riesengebirge, Krakau, Grünberg und Umgebung oder nahe Görlitz kennenlernte. Seit vier Jahren bin ich in der ehemaligen Neumark „gelandet“ mit dem Schwerpunkt Warthe-bruch, seiner einmaligen Landschaft und seiner Siedlungsgeschichte.
Im Sommer 2012 fuhr ich ohne Plan im Kopf wieder nach Slonsk (Sonnenburg) und wurde dort von Frau Izabella Engel zum Moritzfest eingeladen. Anzumerken ist, dass endlich bei der heimischen Volkshochschule Arnsberg ein Polnischkurs stattfinden konnte, der nicht nur in 12 Abenden die Grundzüge der schweren polnischen Sprache vermittelte. Es gab auch Einblicke in das polnische Leben bzw. einen Abend mit Steffen Müller. (Anm. der Redaktion: Müller ist Schauspieler und Kabarettist und lebt hin und wieder in Polen.) Auch dies half im Sommer 2012 gut weiter.
Das Moritzfest hat mir gezeigt, wie Europa sein sollte. Ehemalige Bewohner von Slonsk (Sonnenburg), heutige polnische Einwohner, und auch „Gäste“ konnten hier vor dem historischen Hintergrund des Moritzfestes eindrucksvolle und friedvolle gemeinsame Stunden miteinander verbringen. Ein einmaliges Erlebnis war der Gang durch die Stadt mit Theatervorführungen wie z.B. Ritterschlag und die vielen kostümierten und lachenden Kinder in Kostümen wie z.B. Ritter, Spiderman, Biene, Prinzessin oder Schildkröte.
Aber auch die Kontakte zu den ehemaligen Sonnenburgern und der heimischen Bevölkerung zeigten, wie Menschen in Europa oder allgemein miteinander umgehen sollten: mit gegenseitigem Respekt vor den anderen, egal welcher Nation oder Lebenssituation. Auch der ökumenische deutsch-polnische Gottesdienst war sehr eindrucksvoll. Beim Friedensgebet gab es bei mir feuchte Augen, ein Zeichen wie tief ein Erlebnis gehen kann.
Anzumerken ist noch, dass vor dem Moritzfest etwas Zeit für Jamno (Jamaika) war und das Studium der dortigen Bauweise der Bauernhöfe. Auch hier gab es noch ein Gespräch mit einer Bäuerin, die mich zum Essen und Trinken einlud. Aber das Moritzfest hatte Vorrang und auf dem Weg dorthin konnte ich noch Vergleiche zum derzeitigen Thema der Heimatgeschichte im Kreis Soest/NRW anstellen, denn es gab noch Spuren der Melioration (Be- oder Entwässerung des Bodens) mit einem Weh und vielen Gräben in der endlosen Weite der Landschaft.
Wie sagte mir Herr Freiherr von Dellingshausen im Gespräch sinngemäß zum Thema Vorurteile gegen Polen: Wer Vorurteile hat, schränkt sein Blickfeld ein und kann viele schöne Dinge und Erlebnisse nur schwer wahrnehmen.
Zum Abschluss vielen herzlichen Dank an Frau Izabella Engel und alle, die mir diesen schönen Einstieg in den Sommerurlaub ermöglichten.
Josef Pollmann, Schüngelstraße 43, 59755 Arnsberg.
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Gespräch mit Günther Seelig
Zum Moritzfest am 24. Juni 2012 war auch angereist Herr Günther Seelig aus Forst-Noßdorf im Alter von 94 Jahren. Er wurde geboren am 26. Januar 1918 in Sonnenburg und ist dort in der Kirche getauft und konfirmiert worden, hat den Beruf eines Zimmermanns erlernt. Herr Seelig berichtete, dass er in der Kirche die Johanniter-Herrenmeister Prinz Albrecht und Prinz Oscar von Preußen erlebt habe. Er kann sich noch daran erinnern, wie in der Kirche Johanniter zum Ritter geschlagen wurden. In der Kirche hat er auch drei Jahre den Dienst des Glockenläutens versehen. Im Zweiten Weltkrieg war er eingezogen. Während dieser Zeit konnte er noch dreimal in Sonnenburg zum Urlaub sein. Herr Seelig ist verheiratet und hat mit seiner Frau zwei Kinder. Der Sohn ist bereits verstorben. Von der vielen Arbeit sind seine Finger krumm geworden. Aber der Geist ist noch ganz wach, und die Erinnerungen sind sehr lebendig.
Ich freue mich, dass ich ihm in Sonnenburg begegnet bin und wünsche ihm mit seiner lieben Frau im Namen unseres Heimatvereins einen freundlichen Lebensabend.
Hans-Dieter Winkler